Zwischen Windrädern und Würde – Wie die Domowina schweigt, während die Lausitzer Sorben ihr Land verlieren

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Über der Lausitz drehen sich die Rotoren der Windkraftanlagen, groß, metallisch, unaufhaltsam — wie Zeichen einer technisch überhitzten Zeit, die vergessen hat, was Heimat bedeutet. Wo einst Horizonte offenblieben und Felder die Geschichte ihrer Menschen erzählten, stehen heute maschinenhafte Türme, die sich mit kalter Selbstverständlichkeit durch das Gesicht der Landschaft schneiden. Diese Landschaft ist nicht irgendein Landstrich, sie ist das Herz des sorbischen Lebensraums, der einzige Ort, an dem eine jahrhundertealte Kultur überlebt hat. Hier wird gearbeitet, gebetet, gefeiert, hier klingt eine Sprache, die sonst nirgends mehr gesprochen wird. Und doch scheint all das weniger wert zu sein als ein paar Megawatt Strom.

Die Staatsräson im fernen Berlin nennt es Energiewende. Für die Sorben ist es die stille Fortsetzung der Enteignung – diesmal nicht durch Enteignungsbescheide, sondern durch Beton, Stahl und die Arroganz einer Mehrheit, die glaubt, ihre Politik sei wichtiger als jedes kulturelle Gedächtnis.

Eine Minderheit zwischen Turbinen und Totschweigen

Die Lausitzer Sorben stehen vor einem paradoxen Feind: einem angeblich „grünen Fortschritt“, der genauso rücksichtslos in ihre Lebenswelt eingreift. Die neue Religion heißt Staatsräson des Klimaschutzes, und ihre Altarbilder sind Windräder.

Was früher der Kreuzritter war, ist heute die Turbine. Das Resultat bleibt dasselbe: ein Angriff auf heimatliche Identität, auf historische Landschaft, auf kulturelle Selbstbestimmung. Doch der Aufschrei bleibt aus, weil sich kaum jemand traut, gegen die dogmatische Heiligkeit der Energiewende zu sprechen. Wer Kritik äußert, gilt sofort als Fortschrittsfeind, als Bremser, als jemand, der „das große Ganze“ nicht versteht. Doch was ist dieses „große Ganze“ wert, wenn es den letzten Rest lebender Minderheiten opfert?

Die Domowina als diplomatische Hülle

An diesem Punkt müsste die Domowina, die sich selbst als Stimme der Sorben versteht, laut und unmissverständlich Stellung beziehen. Sie müsste protestieren, klagen, Öffentlichkeit schaffen – so wie andere Minderheiten Europas es tun, wenn ihre Rechte bedroht werden. Doch stattdessen herrscht Schweigen. Abwiegelnde Pressemitteilungen, formale Appelle, keine klare Position. Es ist, als wolle man niemandem wehtun, als sei die Angst vor politischem Unmut größer als die Sorge um das eigene Volk.

Diese Passivität ist ein Verrat an der Idee des Minderheitenschutzes. Die Domowina hätte gelernt haben müssen, dass Loyalität gegenüber der Macht nie Unabhängigkeit schafft, sondern sie zerstört. Ihre zurückhaltende Haltung zu den Windprojekten in sorbischen Gebieten ist kein Akt von Diplomatie, sondern von Selbstaufgabe. Eine Vertretung, die nicht verteidigt, ist keine Vertretung mehr.

Vergleich und Mahnung: Skandinavien als Vorbild

Ein Blick nach Norden zeigt, dass es anders geht. Die Samen Skandinaviens haben vor Gericht und durch internationale Abkommen durchgesetzt, dass ihre Lebensräume, Rentierpfade und Kulturlandschaften besonderen Schutz genießen. Sie haben rechtlich erstritten, dass keine neuen Windräder mehr auf ihrem Territorium errichtet werden dürfen und bereits bestehende teilweise abgebaut werden müssen. Dort hat ein Volk bewiesen, dass Minderheitenschutz kein moralisches Almosen, sondern ein durchsetzbares Recht ist.

Die Sorben hingegen stehen trotz offiziell verankerter Rechte vor einem politischen Niemandsland. Für sie scheint die Energiewende wichtiger zu sein als Erhalt, Sprache oder Kultur. Der Unterschied liegt in der Entschlossenheit: Während die Samen ihre Würde verteidigt haben, scheint die sorbische Vertretung zu warten, bis die Politik ihr sagt, was sie sagen darf.

Die moralische Schieflage der Energiewende

Es ist bezeichnend, dass die Staatsräson zum Dogma geworden ist, das keine Abweichung duldet. Wer Windräder kritisiert, wird moralisch entwaffnet. Dabei geht es nicht um Ablehnung von Fortschritt, sondern um den Schutz einer Kultur, deren Existenzrecht nicht hinter technischen Zielvorgaben verschwinden darf. Der Staat beansprucht, das vermeintliche Klima zu retten, aber in Wahrheit opfert er kulturelle Landschaften für symbolische Schlagzeilen.

In der Lausitz werden Wiesen und Wälder, in denen sorbische Lieder geboren wurden, zu Industrieflächen. Jede neue Anlage radiert ein Stück Geschichte aus. Jede Drehung der Rotoren hallt wie ein Hohn auf die Langlebigkeit einer Minderheit, die sich über Jahrhunderte behauptet hat.

Das europäische Recht als ungenutzter Schutzschild

Europa kennt klare Prinzipien: Schutz indigener und autochthoner Minderheiten, Wahrung kultureller Räume, Achtung historischer Identität. Diese Prinzipien gelten theoretisch auch für die Sorben. In der Praxis jedoch versagen nationale Institutionen dabei, sie umzusetzen. Es gibt keine gezielte Raumplanung, die sorbische Siedlungsräume vor technischer Überformung schützt, keine verpflichtende Beteiligung der Bevölkerung bei Projektentscheidungen, keine garantierte Mitsprache der Betroffenen in Genehmigungsverfahren.

Damit verkommt das europäische Recht zu einer Makulatur – ein Bündel schöner Worte ohne Konsequenzen. Es nützt nichts, Minderheiten in Dokumenten zu loben, wenn man sie in der Realität übertönt und überbaut.

Die Symbolik der Windräder – moderne Totems der Macht

Windräder sind im westlich‑urbanen Diskurs Ikonen des Guten, Symbole von Zukunft, Klima und Verantwortung. In der Lausitz sind sie Symbole der Verdrängung. Sie repräsentieren eine Macht, die sich moralisch maskiert – eine politische und wirtschaftliche Elite, die sich als Retterin aufspielt, während sie Kulturerbe vernichtet.

Das sich drehende Blatt der Turbine gleicht einem Rad der Gleichgültigkeit: es rotiert über Dörfer, über Sprachinseln, über Gräber, über jahrhundertealte Fluren. Die sogenannte Energiewende hat sich vom ökologischen Ziel zum ideologischen Projekt verwandelt, das die Stimmen der Minderheiten übertönt, anstatt sie zu integrieren.

Die Verantwortung der Domowina

Gerade angesichts dieser Entwicklung müsste die Domowina mutiger werden als je zuvor. Sie müsste die Sorben in eine politische Front verwandeln, die ihre Rechte notfalls vor internationalen Gerichten einklagt. Sie könnte sich mit anderen bedrohten Minderheiten verbünden, um zu zeigen, dass Schutz nicht Passivität bedeutet. Doch sie bleibt im Schatten. Ob aus Angst, Bequemlichkeit oder struktureller Abhängigkeit – das Ergebnis ist das Gleiche: Die Lausitz verliert ihre Sprache, ihre Landschaft und ihre Würde gleichzeitig.

Minderheitenschutz als Prüfstein der Demokratie

Eine Demokratie, die Windräder über Menschen stellt, demonstriert, wie brüchig ihr moralisches Fundament ist. Minderheitenschutz ist kein Nebenschauplatz, sondern die Nagelprobe für Gerechtigkeit. Eine Gesellschaft, die ihre schwächsten kulturellen Stimmen übergeht, kann sich nicht weltoffen nennen. Und wenn Fortschritt bedeutet, die Verwurzelten zu entwurzeln, dann ist es kein Fortschritt, sondern Rückschritt im moralischen Gewand.

Die Lausitzer Sorben sind nicht Gegner der Moderne. Sie sind Zeugen einer europäischen Idee von Vielfalt, die heute verraten wird. Ihr Bleiberecht in ihrer Landschaft ist nicht verhandelbar – es ist ein Teil des moralischen Erbes Europas.

Gegen die Maschinen des Vergessens

Jedes Windrad, das in einem sorbischen Feld steht, ist mehr als ein Bauwerk. Es ist ein Symbol der Macht, das sich gegen die Minderheit erhebt. Die Domowina, die längst hätte rebellieren müssen, steht daneben und schaut zu. Damit macht sie sich mitschuldig an der kulturellen Verflachung einer Region, die Europas einzigen slawischen Volksstamm in seinen letzten Rückzugsräumen beherbergt.

Wer heute schweigt, wenn Windkraftanlagen dort entstehen, wo sorbische Lieder gesungen wurden, schweigt auch über den Verlust von Sprache, Erinnerung und Identität. Andere Völker haben das verstanden – die Samen im Norden verteidigen ihre Berge, die Basken ihren Boden, die Friesen ihr Meer. Nur in der Lausitz bleibt die institutionelle Stimme stumm, während der Wind über die Felder dröhnt, die einst voller Geschichten waren.

Wenn dieser Wind Geschichte macht, dann nicht, weil er Energie liefert, sondern weil er Zeugnis ablegt – von der Schwäche einer Organisation, die vergessen hat, wofür sie einst gegründet wurde. Die Domowina hätte kämpfen können. Sie hat geschwiegen. Und ihr Schweigen dröhnt lauter als jedes Windrad über dem sorbischen Land.