„Arbeitsscheu“ -„Mit der „Hartz IV“-Reform erlebte der Spuk eine Renaissance“
Eine Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger? – Solche Forderungen tauchen – auf Ministerebene – immer mal wieder auf und die Begrifflichkeit der vermeintlichen „Arbeitsscheue“ ist meist auch nicht fern. Tatsächlich gab schon das Strafgesetzbuch der DDR ungefähr-vergleichbare Formulierungen her.
„Arbeitsscheu“ – Schon der NS-Staat kannte die Begrifflichkeit
Aber auch in der Bundesrepublik konnten lange Zeit vermeintlich „Arbeitsscheue“ im Gefängnis landen. Die Grundstein hierfür setzte einst der NS-Staat ein. Doch die Gängelung von Hartz-IV-Empfänger ist längst nicht alles: Mittlerweile werden sogar Berufsgruppen gezielt öffentlich differiert. Die ganze Rhetorik ruft Erinnerungen an alte Zeiten wach.
„Pflicht zur Arbeit fand auch Eingang in das Strafgesetzbuch der DDR“
>>Frauen in der DDR von Anna Kaminsky (Buch) <<
„Die Pflicht zur Arbeit fand auch Eingang in das Strafgesetzbuch der DDR. Menschen, die sich aus »Arbeitsscheu« einer geregelten Arbeit entzögen, sollten mit Arbeitserziehung bzw. Freiheitsentzug von zwei bis fünf Jahren bestraft werden können. Zusätzlich konnten staatliche Maßnahmen zur Kontroll- und Erziehungsaufsicht wie verschärfte Meldepflichten und Arbeitsplatzzwang verhängt werden.“
Arbeitsscheu in der DDR: „Sollten mit Arbeitserziehung bzw. Freiheitsentzug von zwei bis fünf Jahren bestraft“
Allerdings, auf der anderen Seite der Mauer sah es lange Zeit kaum besser aus. Auch in der ehemaligen BRD waren lange Zeit ungefähr-vergleichbare Gesetze festgeschrieben. Vermeintlich „Arbeitsscheue“ konnten problemlos einsperrt werden.
„Bundessozialhilfegesetz von 1961“ – „Arbeitsscheu“ – „Rechtsgrundlage zum Freiheitsentzug“
„Zu tief sitzt das Misstrauen gegen Menschen, die in Armut leben. Das alte Gespenst des „Arbeitsscheuen“, der böswillig in Armut lebt und der Gesellschaft schaden will, spukt bis heute in den Köpfen. Noch das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) von 1961 … enthielt eine Rechtsgrundlage zum Freiheitsentzug wegen „Arbeitsscheu“ in „Arbeitshäusern“. … „Arbeitsscheue“, so das Bundesverfassungsgericht 1970, dürften von Verfassung wegen eingesperrt werden. Denn sie gefährdeten die Allgemeinheit. 1974 strich die sozialliberale Koalition dann die Arbeitshäuser und mit ihnen den Begriff der „Arbeitsscheu“ aus dem Gesetz. Mit der „Hartz IV“-Reform erlebte der Spuk eine Renaissance.“
„Arbeitsscheu“ -„Mit der „Hartz IV“-Reform erlebte der Spuk eine Renaissance“
Eigentlich stellt Hartz IV einem Rückfall in ganz alte Zeiten dar. Denn der Begriff „Arbeitsscheu“ rührt nämlich weder aus der DDR, noch der BRD her: Während der NS-Zeit wurde der Begriff im großen Umfang bei Behörden eingesetzt. Die beiden deutschen Nachfolgestaaten haben die Begrifflichkeit – ohne Bedenken – einfach übernommen.
„Die als «arbeitsscheu» und «asozial» eingestuften Menschen wurden von den Nationalsozialisten verfolgt“
>>Die Gestapo: Herrschaft und Terror im Dritten Reich von Carsten Dams & Michael Stolle (Buch) <<
„Auch die als «arbeitsscheu» und «asozial» eingestuften Menschen wurden von den Nationalsozialisten verfolgt. Zunächst war die Kriminalpolizei für die als «Gewohnheits-» oder «Berufsverbrecher» bezeichneten Personen zuständig. Bei Ergreifen wurden sie in Vorbeugehaft genommen.[45] Mit dem Aufkommen des sozialhygienischen und gesellschaftsbiologischen Verfolgungskonzepts der SS- und Polizeiführung seit 1937 wurde die Gestapo mit der Verfolgung betraut. Im März 1937 befahl Himmler die Verhaftung von 2000 «Gewohnheitsverbrechern», das hieß Personen mit Vorstrafenregister, selbst wenn dort nur Bagatelldelikte eingetragen waren. Die Verhaftungswellen der Jahre 1937 und 1938 betrafen nicht mehr hauptsächlich die politischen Gegner des NS-Regimes, sondern «Arbeitsscheue» und «Asoziale». Jeder, der seinen Dienst an der Volksgemeinschaft nicht erfüllte, sollte in Schutzhaft genommen werden dürfen.“
„Verhaftungswellen der Jahre 1937 und 1938“ – „Arbeitsscheue“ & „Asoziale“
Wer nicht die verlangte Arbeitsleistung erbrachte: Der wurde ebenfalls als „Asozial“ eingestuft. Da die Definition derart schwammig gestaltet war: Weshalb sogar Verkehrssünder und sexuell-freizügige Frauen darunter fallen konnten. Im Konzentrationslager mussten „Asoziale“ eine eigene Armbinde zur Unterscheidung tragen.
„Nazi-Rhetorik gleicht heutigem Diskurs über Randgruppen“
„Sozialwissenschafterin: Nazi-Rhetorik gleicht heutigem Diskurs über Randgruppen – „Sozialschmarotzer“, „Arbeitsscheue“ sind Begriffe, die während der NS-Zeit für Menschen verwendet wurden, die als „asozial“ eingestuft und verfolgt waren. „Die Rhetorik erinnert mich sehr an den heutigen Diskurs“, sagte die Sozialwissenschafterin Helga Amesberger.“
„Die Rhetorik erinnert mich sehr an den heutigen Diskurs“
Die Diskussion um „Arbeitsscheue“ oder „Asoziale“ hat schon längst jeden vernünftigen Rahmen verlassen. Würde es tatsächlich sogenannte „Arbeitsscheue“ im großen Stil geben: Dann müsste sich die Arbeitslosigkeit – gemäß der Wahrscheinlichkeit – relativ gleichmäßig über das ganze Land verteilen: Stattdessen ist das Gegenteil zu beobachten: Die Arbeitslosigkeit sehr ungleich verteilt und ist auf bestimmte Regionen konzentriert. Kurzum: Die meisten Arbeitslosen sind unfreiwillig ohne Arbeit. Doch diese einfach Logik dringt überhaupt nicht mehr durch.
Die meisten Arbeitslosen sind unfreiwillig ohne Arbeit
Ohnehin haben nicht nur Arbeitslose unter Diffamierungen zu leiden: Sogar Landwirte geraten immer stärker in den Fokus hinein.
„Bauern-Bashing: Französische und deutsche Bauern leiden am meisten“
„Bauern-Bashing: Französische und deutsche Bauern leiden am meisten – Mehr als 30 Prozent der französischen und deutschen Landwirte fühlen sich aufgrund von öffentlichem „Bauern- Bashing“ demotiviert.“
„Fühlen sich aufgrund von öffentlichem „Bauern- Bashing“ demotiviert“
Wo die Diffamierung herkommt? – Viele Journalisten stammen aus einen reichen-urbanen Elternhaus heraus. Dazu muss man auch keine wissenschaftlichen Studien bemühen: Es schwingt in der Berichterstattung quasi überall durch. Die politischen und behördlichen Eliten werden angehimmelt und über den ganzen „Rest“ wird die Nase gerümpft.