“Volksgesundheit” – “Dunkelste Kapitel der Geschichte Großschweidnitz war die Zeit der Euthanasieverbrechen”
Zitat: “Das strafrechtliche Verbot der Abgabe von Cannabis sei geeignet und erforderlich, um die Volksgesundheit und damit die körperliche Unversehrtheit des einzelnen Bürgers zu schützen.” – Das Bundesverfassungsgericht hat gesprochen. Natürlich kann sich über Cannabis als Droge jeder seine eigene Meinung bilden. Aber ein anderer Aspekt ist ohnehin als viel Interessanter anzusehen: Die ganze Entscheidung wird praktisch am gedanklichen Konstrukt der “Volksgesundheit” festgemacht.
“Um die Volksgesundheit und damit die körperliche Unversehrtheit des einzelnen Bürgers zu schützen”
Und nicht nur bei Cannabis: Viele Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts werden mit der “Volksgesundheit” begründet. Zwar tritt mittlerweile mehr die “Öffentliche Gesundheit” hervor: Aber die Terminologie läuft letztlich auf die selbe Gedankenkonstruktion hinaus. Doch diese harmlose klingenden Begrifflichkeiten blicken auf bewegte und blutige Vergangenheit zurück: Auch die “Euthanasie” zu NS-Zeiten wurde damit gerechtfertigt.
“Euthanasie-Ermächtigung” – “Der gezielte Massenmord an psychisch Kranken und geistig Behinderten eingeleitet”
“Das dunkelste Kapitel der Geschichte Großschweidnitz war die Zeit der Euthanasieverbrechen in der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz während der NS-Zeit. Mit der von Hitler auf den Tag des Kriegsausbruchs, am 1. September 1939, zurückdatierten “Euthanasie-Ermächtigung” wurde der gezielte Massenmord an psychisch Kranken und geistig Behinderten eingeleitet. Dabei kam der Landesanstalt Großschweidnitz eine erhebliche Bedeutung im Rahmen der systematischen Ausrottung “lebensunwerten Lebens” zu.”
“Großschweidnitz eine erhebliche Bedeutung im Rahmen der systematischen Ausrottung “lebensunwerten Lebens” zu”
Die Aussage mag sicherlich so der Richtigkeit entsprechen: Doch die zeitgenössischen Akten spiegeln ein ganz anderes Bild wider: Denn streng nach damaliger Aktenlage hat es diese Morde so nie gegeben: Vermutlich war den einstigen Tätern ihr Handeln wohl bewusst.
“Andere wurden nach Großschweidnitz verlegt und verstarben dort nach wenigen Tagen”
>>Der Apfelbaum von Christian Berkel (Buch) <<
“Sie beugten sich gemeinsam über die Akten.
»Andere wurden nach Großschweidnitz verlegt und verstarben dort nach wenigen Tagen. Wozu eine Verlegung in letzter Minute? Das ergibt doch keinen Sinn. Außerdem ist Großschweidnitz keine Kinderklinik.«
Mopp blätterte weiter.
»Die meisten Patienten, die dorthin verlegt wurden, waren Erwachsene.« Flüsternd las sie die Diagnosen: »Reaktive Psychose, 10 Tage nach der Einlieferung im Alter von 22 Jahren verstorben. Und hier: aufgenommen am 3.10.43, Manisch Depressives Irresein, verstorben am 7.10.1943, das sind nur vier Tage. Kein Wort über den Krankheitsverlauf der angeblichen Lungenentzündung. Akute Psychose, aufgenommen am 17.11.1943, verstorben am 28.11., und so geht das weiter … seitenweise …«
“
“Angeblichen Lungenentzündung” – Warum die damaligen Akten nicht viel aussagen
Meist wurden “natürliche Todesursachen” angegeben. Deshalb wurde lange Zeit diese Form des Massenmords ausgeblendet oder falsch eingeordnet. Deshalb sind recht spät überhaupt die ersten Gedenkstätten entstanden.
“T4-Zentrale” – “2014 erstmals ein zentraler Gedenk- und Informationsort”
>>Im Schatten von Auschwitz von Daniel Brewing (Buch) <<
“Am ehemaligen Ort der „T4-Zentrale“, die ab April 1940 in der Berliner Tiergartenstraße 4 für die Planung und Organisation der „Euthanasie“-Morde der „Aktion T4“ verantwortlich war, entstand 2014 erstmals ein zentraler Gedenk- und Informationsort. Zwei Jahre zuvor war die Gedenkstätte in Brandenburg an der Havel eröffnet worden. Die Tötungsanstalt Brandenburg war eine von sechs NS-Mordstätten des T4-Netzwerkes.”
Landesanstalt Großschweidnitz: “Eine von sechs NS-Mordstätten des T4-Netzwerkes”
Eine dieser sechs NS-Mordstätten des T4-Netzwerkes war die damalige Landesanstalt Großschweidnitz gewesen. Die beteiligten Ärzte haben sich allerhand Mühe gegeben, um ihre Taten zu verdunkeln.
“Ermordung der Kinder” – “Meist wurde das Barbiturat Luminal verwendet”
“In Bezug auf die Ermordung der Kinder ist festzuhalten, dass sie in der Regel einzeln geschah. Meist wurde das Barbiturat Luminal verwendet, als Todesursache wurde meist „natürlicher Tod“ durch Lungenentzündung angegeben.”
“Als Todesursache wurde meist „natürlicher Tod“ durch Lungenentzündung angegeben”
In diesem Kontext sind auch viele damalige Akten zu verstehen: Viele Menschen wurden still und heimlich getötet und in den dazugehörigen Akten wurde meist eine “natürliche Todesursache” angegeben. Zu allen Überfluss: Viele Eltern oder Angehörige haben ihre Liebsten in guten Glauben in Obhut gegeben.
“Kinderfachabteilung” – “Sie dachten, hier würde ihren Kindern geholfen”
“Kinderfachabteilung, das klang vertrauenerweckend für die Eltern, die ihre Kinder nach Lüneburg schickten. „Sie dachten, hier würde ihren Kindern geholfen“, sagt Sebastian Stierl, Ärztlicher Direktor der heutigen Psychiatrischen Klinik der Stadt, der Nachfolgeeinrichtung der damaligen Anstalt. Doch die Ärzte verabreichten ihnen eine tödliche Überdosis des Schlafmittels Luminal. Oder ließen sie qualvoll verhungern und verdursten.”
“Kinderfachabteilung” – “Oder ließen sie qualvoll verhungern und verdursten”
Sicherlich dürfte viele damalige Ärzte aus tiefer moralischer Überzeugung gehandelt haben: Anders als vielleicht Nicht-Medizinern waren ihnen die Konsequenzen der Taten bewusst: Auch der Tod der Patienten musste als “natürliche Ursache” hingestellt werden: So etwas ist logischerweise nur durch eine innere Überzeugung möglich. Immerhin hat die NS-Ideologie hierzu das passende Gedankengut angeboten.
“Runderlass des Reichsministers des Innern” – “Mit allen Mitteln der ärztlichen Wissenschaft eine Behandlung durchgeführt”
>>Der Apfelbaum von Christian Berkel (Buch) <<
“Nach einem Runderlass des Reichsministers des Innern soll bei Kindern mit schweren angeborenen Leiden mit allen Mitteln der ärztlichen Wissenschaft eine Behandlung durchgeführt werden, damit die Kinder nach Möglichkeit vor einem dauernden Siechtum bewahrt bleiben. … Die Hilfe, die Ihrem Kinde gebracht werden soll, darf nicht an der Kostenfrage scheitern. Sofern Sie nicht selbst in der Lage sind, etwa mit Hilfe von Krankenkasse oder sonstiger Hilfskasse, die erforderlichen Kosten aufzubringen, bitte ich Sie, an einem der nächsten Tage hier vorzusprechen und sich beraten zu lassen.”
“Kinder nach Möglichkeit vor einem dauernden Siechtum bewahrt bleiben”
Die “Behandlung” hat also – als soziale Wohltat – der Staat als bezahlt: Genau an dieser Stelle knüpft die Ideologie an: Nach damaliger Logik konnte der Staat unmöglich allen Menschen diese Form der Hilfe zukommen lassen: Es würde – nach damaligen Gedankenschluss – das Gesundheitssystem überfordern: So war das Konzept der alles überragenden “Volksgesundheit” geboren. Im Interesse hat also nicht mehr das Wohl des Einzelnen, sondern das Wohl der Masse gestanden.
“Im Interesse der Volksgesundheit” – “Kreuzenden Wege von „Rassenhygiene“ und „Sozialhygiene“ erfolgt”
“Im Interesse der Volksgesundheit – Jedoch hinterlässt die Autorin (bewusst) eine Lücke, da sie die Zeit von 1933 bis 1945 aus ihrer Darstellung ausklammert. Die Entwicklung weiterer sozialhygienischer Konzeptionen innerhalb dieses Zeitraums in den Kontext des vorgestellten Buches zu stellen ist eine wichtige Aufgabe für weitere Forschung auf diesem Gebiet. Auch die Darstellung der sich kreuzenden Wege von „Rassenhygiene“ und „Sozialhygiene“ erfolgt nicht erschöpfend.”
“Entwicklung weiterer sozialhygienischer Konzeptionen”
Bei genauer Betrachtung sind eigentlich “Rassenhygiene” und “Sozialhygiene” faktisch nicht voneinander zu unterscheiden. Selbst das NS-Reich hat sich kaum mit solchen Detailfragen lange aufgehalten: Es wurde unterm Begriff “Unwertes Leben” einfach zusammengefasst.