Pranger: “Ignorieren dabei auch die Konsequenzen, die sich aus der öffentlichen Bloßstellung ergeben”

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In unserer heutigen Gesellschaft stehen wir vor der Frage, ob der Pranger als Disziplinierungsmaßnahme noch zeitgemäß ist. Historisch gesehen wurde diese Form des öffentlichen Bloßstellens genutzt, um Verurteilte an den Schandpfahl zu binden und somit ihre Strafe publik zu machen. Kann die einst tot-geglaubte Strafe einem zweiten Frühling erleben?

“Pranger eine weitverbreitete Disziplinierungsmaßnahme” – “Delinquent mit einer Verstümmelung rechnen”

>>111 Orte an der oberen Donau, die man gesehen haben muss von Erwin Ulmer (Buch) <<

“Bei mittleren Vergehen musste der Delinquent mit einer Verstümmelung rechnen. Bei leichten Straftaten war der Pranger eine weitverbreitete Disziplinierungsmaßnahme. Zu den einfachen Delikten zählten Fluchen, Randalieren, Betrügen, Beleidigen oder auch unehelicher Geschlechtsverkehr. Aber auch für das Wäschewaschen am Sonntag oder das Backen von zu kleinen Brötchen konnte man an den Pranger kommen.”

“Wäschewaschen am Sonntag oder das Backen von zu kleinen Brötchen konnte man an den Pranger kommen”

Doch stellt sich die berechtigte Frage: Ist dies wirklich angemessen? Nicht selten wurde die juristische Strafe als eine Form der Disziplinierungsmaßnahme angewandt, was sich alleine schon an der Stellung der “Übeltäter” zeigt.

“Bestrafung für widerspenstige Knechte und Mägde” – “Aufrührerische Versammlungen zu veranstalten”

>>Die Folter. Eine Enzyklopädie des Grauens von Horst Herrmann (Buch) <<

“Aber auch zum Zwecke der Folter und der Strafverschärfung werden Ohren oder Ohrläppchen des häufig am → Pranger stehenden Opfers abgetrennt („Schlitzohr“). Rückfällige verlieren erst das eine, dann das andere Ohr; die Ohrstümpfe werden abrasiert (→ Markierungsfolter). Beispiele: In Dänemark gilt im 10. Jahrhundert das Abschneiden der Ohren als Strafe für Ehebrecherinnen, im europäischen Raum (15. Jahrhundert) als Bestrafung für widerspenstige Knechte und Mägde, die sich erdreisten, „aufrührerische Versammlungen zu veranstalten oder in der Nacht Waffen zu tragen oder irgendeinen Exzess zu verursachen.“

“Schlitzohr” “Ohren oder Ohrläppchen des häufig am → Pranger stehenden Opfers abgetrennt”

Menschen werden in ihrer Ehre verletzt und oft sogar stigmatisiert – mitunter ohne gerechte Grundlage oder nachträglicher Rehabilitierungsmöglichkeit für Unschuldige. Eine weitere problematische Konsequenz des Prangers besteht darin, dass Verurteilte häufig Stadt und Land verlassen müssen, da sie dem Spott sowie möglicher Gewaltandrohung ausgesetzt sind.

“Pranger” – “Öffentliche Schande, sie war so schrecklich, dass der Verurteilte danach oft Stadt und Land verließ”

>>Die Würde ist antastbar von Ferdinand von Schirach (Buch) <<

“Im Mittelalter war man weiter, als wir es heute sind. Eine der Strafen war damals, den Verurteilten an den Pranger zu stellen. Die Leute liefen zu ihm, um ihn zu verspotten. Die Strafe war die öffentliche Schande, sie war so schrecklich, dass der Verurteilte danach oft Stadt und Land verließ. Aber immerhin kam man damals nur an den Schandpfahl, wenn man vorher auch verurteilt worden war. Heute brauchen wir kein Urteil mehr, es reicht die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft, und die ganze Republik sieht zum Pranger.”

“Damals nur an den Schandpfahl, wenn man vorher auch verurteilt worden war” – “Heute brauchen wir kein Urteil mehr”

Es gibt nicht nur Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft, auch der Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk kann sicherlich mit einer Prangerstrafe etwas anfangen. Andere Länder sind bei der Frage sogar noch weiter gegangen. Straftäter werden dort samt Anschrift im Internet publik gemacht, um vermeintlich weitere Straftaten zu verhindern.

USA: “Mehrere an den »Internet-Pranger« gestellte Männer Mordanschlägen zum Opfer gefallen”

>>Das Ende der Privatsphäre von Peter Schaar (Buch) <<

“Nichts deutet darauf hin, dass die Internetveröffentlichung Straftaten verhindert hat. Andererseits sind mehrere an den »Internet-Pranger« gestellte Männer Mordanschlägen zum Opfer gefallen. Auch in Deutschland meinen manche Politiker, ihr Profil durch solche Forderungen schärfen zu können, die unseren verfassungsrechtlichen Grundsätzen widersprechen. Sie ignorieren dabei auch die Konsequenzen, die sich aus der öffentlichen Bloßstellung ergeben. Derartige Methoden widersprechen nicht nur einer freiheitlichen Gesellschafts- und Rechtsordnung, sie würden unser Leben auch unsicherer machen.”

“Ignorieren dabei auch die Konsequenzen, die sich aus der öffentlichen Bloßstellung ergeben”

Dies führt dazu, dass das eigene soziale Umfeld zerbricht und ein Neuanfang kaum möglich scheint. Es bleibt also festzuhalten: Der Einsatz eines solchen Mittels wie der Internet-Pranger funktioniert in der rauen Realität wie sein mittelalterliches Gegenstück. Natürlich wollen die Verantwortlichen mit derartigen Folgeerscheinungen nichts zu tun haben. Der Pranger mit der “Lizenz zum Anschwärzen” soll aber noch ausgebaut werden. Zumal es sowieso schon einige dubiose Pranger-Internet existieren, die augenscheinlich mit behördlichen Informationen bestückt sind und in den Suchergebnissen sehr weiter oben rangieren. Offensichtlich soll nun dieses in- oder halboffizielle Vorgehen nun vollständig zur Normalität werden.

“Agenten des Verfassungsschutzes sollen künftig die Befugnis bekommen, Privatpersonen heimlich zuzuflüstern, dass jemand radikal sei”

>>Süddeutsche Zeitung<<

“Lizenz zum Anschwärzen – Die Agenten des Verfassungsschutzes sollen künftig die Befugnis bekommen, Privatpersonen heimlich zuzuflüstern, dass jemand radikal sei. Wenn beispielsweise ein Muslim, den das Bundesamt für islamismusverdächtig hält, sich um eine Wohnung bemüht – dann sollen die Agenten sich an den potenziellen Vermieter und sogar an Familienmitglieder, Arbeitskollegen oder Bekannte wenden dürfen, um ihren Verdacht dort zu streuen. Beziehungsweise, wie es juristisch heißt, zu “übermitteln”.

“Agenten sich an den potenziellen Vermieter und sogar an Familienmitglieder, Arbeitskollegen oder Bekannte wenden dürfen, um ihren Verdacht dort zu streuen”

Die Befürworter des Prangers argumentieren damit, dass er eine abschreckende Wirkung auf potentielle Delinquenten haben soll. Die Vorstellung einer öffentlichen Demütigung lässt viele von strafbaren Handlungen zurückschrecken und trägt so zur Aufrechterhaltung der Ordnung bei. Jedoch sind die negativen Auswirkungen nicht von der Hand zu weisen und für mit hineinreichender Wahrscheinlichkeit erwartbare Folgeschäden will niemand die Haftung übernehmen.