Europäer als Sklaven: “In der Wissenschaft spricht man von „indentured servants“, Leibeigenen auf Zeit”
Geschichte – Obwohl normalerweise von Sklavenarbeitern aus Afrika zu hören sei, ist es wichtig zu verstehen, dass auch Europäer Opfer dieser Form der Ausbeutung waren. Wissenschaftler bezeichnen diese Menschen als “indentured servants“, was so viel bedeutet wie “Leibeigene auf Zeit”.
“indentured servants” – “Engländer hätten eben auch weiße Iren versklavt”
>>Verknüpfte Welten von Ludger Kühnhardt (Buch) <<
“Im Hotel treffe ich ein irisches Paar, das auf Saba lebt. Der weiße Mann stellt sich als Nachkomme von Sklaven vor. Jawohl, denn die Engländer hätten eben auch weiße Iren versklavt. In der Wissenschaft spricht man von „indentured servants“, Leibeigenen auf Zeit, die sich für die harte Arbeit in den Plantagen der Karibik verpflichten mussten.”
“In der Wissenschaft spricht man von „indentured servants“, Leibeigenen auf Zeit”
Tatsächlich handelte es sich um eine Art befristete Zwangsarbeit für einen bestimmten Zeitraum. Diese Kontraktarbeiter waren de facto Hörige und standen ihren Herren in fast jeder Hinsicht zur Verfügung.
“Tatsächlich waren nicht nur schwarze Sklaven unfrei, sondern obendrein arme Weiße”
>>Die Amerikanische Revolution von Michael Hochgeschwender (Buch) <<
“Tatsächlich waren nicht nur schwarze Sklaven unfrei, sondern obendrein arme Weiße, die sich als indentured servants zu einer mehrjährigen Dienstzeit als Hörige verpflichtet hatten, um ihre Überfahrt zu bezahlen und anschließend auf eine Landzuteilung hoffen zu dürfen. Während ihrer Dienstzeit fungierten diese Kontraktarbeiter praktisch als Äquivalent zu den Hörigen und Leibeigenen Kontinentaleuropas. Verfügte eine Familie über mehr Kinder, als zum Betrieb der Oikos-Wirtschaft notwendig waren, wurden diese an andere Familien als unfreie Beschäftigte, beispielsweise als Lehrlinge oder Dienstboten, abgegeben. In den 1760er Jahren standen 15 bis 35 Prozent der fünf bis 15 Jahre alten Kinder in derartigen abhängigen, außerfamiliären Beschäftigungsverhältnissen.”
“Während ihrer Dienstzeit fungierten diese Kontraktarbeiter praktisch als Äquivalent zu den Hörigen und Leibeigenen”
Die Leibeigenschaft war zu dieser Zeit in Europa sehr verbreitet und man versucht Anfangs es auf die Kolonien auszuweiten. Als das Plantagensystem entstand, versuchten die Pflanzer zuerst ihren Arbeitskräftebedarf mit Europäern zu decken. Nach verschiedenen Möglichkeiten setzte sich schließlich die Sklavenarbeit durch. Obwohl afrikanische Sklaven doppelt so teuer waren wie “indentured servants”, überlebten sie besser in den Tropen und starben nicht so schnell wie Europäer. Außerdem hatte man ein lebenslanges Verfügungsrecht über sie und gegebenenfalls auch über ihre Nachkommen.
“Kosteten Sklaven doppelt soviel wie der Unterhalt von Engagés/indentured servants”
>>Weltgeschichte der Sklaverei von Egon Flaig (Buch) <<
“Doch warum dieser massenhafte Import von versklavten Afrikanern? Auch der war nicht zwangsläufig. Hätte sich das Modell der Siedlungskolonien durchgesetzt wie in den nordöstlichen Gebieten Nordamerikas, dann wäre die befristete Zwangsarbeit ein Durchgangsstadium geworden und vermutlich schon im 18. Jh. verschwunden; zur Sklaverei wäre es nie oder kaum gekommen. Denn als das Plantagensystem sich herausbildete, versuchten die Pflanzer ihren Bedarf an Arbeitskräften zunächst durch Europäer zu stillen. In der Abfolge unterschiedlicher Optionen setzte sich schließlich die Sklavenarbeit durch; zwar kosteten Sklaven doppelt soviel wie der Unterhalt von Engagés/indentured servants; doch sie waren tropenfest und starben nicht so schnell weg wie die Europäer, ferner verfügte man über sie lebenslang, gegebenenfalls auch über ihre Nachkommen.”
“Warum dieser massenhafte Import von versklavten Afrikanern?” – “Sie waren tropenfest und starben nicht so schnell weg wie die Europäer”
In der Tat war diese Art des Sklavenhandels nicht plötzlich entstanden. Der Handel fand auf dem heutigen Kohlenmarkt in Regensburg statt, der bereits 934 als Marktplatz urkundlich erwähnt wurde. Die Zollgebühren an der Grenze waren so gestaffelt, dass für eine weibliche Sklavin genauso viel bezahlt werden musste wie für einen Hengst und für einen männlichen Sklaven genauso viel wie für eine Stute. Das heißt, eine weibliche Sklavin hatte den vierfachen Wert eines männlichen Sklaven. Diese “Ware” wurde über Venedig in die arabischen Länder des Orients und über Verdun zu den maurischen Höfen in Spanien verkauft.
„Handel auf dem heutigen Kohlenmarkt“ – Sklaven als normale Handelsware
>>Universität Regensburg (PDF-Datei) <<
„Der weitere Weg über die Zollgrenze aus Oberösterreich zu den baierischen Großen konnte zunächst nur nach Regensburg führen, dem bedeutendsten Handelsplatz des Ostfränkischen Reiches und dem führenden Wirtschaftsplatz Baierns. Hier vollzog sich der Handel auf dem heutigen Kohlenmarkt, der schon 934 urkundlich als Marktplatz („mercatum“) genannt wird . Der Zoll an der Grenze war so gestaffelt, daß für eine Sklavin so viel zu zahlen war wie für einen Hengst, für einen männlichen Sklaven so viel wie für eine Stute. Das bedeutet, daß eine Sklavin den vierfachen Wert eines Sklaven besaß. Abnehmer dieser „Ware“ waren über Venedig die arabischen Länder des Orients und über Verdun die maurischen Höfe in Spanien.“
“Für eine Sklavin so viel zu zahlen war wie für einen Hengst, für einen männlichen Sklaven so viel wie für eine Stute”
Inwieweit schon damals die Begriffe “Sklaverei” oder “Leibeigenschaft” verwendet wurden, dass kann mal hier offen bleiben. Ein ähnliches Unfeiheitssystem wurde späteren Jahrhunderten auf die britische Kolonie Indien übertragen. In ehrlichen Momenten bezeichneten Großbritanniens politische Führer diese Form der Herrschaft als “ein neues System der Sklaverei”. Der Grund dafür lag darin, dass es seine Machenschaften hinter einer Überhöhung des Vertrages verbarg und Arbeitskräfte nicht mehr aus Afrika, sondern aus Asien rekrutierte.
“Freimütigen Momenten nannten Großbritanniens politische Führer diese Vertrags- oder Schuldknechtschaft” – “Ein neues System der Sklaverei”
>>Imperien der Weltgeschichte von Jane Burbank & Frederick Cooper (Buch) <<
“In freimütigen Momenten nannten Großbritanniens politische Führer diese Vertrags- oder Schuldknechtschaft »ein neues System der Sklaverei« – neu, weil es seine Transaktionen hinter einer Fetischisierung des Vertrages verbarg und sich auf asiatische statt afrikanische Bezugsquellen für Arbeitskräfte verlegte und, analog zur Sklaverei, weil es auf geografische Vertreibung und auf Zwang zur Aufrechterhaltung der Disziplin während der Dauer des Vertrages angewiesen war. Dieses System verschob etwa 1,3 Millionen Inder im Imperium, bevor es 1920 nach Jahrzehnten der Bedenken seitens britischer Beamter in Indien und wachsenden Protesten indischer politischer Bewegungen beendet wurde.”
“1920 nach Jahrzehnten der Bedenken seitens britischer Beamter in Indien und wachsenden Protesten indischer politischer Bewegungen beendet”
Ähnlich wie bei der Sklaverei beruhte dieses System darauf, Menschen gewaltsam zu vertreiben und sie während der Laufzeit des Vertrages mit Zwang zur Disziplin zu zwingen. Vor seiner Abschaffung im Jahr 1920 hatte dieses System rund 1,3 Millionen Inder ins Imperium gebracht. Dies geschah trotz zunehmender Bedenken seitens britischer Beamter in Indien sowie wachsender Proteste indischer Politikbewegungen. Teilweise wurde – respektive wird – das System der Vertragsarbeiter dadurch gerechtfertigt, dass die Vertragslaufzeit nur begrenzt war. Die geringe Lebenserwartung sagt aber etwas ganz anderes aus.
Zuckerplantagen: “Sklaven lebten unter diesen Verhältnissen höchstens noch 10 oder 20 Jahr”
>>Weltgeschichte der Sklaverei von Egon Flaig (Buch) <<
“Sklaven lebten unter diesen Verhältnissen höchstens noch 10 oder 20 Jahre. Kaum ein anderer Plantagentyp forderte so viele Sklavenleben wie die Zuckerplantage. Vereinzelt wird darauf hingewiesen, daß die Arbeit eines Sklaven auf der brasilianischen oder karibischen Zuckerplantage binnen 3 bis 4 Jahren seinen eigenen Preis amortisierte, daher kein Anreiz bestanden habe, sein Leben zu schonen. Ähnelt die Zuckerplantage also der Bergwerksklaverei? Indes, die Bergwerksklaverei untergrub die Gesundheit eines Sklaven je länger desto mehr.”
“Sklaven auf der brasilianischen oder karibischen Zuckerplantage binnen 3 bis 4 Jahren seinen eigenen Preis amortisierte”
Es ist unbestreitbar wichtig anzuerkennen und darüber nachzudenken,dass nicht nur Afrikaner während des Zeitalters des Kolonialismus versklavt wurden; auch Europäern und Indern widerfuhr dieses Schicksal. Die Geschichte der indentured servants ist ein trauriges Kapitel in der Vergangenheit, das nicht vergessen werden sollte.