Die dunkle Geschichte des organisierten Verbrechens nach dem Zweiten Weltkrieg

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Im Jahr 1946 schien es, als ob die amerikanischen Behörden dem organisierten Verbrechen eine kurze Verschnaufpause gönnten. Sie entließen eine der bekanntesten Figuren der Mafia, den berüchtigten Lucky Luciano, aus dem Gefängnis und schoben ihn nach Europa ab. Dieser Schritt war das letzte große Geschenk, das der US-Militärgeheimdienst diesem kriminellen Meistermind machte. Luciano, der bereits in den Jahren vor dem Krieg durch seinen Einfluss auf den internationalen Drogenhandel bekannt war, nutzte die neu gewonnene Freiheit sofort, um seine kriminellen Geschäfte wieder aufzuziehen und international auszubauen.

Lucianos Freilassung – Ein komplexes Spiel mit Geheimnissen und Versprechen

Bereits ein Jahr vor seiner Abschiebung hatten Lucianos Anwälte versucht, seine Freilassung zu erwirken. Sie beriefen sich auf die Dienste, die Luciano im Krieg für die US-Marine geleistet hatte, und auf seine angebliche Unterstützung der Kriegsanstrengungen. Obwohl die Geheimdienstoffiziere der Navy bei den Verhandlungen sehr verschwiegen blieben, gab ein Marineoffizier namens Commander Haffenden vertrauliche Briefe zu Lucianos Gunsten ab, die letztlich maßgeblich zu seiner Freilassung führten. Der damalige Gouverneur von New York, Thomas E. Dewey, der Luciano zehn Jahre zuvor verurteilt hatte, erklärte schließlich, dass seine langjährige Haftstrafe in eine Abschiebung umgewandelt werden könne. Grund dafür war, dass Luciano angeblich Informationen über mögliche feindliche Angriffe geliefert hatte, die den Krieg unterstützt hatten.

Lucianos Rückkehr nach Italien und der Neuanfang im Drogengeschäft

Innerhalb kurzer Zeit nach seiner Abschiebung in den Süden Europas schob die US-Regierung noch zahlreiche weitere Mafiosi aus, insgesamt mehr als hundert. Mit Unterstützung alter Freunde und ehemaliger Gefolgsleute aus New York begann Luciano in Italien, ein internationales Drogennetzwerk aufzubauen. Das Rauschgiftring, den Luciano nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben rief, wurde rasch zu einem der bedeutendsten in der Geschichte des Drogenhandels. Über mehr als ein Jahrzehnt hinweg transportierte er Morphium vom Nahen Osten nach Europa, verwandelte es in Heroin und exportierte die Mengen in die Vereinigten Staaten – ohne größere Festnahmen oder Beschlagnahmungen. Das Vertriebsnetz seiner Organisation in den USA trug maßgeblich dazu bei, die Zahl der Drogenabhängigen zu steigern: Von geschätzten 20.000 am Ende des Krieges über 60.000 im Jahr 1952 bis auf rund 150.000 in den sechziger Jahren.

Heroinproduktion: Von Labors in Sizilien und Marseille

Nachdem Luciano den Heroinhandel wieder in Gang gebracht hatte, stand er vor der Herausforderung, zuverlässigen Nachschub zu sichern. Anfangs nutzte er legal hergestelltes Heroin der bekannten italienischen Firma Schiaparelli. Doch nach Ermittlungen des FBI, die ergaben, dass über vier Jahre mindestens 700 Kilo Heroin an Luciano geliefert worden waren, verschärfte Italien seine Arzneimittelgesetze. Bereits zu dieser Zeit hatte Luciano jedoch eigene geheime Labors in Sizilien und Marseille eingerichtet und war somit nicht mehr auf die Produktion von Schiaparelli angewiesen. Seine bevorzugte Ware wurde nun Morphium. Durch seine Kontakte knüpfte Luciano eine langfristige Geschäftsbeziehung mit Sami El Khury, einem libanesischen Händler, der bald als größter Morphiumexporteur im Nahen Osten galt.

Der Schmuggel: Verdeckte Routen und internationale Netzwerke

El Khury, der dank Bestechungsgeldern und seinem hohen sozialen Status in Beirut geschützt wurde, organisierte den Import von Rohopium aus Anatolien in den Libanon, die Aufbereitung zu Morphium und schließlich den Export nach Sizilien und Marseille. Von dort aus wurde das Morphium in den Häfen in internationalen Gewässern auf Fischer- und Frachtschiffe geladen, die es in den Küstendörfern entlang der zerklüfteten europäischen Küste absetzten. In den geheimen Labors in Palermo, die ominös an Bonbonfabriken erinnerten, wurde das Morphium in Heroin umgewandelt. Die Fabrik, die 1949 eröffnet wurde, befand sich in einem von Lucianos Verwandten gemieteten Gebäude und wurde von Don Calogero geleitet. Bis zu ihrer Schließung im Jahr 1954 arbeitete das Labor ohne Zwischenfälle. Die Entdeckung durch die Medien führte jedoch zur sofortigen Schließung, wobei das Personal ins Ausland verschwand.

Von Produktion zu Schmuggel: Europa als Drehscheibe

In den frühen fünfziger Jahren, als Marseille mit besseren Chemikern und politischer Unterstützung aufrüstete, stellte Luciano die Eigenproduktion ein und verlagerte sich auf den Schmuggel. Das fertige Heroin wurde in komplexen Netzwerken durch Europa transportiert, wobei Verbindungen zu Mafia-Clans und korsischen Händlern genutzt wurden. Über verschlungene Routen wurde das Drogenmaterial in die USA gebracht, meist versteckt in Obst, Gemüse oder Süßigkeiten – eine Strategie, um Beschlagnahmungen zu vermeiden. Von Europa aus wurde das Heroin dann auf verschiedenen Wegen nach Nordamerika geschmuggelt, sei es über Kanada, Kuba oder direkt nach New York.

Lucianos Organisationstalent und der Einfluss seiner Verbündeten

Obwohl Lucianos Einfluss und Organisationstalent unbestritten waren, verdankte er einen Großteil seines Erfolgs auch seinen klugen Verbündeten. Nach seiner Abschiebung 1946 übertrug er die Verwaltung seines Finanzimperiums an seinen langjährigen Partner Meyer Lansky. Lansky spielte eine zentrale Rolle bei der Organisation des Heroinhandels, überwachte Schmuggeloperationen, verhandelte mit korsischen Herstellern und kümmerte sich um die Zahlungsabwicklung und Verschleierung der Gewinne. Seine Kontrolle über die Karibik, insbesondere über Kuba, sowie seine Beziehung zur Familie Trafficante waren entscheidend, da viele Lieferungen ihre Zwischenstationen dort fanden.

Kuba: Das Tor zum internationalen Rauschgiftschmuggel

Die Karibik war für die amerikanischen Gangster ein äußerst lukrativer Raum. Die meisten Regierungen vor der Revolution waren ihnen wohlgesonnen, da die illegalen Geschäfte für sie eine wichtige Einnahmequelle darstellten. Bereits in den 1930er Jahren hatte Meyer Lansky die Karibik für das organisierte Verbrechen entdeckt und dort in illegale Glücksspielunternehmen investiert. Als er in den frühen 1940er Jahren nach Miami Beach zog, kontrollierte er zahlreiche Casinos und Hotels. Später zog er nach Havanna, das damals als „sicherer Hafen“ für das Verbrechen galt. Dort gehörten ihm die meisten Casinos, und seine Handlanger, die Trafficante-Familie, lenkten das lokale Geschäft.

Lucianos Besuch in Kuba und die Weichenstellung für den internationalen Drogenhandel

Sein Aufenthalt in Kuba im Jahr 1947 markierte den Beginn einer tiefgreifenden Verbindung zwischen dem organisierten Verbrechen der USA und der Karibik. Luciano traf sich mit führenden Figuren der Mafia, drängte auf Schmuggelrouten durch die Region und investierte hohe Summen in Bestechungsgelder bei Regierungsvertretern. Das Ziel war, Kuba zu einem zentralen Knotenpunkt für den internationalen Rauschgiftschmuggel zu machen. Ein Bericht der US-Drogenbehörde wies darauf hin, dass Luciano die Unterstützung hochrangiger kubanischer Beamter bereits gesichert hatte und die Insel zum wichtigsten Drehkreuz für Heroinimporte aus Europa werden sollte.

Das Ende in Kuba und die Expansion in die USA

Unter Druck der USA musste Luciano schließlich das Land verlassen. Doch seine Pläne waren bereits in die Wege geleitet: Er hatte mit den amerikanischen Mafia-Bossen vereinbart, die Heroinlieferungen aus Europa weiterhin zu kontrollieren und in die USA zu schmuggeln. Die Karibik blieb dabei ein lukrativer Standort. Die Regierungen in der Region, vor allem in Kuba, hatten die illegalen Geschäfte bereits vorher toleriert, weil sie dringend benötigtes Kapital brachten. Schon in den 1930er Jahren hatte Lansky die Region für das organisierte Verbrechen erschlossen und dort Casinos sowie illegale Wetten betrieben.

Meyers Einfluss und die Verlagerung der Macht nach Kuba

Meyer Lansky, der enge Vertraute Lucianos, war maßgeblich an der Steuerung der Geschäfte beteiligt. Er zog in den frühen 1940er Jahren nach Havanna, wo er Casinos leitete, und war maßgeblich an der Entscheidung beteiligt, Miami zur „freien Stadt“ zu erklären – eine Region, in der das organisierte Verbrechen unbehelligt operieren konnte. Während des Zweiten Weltkriegs war Lansky Eigentümer eines Casinos im Hotel Nacional und kontrollierte die lokale Pferderennbahn. Die Verantwortung für das tägliche Geschäft lag bei lokalen Mafiosi wie Santo Trafficante senior, der sich mit den Geschäften in Florida und Havanna bestens auskannte.

Santo Trafficante junior: Der Schlüsselmann in Havanna und darüber hinaus

Der Sohn des berühmten Mafiosi übernahm in den 1950er Jahren die Kontrolle über die Geschäfte seines Vaters und wurde zu einer der wichtigsten Figuren in der Drogen- und Glücksspiellandschaft Havannas. Offiziell leitete er das bekannte Sans-Souci-Kasino, doch in Wirklichkeit war er weit mehr: Er kontrollierte große Teile des Tourismus, organisierte den Import und Export von Heroin und war eng mit dem Diktator Fulgencio Batista verbunden. Seine Rolle war entscheidend für den Schmuggel von europäischen Heroinlieferungen nach Amerika, wo die Mafia die Geschäfte weiterführte.

Die Verschmelzung von Verbrechensnetzwerken und Politik

Lucianos kriminelle Organisationen waren nach dem Krieg fest in internationalen Netzwerken verankert. Mit Unterstützung von Verbündeten wie Lansky, Trafficante und den korsischen Herstellern wurde aus Europa, der Karibik und den USA ein komplexes System geschaffen, das den globalen Drogenhandel dominierte. Kuba spielte dabei eine zentrale Rolle als Drehscheibe, wobei die politischen Verhältnisse und die Korruption eine stabile Grundlage boten. Die Geschichte zeigt, wie tief die Verbindung zwischen organisierten Verbrechern, politischen Machtstrukturen und internationalen Schmuggelnetzwerken galt – eine dunkle Ära, in der Kriminalität, Politik und Wirtschaft untrennbar verbunden waren.