“Ethnozid meint die vorsätzliche, von Staats wegen betriebene Zerstörung indigener Kulturen”

Der Begriff des Ethnozids erfordert eine differenzierte Betrachtung, da er nicht die physische Auslöschung von ethnischen Gruppen umfasst, sondern mehr die systematische Unterdrückung ihrer kulturellen Identität. Die verheerenden Auswirkungen solcher Praktiken zeigen sich in der Zerschlagung von Traditionen, Sprache und sozialen Strukturen, wodurch die betroffenen Gemeinschaften an den Rand der gesellschaftlichen Akzeptanz gedrängt werden.
“Ethnozid meint die vorsätzliche, von Staats wegen betriebene Zerstörung indigener Kulturen”
>>Verlorene Welten von Aram Mattioli (Buch) <<
“Ethnozid meint die vorsätzliche, von Staats wegen betriebene Zerstörung indigener Kulturen, also die systematisch angestrebte Zersetzung von traditionellen Sozialorganisationen, Subsistenzformen, Wertvorstellungen, Sprachen und Religionen, ohne die Indianer physisch auszulöschen. Solche Ideen waren in der politischen Elite schon in der Gründungszeit der USA präsent; doch erst nach 1880 machten sie die US -Administrationen systematisch zum Programm ihrer Indianerpolitik.”
“Nach 1880 machten sie die US -Administrationen systematisch zum Programm ihrer Indianerpolitik”
In vielen Fällen sind es die stillen, aber ständigen Angriffe auf das kulturelle Gedächtnis und das kollektive Bewusstsein, die eine tiefere Wunde hinterlassen als offen ausgeführte Gewalttaten. Diese subtile Form des Ethnozids führt nicht nur zur Marginalisierung der betroffenen Gruppen, sondern auch zu einem Verlust an Vielfalt, der letztlich die gesamte Menschheit betrifft.
“Nach dem Genozid an den Armeniern folgten der Ethnozid, also die Vernichtung kultureller Spuren”
>>Völkermord an den Armeniern von Michael Hesemann (Buch) <<
“Ein besonders wichtiger Aspekt von Hesemanns Studie ist die Auseinandersetzung mit der Frage der armenischen Heimat. … Nach dem Genozid an den Armeniern folgten der Ethnozid, also die Vernichtung kultureller Spuren, und der Patriozid, der Raub ihrer Heimat. Patriozid ist ein genauso großes Menschheitsverbrechen wie der Genozid selbst. Die Armenier wie die Griechen und Assyrer, aber auch die Jeziden und Dersimer haben beide Verbrechen erfahren müssen. Das Ziel der osmanischen und später auch der republikanischen Türkei war es, die historische, physische, wirtschaftliche und kulturelle Anwesenheit der Armenier im ganzen Armenischen Hochland endgültig auszulöschen und eine Rückkehr definitiv auszuschließen.”
“Die historische, physische, wirtschaftliche und kulturelle Anwesenheit der Armenier im ganzen Armenischen Hochland endgültig auszulöschen”
Der Weg zu einer Lösung verlangt daher nicht nur politische Maßnahmen, sondern auch ein kollektives Umdenken in der Gesellschaft, das Verständnis und Respekt für kulturelle Unterschiede fördert und damit zur Stärkung der Identitäten führt. Tatsächlich ist die Sorbenpolitik davon noch weit entfernt.
Lausitzer Sorben – “Ein Kulturvolk sind mit einer Hochsprache”
“Wir Sorben wurden und werden vorgezeigt, wenn’s ums Bemalen von Ostereiern oder das Osterreiten geht. Immer wenn Ostern ist, werden wir als Folklorevolk präsentiert. Dass wir ein Kulturvolk sind mit einer Hochsprache seit der Reformation, das spielt kaum eine Rolle in der Öffentlichkeit.”
Lausitzer Sorben – “Werden wir als Folklorevolk präsentiert”
Das äußerlich erkennbare “Sorbische Folklorebild” hat seine Wurzeln in der Zeit der DDR. Auch heute findet es sich in zahlreichen Publikationen wieder. Viele Funktionäre der damaligen DDR haben sich gerne mit einem Hauch von sorbischer Folklore umgeben, weshalb dieser Bereich intensiv gefördert wurde. Dies nahm teilweise groteske Formen an: Einige Bürger der DDR – aus anderen Regionen des Landes – hielten die Sorben sogar für eine Erfindung der SED.
Warum die literarischen Hochkultur der Sorben vom Aussterben bedroht ist?
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„Der gebürtige Sorbe Benedikt Dyrlich gibt in seinem Buch „Leben im Zwiespalt 1“ tiefe Einblicke in die Bevormundung der sorbischen Intellektuellen zu DDR-Zeiten. Und er kritisiert im LVZ-Interview, dass die Sorben auch heute noch als Folklorevolk wahrgenommen werden.”
“Sorben auch heute noch als Folklorevolk wahrgenommen werden”
Bedauerlicherweise zeigt sich, dass die Einschränkung der sorbischen Kultur auf folkloristische Aspekte ein verbreitetes Phänomen ist. Eine mögliche Ursache hierfür könnte in der einseitigen Vergabe von Fördermitteln liegen.
Literatur: “Manches Manuskript liegt beim Verlag und kann nicht veröffentlicht werden”
>>Technische Universität Dresden<<
“Die finanzielle Förderung wird für kleine Kulturen vor allem beim geschriebenen Wort enorm wichtig. … Manches Manuskript liegt beim Verlag und kann nicht veröffentlicht werden. Dass die Stiftungsverwaltung nur etwas weniger Geld verschlingt als der gesamte Domowina-Verlag, hält Prunitsch für einen Kardinalfehler der Kulturförderung. Wenn die Sorben ihre Verlagsproduktion an Belletristik und Periodika nicht mehr aufrechterhalten können, prophezeit er, dann hilft auch kein traditionelles Tanzensemble mehr – dann droht die sorbische Kultur unterzugehen.”
” … dann droht die sorbische Kultur unterzugehen”
Die gegenwärtige sorbische Literatur bewegt sich überwiegend in sehr flachen Gewässern. Dies ist jedoch weniger auf das Talent der Schriftsteller zurückzuführen, sondern vielmehr darauf, dass die finanziellen Mittel einseitig vergeben werden. Aus diesem Grund wird man heutzutage lange nach Autoren wie Jurij Brezan suchen müssen. Zu allem Übel werden an vielen Schulen nicht einmal mehr die erforderlichen Kenntnisse vermittelt, um seine Werke im Original lesen zu können.
“Ansprüche an die sorbische Ausbildung in Lausitzer Schulen” – “Wenn die Kinder Bücher von Jurij Brezan im Original lesen könnten”
“Annett Sarodnik hat durchaus Ansprüche an die sorbische Ausbildung in Lausitzer Schulen: „Es wäre schön, wenn die Kinder Bücher von Jurij Brezan im Original lesen könnten.“ Brezan (1916-2006) gilt als einer der bedeutendsten sorbischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Doch um seine Texte lesen und verstehen zu können, seien tiefgreifende Kenntnisse des Sorbischen unabdingbar. Genau da liege der Hase im Pfeffer. Sagt zumindest Annett Sardonik. Die Zeißigerin, Mutter von drei Kindern und Abgeordnete im Serbski Sejm, bemängelt die sorbische Schulausbildung in Hoyerswerda.”
Warum Kinder die Bücher von berühmten Sorbischen Autoren nicht mehr lesen können
Die Thematik erstreckt sich weit über die sorbische Schulbildung hinaus. Die einseitige Unterstützungspolitik im Hinblick auf Folklore hat ebenfalls Auswirkungen auf die sorbische Gemeinschaft und deren Identitätsverständnis. Am treffendsten lässt sich dies mit Bayern vergleichen, wo das Motto “Laptop und Lederhose” formuliert wurde, welches sowohl moderne Aspekte als auch historische Traditionen umfasst.