Züchtigungsrecht – Körperstrafen – Untertanenmentalität: Weshalb der “Mensch als Objekt der Macht” werden soll?
Züchtigungsrecht & Körperstrafen: Ist es ein Blick in die finstere Vergangenheit oder stellt es eher ein Ausblick in Zukunft dar? Solche Fragen mögen vielleicht unerhört klingen, aber ist es wirklich so? Insbesondere angehende Richter und Staatsanwälte können sich mit Todesstrafe und Folter durchaus anfreunden.
“Jeder dritte Jurastudent will die Todesstrafe zurück”
“Jeder dritte Jurastudent will die Todesstrafe zurück – Rund ein Drittel sieht die lebenslange Freiheitsstrafe nicht als ausreichend an, über die Hälfte würde unter bestimmten Bedingung auch Folter befürworten.”
“Über die Hälfte würde unter bestimmten Bedingung auch Folter befürworten”
Folter. Todes- und Körperstrafen sind sicherlich verboten, aber kein – heute – bestehendes Gesetz ist für alle Ewigkeit festgeschrieben. Vielleicht sollte man sich an dieser Stelle einmal klar machen: Mit welchen Begründungen bestehende Grundrechte ausgehebelt werden können.
“Das Wort von der Rettungsfolter machte die Runde”
>>Die Würde ist antastbar von Ferdinand von Schirach (Buch) <<
“Das Wort von der Rettungsfolter machte die Runde. Bei Gäfgen handelte es sich weder um einen Terroristen noch um einen Mafioso. Viele waren und sind dennoch sofort bereit, ihm die Menschenwürde abzusprechen. Sogar der damalige Vorsitzende des Deutschen Richterbundes hielt Folter nicht für ausgeschlossen, und es gab Professoren, die dem zustimmten. Vielleicht glauben Sie ja, in diesem Land wären zumindest die bürgerlichen Politiker zu vernünftig, um Grundrechte wegen einer terroristischen Gefahr tatsächlich zu beschneiden. Das Gegenteil ist der Fall: Erst 2007 stimmten CDU, CSU und SPD für die Vorratsdatenspeicherung. Jeder Bürger konnte damit überwacht werden. Das Gesetz folgte auf die Anschläge in Madrid und London, nur so sei der Kampf gegen den Terror zu gewinnen. Später stellte das Bundeskriminalamt fest, dass sich die Aufklärung durch die Vorratsdatenspeicherung im besten Fall um 0,006 Prozentpunkte erhöhen würde. So wenig reichte also aus, um unsere Grundrechte zu verletzen.”
“Vorsitzende des Deutschen Richterbundes hielt Folter nicht für ausgeschlossen”
Um die Aufklärungsquote zu erhöhen: Lediglich 0,006 Prozentpunkte sind völlig ausreichend: Nach dieser Logik dürfte sich irgendein Argument für die Einführung von Folter und Körperstrafen finden lassen. Dabei ist die Gewaltkultur gar nicht so lange beendet.
“Gehirnerschütterung und blieb vier Wochen dienstunfähig” – “Schlug ein sechzigjähriger Lehrer 1970 mit Fäusten auf eine Referendarin ein”
>>Unser Kampf 1968 – ein irritierter Blick zurück von Götz Aly (Buch) <<
“Noch spielten sich viele Lehrer als Gewalthaber auf. Gemäß herrschender, auf das Reichsgericht gestützter Rechtsprechung war es ihnen »gewohnheitsrechtlich« erlaubt, Schüler mit Stockschlägen zu traktieren. Nicht ohne Grund warnten Frankfurter Schüler und Studenten 1969: »Gegen prügelnde Lehrer wehren wir uns in Zukunft mit Prügel!« … Im Jahr 1972 erklärte die Hamburger Schulbehörde das Schlagen von Schülern für rechtens, sofern es »maßvoll und angemessen und außerdem zu Erziehungszwecken vorgenommen« werde. Ebenfalls in Hamburg schlug ein sechzigjähriger Lehrer 1970 mit Fäusten auf eine Referendarin ein, die er für eine Schülerin hielt. Die Kollegin erlitt eine Gehirnerschütterung und blieb vier Wochen dienstunfähig. Im Jahr 1975 musste sich die Bundesregierung mit einer Kleinen Anfrage zur schulischen Züchtigungspraxis befassen. Die Regierung beruhigte den fragenden Abgeordneten mit der Auskunft, das Züchtigungsrecht der Lehrer sei mittlerweile durch entsprechende Verwaltungsvorschriften der Länder »in weitgehendem Umfang« eingeschränkt worden. Ein strafrechtlich wirksames Verbot lehnte sie »jedenfalls zunächst« ab. Anders verhielt es sich in der DDR. Im Februar 1952 beseitigte das Oberste Gericht die Züchtigungsbefugnis von Lehrern.”
“Lehrer als Gewalthaber” – “Auf das Reichsgericht gestützter Rechtsprechung war es ihnen »gewohnheitsrechtlich« erlaubt”
Erst im Jahr 1980 wurde die schulische Prügelstrafe im Bayern abgeschafft. Tatsächlich war die Züchtigung von “Untergebenen” weit verbreitet und nicht nur auf Kinder beschränkt. Erst um die Jahrhundertwende wurde das “Züchtigungsrecht” eingeschränkt.
“1900 wurde mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches das Züchtigungsrecht des Dienstherrn gegenüber seinem erwachsenen Gesinde abgeschafft”
>>Die geprügelte Generation von Ingrid Müller-Münch (Buch) <<
“1900 wurde mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches das Züchtigungsrecht des Dienstherrn gegenüber seinem erwachsenen Gesinde abgeschafft. Das Züchtigungsrecht gegenüber seinen minderjährigen Mägden und Knechten blieb weiterhin bestehen. Die preußische Gemeindeordnung erlaubte noch bis 1918 die Züchtigung von Gesinde durch ihre Herrschaft. … 1949 verbot die DDR offiziell Körperstrafen an Schulen. 1951 wurde das Recht des Lehrherrn zur »väterlichen Zucht« der Lehrlinge aufgehoben. Bis dahin hatte § 127a der Gewerbeordnung dem Lehrherrn dies ausdrücklich noch zugestanden. Inzwischen verbietet § 31 des Jugendarbeitsschutzgesetzes die Züchtigung von Auszubildenden.”
“1951 wurde das Recht des Lehrherrn zur »väterlichen Zucht« der Lehrlinge aufgehoben”
Zum Verständnis: Lehrlinge mussten schon damals nicht zwangsläufig Minderjährige sein. Natürlich kommt hierbei die Frage auf: Woher rührt das Recht andere Menschen zu schlagen überhaupt her? Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfte es noch übernommene Relikte aus der Sklaverei oder Leibeigenschaft sein. – Hört sich vielleicht abwegig an, aber die Lebensbedingungen von sogenannten “Gesinde” – noch zur Jahrhundertwende – hat sich nicht sonderlich davon unterschieden.
“Haussklavinnen” – “Nannte sie die Sozialistin Adelheid Popp in ihrer 1912 erschienenen gleichnamigen Broschüre”
>>Kaiser, Krieger, Heldinnen von Bettina Balàka (Buch) <<
“Köchinnen, Aufwartefrauen, Kindermädchen, Zofen und Stubenmädeln hielten den Haushalt rund um die Uhr am Laufen. Sie taten dies ohne gesetzliche Einschränkung der Arbeitszeit, also ohne das Recht auf Pausen oder ausreichende Nachtruhe und mit nur wenigen Stunden Ausgang jeden zweiten Sonntag. Oft kamen sie erst um Mitternacht ins Bett und waren um fünf Uhr morgens wieder auf den Beinen. Dabei waren viele ständig hungrig oder gar unterernährt, da man für ausreichende Mahlzeiten nicht sorgte. Zu essen bekamen die Dienstbotinnen oft nur die Reste vom Tisch der Herrschaft. „Haussklavinnen“ nannte sie die Sozialistin Adelheid Popp in ihrer 1912 erschienenen gleichnamigen Broschüre, in der sie auf die verheerenden Arbeitsbedingungen der „weiblichen dienenden Klasse“ hinwies. Die Dienstherren und -herrinnen besaßen sogar ein Züchtigungsrecht sowie das Recht, „entlaufene“ Dienstboten von der Polizei zurückbringen zu lassen.”
“Dienstherren und -herrinnen besaßen sogar ein Züchtigungsrecht sowie das Recht, „entlaufene“ Dienstboten von der Polizei zurückbringen zu lassen”
Letztendlich dürfte die Körperstrafen – bis hin zur Todesstrafe – ein Ausdruck einer Klassengesellschaft sein. Vereinfacht: Das Gesinde durfte seinen Dienstherren nicht schlagen. Diese Untertanenmentalität zieht sich bis in die Gegenwart fort. Ungerechtfertigte Polizeigewalt wird selten oder überhaupt nicht geahndet, während andersherum jeder verletzte Polizist fast schon eine Staatskrise auslöst. Michael Rohschürmann hat es recht gut zusammengefasst: “Die Körperstrafen – Der Mensch als Objekt der Macht”