Die folgenlose Arbeit des Treuhand-Untersuchungsausschusses?

Im Jahr 1995 entschied sich der Bundestag zu Beginn des Jahres, einen neuen Untersuchungsausschuss einzusetzen, der seine Arbeit gegen Ende des Jahres aufnahm. Ein Delegationsteam, angeführt vom neuen Vorsitzenden Volker Neumann, besuchte das Bundesministerium der Finanzen in Bonn. Dort wurde den Abgeordneten ein Keller gezeigt, in dem die Akten zum Thema Treuhand lagerten: Tausende von Ordnern, bis an die Decke gestapelt. Die Parlamentarier schlossen die Tür wieder, denn die Menge war schlichtweg zu groß, um sie in der kurzen Zeit, die ihnen zur Verfügung stand, zu bewältigen. Das Ziel war, das gesamte Vermögen der DDR zu durchleuchten, auch die Aktivitäten des KoKo-Reichs von Alexander Schalck sollten beleuchtet werden. Doch der Ausschuss war von Anfang an überfordert, was dazu führte, dass die Arbeit des letzten Bundestags-Ausschusses zum Thema Treuhand nur unvollständig und systemlos erfolgen konnte.

Die Treuhand in Halle: Ein Kampf gegen Korruption

Für Günter Lorenz, den Generalbevollmächtigten der IG Metall in Halle, änderte sich kaum etwas, nur weil die Treuhand nun BvS hieß. Für ihn war kein Bruch oder eine Veränderung erkennbar. Zunächst konzentrierte er sich mit anderen darauf, die Unternehmen, die Walter Schneider gekauft hatte, an neue Eigentümer zu übergeben und zumindest einige Arbeitsplätze zu retten. Das gelang. Lorenz war der Ansicht, dass die Treuhand in Halle von Anfang an mehr Zeit hätte haben sollen. Er rechnete der lokalen Presse vor, wie viel Geld die Skandale der Niederlassung insgesamt gekostet hatten: eine vorsichtige Schätzung belief sich auf drei Milliarden Mark volkswirtschaftlichen Schaden, was die Vernichtung von Arbeitsplätzen, die Kosten der Arbeitslosigkeit und alle damit verbundenen Ausgaben einschloss. Kurz darauf erhielt er eine Nachricht vom neuen Niederlassungsleiter in Halle, Karl-Heinz Rüsberg, der zuvor die Treuhand-Filiale in Schwerin geleitet hatte. Lorenz erinnert sich: Rüsberg forderte ihn auf, seine Schätzung zurückzunehmen. Er rief ihn an und sagte: „Herr Rüsberg, ich nehme nichts zurück, im Gegenteil, ich lege noch was drauf.“ Damit war das Thema für Lorenz erledigt.

Der neue Niederlassungsleiter und seine Methoden

Der neue Filialleiter brachte seine Botschaft auch nach außen schnell zur Geltung. Er verkündete immer wieder, dass er Halle aufräume. Bereits in Schwerin hatte er selbst Rechnungen geprüft und Verträge noch während der Verlesung beim Notar gestoppt. In Schwerin seien keine Korruptionsfälle nachgewiesen worden. Rüsberg war zudem ein großer Bewunderer von Birgit Breuel, weshalb er betonte, dass Halle ein regionales Problem sei und die Fehler nicht bei der Treuhandzentrale lägen. Das regionale Problem hatte er nun mit seinem Team gelöst. Für den Umzug zog die Niederlassung von der „Scheibe D“ in einen Altbau in der Nähe des Bahnhofs, neben der Spielbank und in der Nähe des ehemaligen Interhotels, das heute „Maritim“ heißt. Für Lorenz änderte sich nur die Adresse.

Korruption und Kritik

Auch nachdem Rüsberg sich zurückgezogen und Ende 1994 die Arbeit der Niederlassung offiziell für beendet erklärt hatte, blieb Lorenz in Halle mit neuen Fällen von Korruption konfrontiert. So kaufte eine Schweizer Aktiengesellschaft die Hallesche Metall- und Stahlbau AG (Hamesta). Lorenz besorgte sich den ersten Geschäftsbericht und ließ ihn von einem Wirtschaftsprüfer kontrollieren. Dieser stellte fest, dass die Hamesta 150.000 Mark für die Bewirtung und Unterbringung zweier BvS-Mitarbeiter abgerechnet hatte, die zu Verkaufsverhandlungen am Luganer See gereist waren. Das Geld war aus den Kassen des Unternehmens vom neuen Eigentümer entnommen worden. Lorenz konfrontierte die Zentrale der BvS in Berlin: Er fuhr dorthin, um die Verantwortlichen zur Rede zu stellen, und sagte: „Hört zu, ihr müsst mir das erklären.“ Die Verantwortlichen wiesen alles von sich und erklärten, die Kosten seien üblich. Lorenz entgegnete: „Ihr seid bestechlich.“ Daraufhin wurde ihm bei der BvS in Berlin Hausverbot erteilt.

Der Kampf geht weiter

Trotz dieser Auseinandersetzung kämpfte Lorenz weiter. Er beobachtete jeden Schritt des Unternehmers genau, saß ihm »auf der Pelle«, sorgte dafür, dass Anklage gegen ihn erhoben wurde. Doch das Unternehmen war insolvent, kurz vor dem Aus hatte der sogenannte Investor die Firma verlassen, hatte Akten in VW-Bussen vollgeladen und in die Schweiz gebracht. Lorenz wurde wieder kritisiert, auch von der Industrie- und Handelskammer in Halle: „Du machst uns die Investoren kaputt, Lorenz.“ Doch er wusste, dass dieses Schema bereits vertraut war. Es ärgerte ihn, dass sich daran nichts geändert hatte, und es trieb ihn dazu, einen Wechsel zu erwägen, um nicht ständig im Kampf zu stehen und am Ende nur das Ende der Firma zu erleben.

Die Treuhand und ihre Folgen

Im Jahr 2000 verließ Lorenz Halle. Als er in den Westen nach Darmstadt zurückkehrte, waren einige Illusionen zerplatzt. Die Veränderungen im Westen waren ebenfalls erheblich, es gab zahlreiche Betriebsschließungen und Arbeitsplatzverluste. Er erkannte, dass die Versuche im Osten, die Wirtschaft zu reformieren, nur ein Experimentierfeld waren: verlängerte Arbeitszeiten, Bruch der Tarifverträge, unbezahlte Arbeit – all das war an der Tagesordnung gewesen. Heute äußert Lorenz sein Urteil über die Treuhand: Ihre eigentliche Funktion sei die Enteignung der Ostdeutschen vom Volkseigentum gewesen, zugunsten der westdeutschen Industrie. Das Ergebnis sei, dass die Industrie im Westen sich den Besitz im Osten unter den Nagel gerissen habe, auf Kosten der Steuerzahler in beiden Teilen Deutschlands.

Die Grundsteinlegung in Leuna: Ein neuer Anfang?

Ein Jahr nach Helmut Kohls Spatenstich in Leuna, bei dem angeblich die Bauarbeiten an der Raffinerie begonnen hatten, fand am 11. Mai 1995 tatsächlich die offizielle Grundsteinlegung statt. Kohl war nicht anwesend, stattdessen erschien wieder Philippe Jaffré, der einen Bauhelm mit dem Elf-Logo trug; diesmal war klar, dass tatsächlich gebaut wurde. Im Hintergrund sang ein Kinderchor den französischen Klassiker „Sur le pont d’Avignon“. Reinhard Höppner von der SPD, seit wenigen Monaten Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt, trug ebenfalls einen Helm mit Elf-Logo und schichtete Beton auf den Grundstein.

Die Vorgeschichte: Ein Spiel mit hohen Einsätzen

Er hatte die letzte, nervenaufreibende Phase der Vorgeschichte der Leuna-Planung hautnah miterlebt. Klaus Schucht, als Wirtschaftsminister in Höppners Regierung, war für Leuna verantwortlich. Höppner erinnert sich: „Man wusste, die Raffinerie muss unbedingt kommen. Es gab Versuche, Elf zu locken. Die andere Theorie, dass Elf Bestechungsgelder gezahlt hätte, um die Raffinerie zu bekommen, ist jedoch unbegründet, weil die Kräfteverhältnisse andersrum waren.“

Der Verdacht: Manipulation und Korruption

Für Christoph Partsch war die Grundsteinlegung nur ein Zwischenstadium; die Streitigkeiten um den Vertrag waren keineswegs beigelegt. Er hatte sich immer tiefer in die Materie eingearbeitet, und seine erfahrenen Kollegen, die Raffineriebauer, bestätigten ihm: Elf und Thyssen, die die Raffinerie gemeinsam bauen wollten, tricksten bei den Planungskosten. Als die ersten Rechnungen des Konsortiums bei der BvS eintrafen, wurde Partschs Verdacht bestätigt: „Da waren viele weiche Positionen, zum Beispiel Lizenzzahlungen an Gesellschaften, die mit Elf verbunden sind.“ Er ließ die Lizenzgebühren überprüfen: Was würde man bei einem unabhängigen Dritten auf dem Weltmarkt für eine solche Lizenz bezahlen? Das Ergebnis war eindeutig – deutlich weniger.
**Der Kampf gegen die länger als ein Jahr andauerte, führte schließlich zu einem externen Gutachten von Solomon Associates, das bestätigte, dass die Raffinerie dreimal so teuer gebaut wurde, wie es auf dem Weltmarkt üblich war.

Der Kampf um die Wahrheit

Mit diesem Gutachten konnte Partsch der BvS und damit dem Steuerzahler erheblich Geld sparen. Doch die Führung der BvS war davon alles andere als begeistert. „Man reagierte entsetzt auf das Gutachten“, sagt Partsch. „Ein Anwalt, der uns beriet, riet mir, schnell ein Gegengutachten zu erstellen, um das Ergebnis zu widerlegen.“ Dieser Anwalt arbeitete bei Shearman & Sterling, einer Kanzlei, die damals Thyssen vertrat und heute zu den erfolgreichsten Deutschlands zählt.

Die Konsequenzen: Ein Skandal wird vertuscht

Partsch erinnert sich: „Es gab den Satz: ‚Die Treuhand gibt es nur kurze Zeit – aber Thyssen existiert seit über 100 Jahren.‘“ Er drängte weiter bei seinen Vorgesetzten, jedoch ohne Erfolg. Man schrieb zwar Memos, doch jede Hierarchiestufe kürzte die Inhalte so stark, dass das Problem bei der Führung der BvS kaum ankam. So konnte man das Thema aussitzen: „Das war zutiefst frustrierend, weil bei einem so wichtigen Projekt, bei so viel Geld, versucht wurde, alles juristisch und politisch kleinzureden.“ Als Partsch merkte, dass er mit seinen Klagen innerhalb der BvS keinen Erfolg hatte, wandte er sich ans Bundesfinanzministerium in Bonn.

Ein Skandal mit Folgen

Dort zeigte man zwar Interesse, handelte jedoch nicht. Er kontaktierte das Bundeskanzleramt und erhielt einen Termin beim Generalsekretär der CDU. „Zu meiner Überraschung stand ich dort gegenüber Herrn Hintze und zwei, drei anderen Personen, die sich mir kaum vorstellten. Ich trug mein Anliegen vor, doch man sagte: ‚Seien Sie ruhig, wir kümmern uns schon. Das Projekt hat eine hohe Bedeutung für Deutschland und Frankreich.‘“ Man war freundlich, machte aber klar, dass man nichts unternehmen werde, und forderte ihn auf, nach Hause zu gehen. Daraufhin wandte sich Partsch an die Justiz: „Ich gab eine Aussage bei der Staatsanwaltschaft ab, doch die Akte versandete im sachsen-anhaltinischen Sand. Die Ermittlungen wurden schließlich eingestellt.“ Einige seiner Vorwürfe waren öffentlich geworden, was eine Ermittlungsprüfung durch die Staatsanwaltschaft zur Folge hatte. Diese stellte die Ermittlungen jedoch bald wieder ein. Partsch wurde auch nicht als Zeuge vor den Untersuchungsausschuss geladen, da die Staatsanwaltschaft wegen Subventionsbetrugs ermittelte. Schließlich gab er auf: „Ich habe alles mitgeteilt, was ich wusste. Wenn die Institutionen nicht handeln wollen, dann können wir nichts tun.“ Eine Zukunft bei der BvS schloss er aus und kündigte. Er zog nach Berlin und arbeitete künftig als Anwalt.

Mangelnde Transparenz und die undurchsichtigen Entscheidungen der Treuhand

Auch Reinhard Höppner war sich bewusst, welches Spiel Elf mit den deutschen Behörden und Vertretern spielte: „Ich glaube, man hätte sorgfältiger sein können. Aber wenn ich heute die Wahl hätte, ob man noch 500 Millionen drauflegt oder nicht, würde ich sagen, es war besser, die Raffinerie tatsächlich zu bauen, auch wenn wir erpresst wurden. Denn ohne den Bau hätten wir langfristig größere Schäden erlitten.“ Er betont, dass die Verträge so komplex und schlitzohrig gestaltet waren, dass die Staatsanwälte kaum noch durchblickten. „Es gab kein echtes Interesse an einer gründlichen Untersuchung.“ Höppner sieht die mangelnde Transparenz und die undurchsichtigen Entscheidungen der Treuhand bis heute als problematisch an. Er meint: „Wenn man Umfragen liest, wie die Ostdeutschen die Demokratie bewerten, dann zeigt sich, dass die Mehrheit skeptisch ist. Die Bürger haben die Treuhand erlebt und festgestellt: Das wollte man eigentlich nicht. Es war wie in der DDR, wo von oben durchgestellt wurde, was die Menschen unten zu tun hatten. Man hatte gehofft, dass sich das ändern würde, doch die Erfahrung hat gezeigt, dass die Treuhand eine Macht war wie die früheren staatlichen Planwirtschaftsorgane.

Die Treuhand und die WBB: Ein Skandal wird aufgedeckt

Der Zentralismus der DDR und die dirigistische Steuerung der Wirtschaft wurden durch die Treuhand nur um ein Kapitel erweitert. Es wirkt manchmal so, als hätte man die DDR nur mit DDR-Methoden abschaffen können. Erst als die WBB Ende 1994 zahlungsunfähig wurde, traten einige Mitarbeiter mutiger hervor, vor allem, weil ihre Betriebsrenten gefährdet waren. Eine Abfindung war für sie kaum noch zu erwarten. Sie gründeten einen Verein und übten Druck auf die BvS aus.

Die Ermittlungen beginnen

Im Juni 1995 reagierte die Anstalt und erstattete Anzeige. Kurz darauf durchsuchten Ermittler mehrere Objekte. Auch bei der Schweizer Firma Chematec konnten deutsche Beamte zahlreiche Akten sicherstellen – zum Glück, denn es war reiner Zufall. Als die Beamten vor dem Büro der kleinen Aktiengesellschaft ankamen, wurde gerade eine Lieferung der WBB-Akten aus Berlin in die Schweiz übergeben, die die deutschen Ermittler in Empfang nahmen.

Die Flucht von Michael Rottmann

Der Berliner Oberstaatsanwalt Claus-Peter Wulff entschied zunächst, keinen Haftbefehl gegen Rottmann zu erlassen, da er keine Fluchtgefahr sah. Er erklärte einem Fernsehreporter später, es sei kein Problem, wenn sich Rottmann ins Ausland absetzte: „Den krieg’ ich doch überall. Selbst wenn er in den USA oder Liechtenstein ist, würde man ihn mir ausliefern. Aus der Schweiz habe ich schon viele herausgeholt.“ Wenig später verschwand Rottmann aus Deutschland, allerdings nicht in die Schweiz, sondern mit seiner neuen, dritten Ehefrau auf der Flucht.

Die Jagd auf Rottmann

Seine Frau Yasmin, die zuvor ein Praktikum bei der WBB gemacht hatte, hatte den Chef dort kennengelernt und geheiratet. Aus dem Ausland schrieb sie ihrem Vater: „Hallo Papa, die Presseberichte sind alle inhaltlich falsch, nur Verleumdungen und Halbwahrheiten… Michael soll der Buhmann der Nation werden, um die Fehler bei der Treuhand zu vertuschen… Fast die ganze Welt ist gegen uns, wir haben kaum noch Freunde.“ Tatsächlich hatte Rottmann Schwierigkeiten, das Geld der WBB zu verbergen. Seine Banken in der Schweiz und Liechtenstein wurden bei Barabhebungen misstrauisch und erstatten Anzeige wegen mutmaßlicher Geldwäsche.

Die Festnahme und der Prozess

Im September 2000 rief Rottmann einen Freund in Deutschland an. Das Gespräch wurde von den Zielfahndern des Bundeskriminalamts abgefangen, die ihn in England aufspüren konnten. Rottmann lebte die Jahre zuvor auf einem Anwesen in Hazlemere, im Bezirk High Wycombe, in der Magnolia Dene 58. Die britische Polizei verhaftete ihn dort, ließ ihn aber nach gut drei Wochen wieder frei. Die Berliner Staatsanwaltschaft stellte einen Auslieferungsantrag, doch dieser wurde neun Jahre lang nicht bewilligt, da Deutschland das europäische Haftbefehlssystem im Vereinigten Königreich nicht anerkannt hatte.

Das Urteil und die Folgen

Im Juli 2009 wurde das Gesetz so angepasst, dass seine Auslieferung nach Deutschland möglich war. Britische Polizisten brachten ihn nach Berlin, wo er in das Untersuchungsgefängnis Moabit kam. Im Oktober begann der Prozess vor dem Berliner Landgericht. Rottmann wurde heimlich zu drei Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft blieb still, weil sie wusste, warum: Rottmanns Anwälte legten Berufung ein, die auch Erfolg hatte. Am 28. Oktober 2010 wurde er vom Bundesgerichtshof freigesprochen. Wolfgang Adolph, ein ehemaliger WBB-Ingenieur, sagte rückblickend: „Die gesamte Wirtschaft der DDR wurde ja irgendwo weggenommen. Das Volkseigentum, und da ich mich als Volk fühle, bin ich natürlich sauer. Aber das kann ich Rottmann nicht vorwerfen. Es war so gewollt. Das System wurde gewollt. In Leipzig und Dresden haben sie immer ‚Helmut!‘ gerufen, und Helmut wurde dann auch umgesetzt. Natürlich war nie die Absicht, dass viele arbeitslos werden, aber das System war so.“

Der Schatten der Ermittlungen

Am 8. August 1996 veranlasste Erbes Nachfolger die Festnahme von fünf Thyssen-Managern. Dieter H. Vogel war zu diesem Zeitpunkt im Urlaub. Dennoch musste der Konzern für ihn eine Kaution in Höhe von 2,5 Millionen Mark hinterlegen. Erst im März erreichte Vogel den Höhepunkt seiner Karriere als Vorstandsvorsitzender des gesamten Thyssen-Konzerns. Doch der Schatten der Ermittlungen blieb ihm dauerhaft erhalten. Im März 1997 verteidigte er einen feindlichen Übernahmeversuch durch den kleineren Konkurrenten Krupp und musste in den folgenden Monaten mit dem Krupp-Hoesch-Chef Cromme über eine Fusion der Stahlkonzerne verhandeln. Als die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss standen und nur noch die Frage im Raum stand, wer Chef des neuen Stahlriesen wird, beendete die Berliner Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen Vogel und die weiteren Thyssen-Manager. Im Dezember 1997 wurde Vogel als Beschuldigter vernommen, kurz darauf wurde er angeklagt.

Festnahmen bei Thyssen und die Karriere des Vogel

Die Thyssen-Anwälte starteten eine öffentliche Kampagne – die Behauptung, die Anklage gegen Vogel sei »grob rechtswidrig«, um gegen die Berliner Staatsanwaltschaft Stimmung zu machen. Doch das nützte wenig. Vogels Zeit bei Thyssen war abgelaufen, er war nicht mehr zu halten. Bei der Aktionärsversammlung wurde er mit stehendem Applaus und Bravorufen verabschiedet. Über seine Zukunft machte sich Vogel keine Sorgen. In einem Magazin erklärte er: „Ich kann wählen. Ich bin eine Vielzweckwaffe. Ich gehöre an die Front.“ Immer wieder machten die Anwälte von Vogel und den anderen beschuldigten Thyssen-Managern, insgesamt mehr als zwanzig, der Berliner Staatsanwaltschaft deutlich, dass sie sie mit diesem einen Verfahren jahrzehntelang lähmen könnten. Einen Tag vor Weihnachten, am 23. Dezember 1998, stellte das zuständige Landgericht in Berlin das Verfahren gegen eine einmalige Zahlung von 10 Millionen Mark ein. Ein Berliner Ermittler kommentierte solche Fälle so: „Um in Deutschland als Täter in diesem Bereich Wirtschaftskriminalität verurteilt zu werden, braucht es schon richtiges Pech. Also Pech, Hartnäckigkeit der Polizei, ein bissiger Staatsanwalt und einen Richter, der ernsthaft durchgreift. Doch das kommt nur äußerst selten zusammen.“ Doch der Fall Metallurgiehandel hatte noch eine andere Konsequenz. Am 3. Dezember 1996, nur wenige Monate nachdem der Haftbefehl gegen Vogel bekannt wurde, lud Thyssen-Manager zu einem Treffen im Conference Center am Frankfurter Flughafen ein, darunter auch Hans-Ulrich Gruber, Vorstand der Thyssen Handelsunion und verantwortlich für den Raffineriebau. Gruber war ebenfalls im Fall Metallurgiehandel angeklagt und war der Thyssen-Manager, der die CSU-Politiker Schedl und Hollerith mit Geld und Anweisungen versorgte. Zu dem Treffen in Frankfurt hatten die Firmen eingeladen, die „Leuna 2000“ für Elf und Partner bauen sollten, darunter Thyssen Rheinstahl, die Schweizer Firma Lurgi und Technip. Der größte Anteilseigner von Technip war der Elf-Konzern. Die Firmen bauten als TLT „Leuna 2000“. Ein Augenzeuge berichtete Journalisten, dass sich die Manager der TLT-Mitglieder bereits Ende November getroffen hatten. Dabei ging es um das Solomon-Gutachten, das Christoph Partsch in Auftrag gegeben hatte. Bei TLT bestand die Sorge, dass offen werden könnte, wie viel die Unternehmen tatsächlich am Bau der Raffinerie in Leuna verdienen.

Wie viel die Unternehmen tatsächlich am Bau der Raffinerie in Leuna verdienen

Die Planer hatten mit einer Rendite von zwanzig Prozent kalkuliert – üblich waren höchstens fünf Prozent. Bei dem Treffen im November vereinbarten sie, dass der hohe Gewinn möglichst nicht bei dem Konsortium, sondern aus den Büchern verschwinden sollte. Dafür wurden elf Methoden abgestimmt, um die Baukosten nachträglich zu erhöhen, erklärte der »Kassenwart« den Journalisten. Unter anderem wurden Material- und Ingenieurkosten bewusst erhöht. Bei einem so großen Bauprojekt, so die erfahrenen Anlagenbauer, ist es äußerst schwer, nachträglich zu prüfen, welche Kosten tatsächlich angefallen sind. Schon wenige Wochen nach Baubeginn in Leuna flossen 1,6 Milliarden Mark in die Kassen der TLT. Elf zahlte diesen Betrag, das sind immerhin 50 Prozent der veranschlagten Baukosten. Auf Konten des Konzerns in Frankreich gingen die zahlreichen Subventionen ein, die Elf sich gesichert hatte und die, wie bereits vorab von Partsch erkannt, nicht vollständig für den Bau der Anlage verwendet werden konnten. Dieses Geld musste irgendwohin. Also legte der „Kassenwart“ (und Whistleblower) es auf dem Kapitalmarkt an. Das brachte der TLT zusätzliche 200 Millionen Mark Zinsen. Der Gewinn, der bis Herbst 1997 erzielt wurde, wurde nicht sofort, sondern in Tranchen über drei Jahre verteilt, um ihn in den Bilanzen der TLT-Mitglieder nicht sofort sichtbar werden zu lassen. Der Thyssen-Tochter wurde wie vereinbart ein Gewinn von 280 Millionen Mark überwiesen, der allein durch die fingierten Baukosten entstanden war. Zufall oder nicht: Das entspricht fast genau der Summe, die der Konzern an die BvS im Zusammenhang mit dem Metallurgiehandel zahlen musste. Während die EU ebenfalls Subventionen an die Leuna-Betreiber zahlte, leitete der zuständige EU-Kommissar Karel van Miert ein Prüfverfahren ein. Er erhielt anonym ein Schreiben, in dem behauptet wurde, bei der TLT gehe es nicht mit rechten Dingen zu. Doch weder Thyssen noch Elf kooperierten bei der Untersuchung mit der EU. Die EU beauftragte ein weiteres Gutachten, das ebenfalls bestätigte, dass die Baukosten viel zu hoch seien – mindestens 700 Millionen Mark seien zu viel ausgegeben worden.

Baufinanzierung, die fast vollständig mit Steuergeldern finanziert wurde?

Doch die Bundesregierung, seit 1998 von SPD und Bündnis 90/Die Grünen regiert, reagierte nicht. Insgesamt hatte Elf so viele Subventionen eingestrichen, dass der Konzern kein eigenes Geld mehr in Leuna investieren musste. Die Manager durchsetzten ihre Interessen vollständig. Die genauen Baukosten von Leuna und der tatsächliche Gewinn der beteiligten Firmen blieben jedoch nie öffentlich bekannt. „Leuna 2000“ nahm 1998 nach vielen Problemen während der Bauphase die Arbeit auf. Nach fast sechs Jahren Vertragslaufzeit wurde das erste Benzin ausgeliefert. Keiner der Untersuchungsausschüsse oder Staatsanwaltschaften zwang die beteiligten Firmen zur Offenlegung der Baufinanzierung, die fast vollständig mit Steuergeldern finanziert wurde. Die Recherchen der Leipziger Journalisten Arndt Ginzel und Martin Kraushaar, veröffentlicht in der Wochenzeitung „Die Zeit“, hatten keine Konsequenzen. Keine Behörde wollte sich mit diesem Fall weiter beschäftigen. Leuna macht inzwischen fünf Milliarden Euro Umsatz jährlich und ist damit das zweitgrößte Unternehmen in Ostdeutschland. Den Gewinn zieht Elf ab, das inzwischen nach mehreren Fusionen Total heißt. Die Raffinerie ist eine GmbH und gehört zum Total-Konzern. Für Modernisierungskosten muss die Betreibergesellschaft selbst aufkommen. Leuna ist für den französischen Erdölriesen eine sichere Anlage, die die Firmengeschichte um ein weiteres Kapitel ergänzt.

Beginn der Ermittlungen und die Rolle von Eva Joly

Der Fall, den Eva Joly aufdecken wird und der zu Leuna führt, beginnt mit einer Gerichtsverhandlung in New York. Die US-Firma Rexnord klagt den Modekonzern Bidermann, der Rexnord noch Geld schuldet. Rexnord versucht, Bidermanns Besitz in den USA und die Aktien in Paris zu pfänden. Die Pariser Börsenaufsicht wird eingeschaltet und entdeckt große Überweisungen an Bidermann, die ohne ersichtliche Gegenleistung erfolgen. Das »Palais de la Justice« wird alarmiert. Am 18. August 1994 übernimmt Eva Joly den Fall. Sie und ihre Ermittler finden heraus, dass Bidermann 236 Millionen Mark von Elf erhalten hat, allerdings nicht von den offiziellen Elf-Geschäftskonten. Zudem stoßen sie auf weitere dubiose Überweisungen: Bidermann zahlte nicht nur Alimente und Schweigegeld für die Ex-Frau von Loïk Le Floch-Prigent, sondern auch die Kosten ihrer Wohnung in London. Joly sagt: „Von Anfang an gibt es diese merkwürdige Asymmetrie zwischen der Aufregung, die ich auslöse, und der Bedeutung, die ich diesem Fall beimesse.“ Die Finanzermittler prüfen die Konten, von denen die Überweisungen ausgingen, genau und legen nach und nach das illegale System offen, mit dem das Elf-Management Gelder aus Afrika nach Europa schleust. Joly verhaftet 1996 Le Floch-Prigent und klagt im Lauf der Jahre 37 Elf-Manager, Politiker und Helfershelfer an. In Haft beginnen die Männer zu reden. Der Ex-Rennfahrer André Guelfi, damals 77, erklärt Ende 1997, dass ein Teil des Geldes, das über sein Konto an den Deutschen Dieter Holzer geflossen ist, an die CDU weitergereicht werden sollte. Der Ex-Chef von Elf, Le Floch, sagt in Verhören, dass Mitterrand auf diesem Weg Kohl bei der Wiederwahl helfen wollte. Den französischen Ex-Staatschef kann man dazu nicht mehr befragen – er ist 1996 gestorben. Am Ende können die Manager vor Gericht keinen Beweis dafür erbringen, dass CDU-Politiker als aktive Regierungsmitglieder bestochen wurden. Das Eingeständnis, dass Elf regelmäßig französische Parteien schmierte, gibt Le Floch jedoch zu. Das neue Elf-Management erstattete umgehend Anzeige gegen Unbekannt, als es im April 1995 von den Ermittlungen gegen Le Floch & Co. erfuhr. Auch Philippe Jaffré tat dasselbe, da einige Spuren in die Schweiz führten. So arbeiteten Ermittler in Frankreich mit Schweizer Kollegen zusammen. Sie trafen sich auch mit deutschen Staatsanwälten. Ihnen verdächtigen, dass deutsche Politiker mit diesem Geld bestochen wurden. Dabei übersah man kurzfristig, dass es sich bei den beschuldigten Personen – Dr. Hans Friderichs (FDP), Agnes Hürland-Brüning (CDU) und Ludwig-Holger Pfahls (CSU) – nur um Ex-Politiker handelte. Es gibt keine Belege, dass noch aktive Politiker Zahlungen von Elf erhalten haben. Die Drahtzieher des afrikanischen Systems werden in Paris zu hohen Haft- und Geldstrafen verurteilt. Während das Verfahren läuft, gibt Pierre Lethier, das ehemalige Geheimdienst-Wunderkind, dem »International Herald Tribune« Interviews, in denen er seine Verteidigung erklärt. Er sagt, die Gerüchte, man habe CDU-Politiker bestochen, seien Teil einer Strategie, um von Kickbacks und eigener Schuld abzulenken.

Der Fall Lisowski, Verurteilungen und die Nachwirkungen

Als Waltraud Lisowski, die in einer Beteiligungsfirma der Treuhand lange tätig war, schließlich vor Gericht gestellt wird, interessiert das in Deutschland kaum noch jemanden. 1998 wird sie zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, weil sie angeblich 3,2 Millionen Mark aus dem KoKo-Bereich veruntreut haben soll. Die Medien berichten nur in kurzen Zeilen. Das Interesse an der DDR-Vergangenheit und der chaotischen Wendezeit ist im wiedervereinten Deutschland fast erloschen. Wie viel die Treuhand an ehemalige KoKo-Mitarbeiter verkauft hat, konnten Wirtschaftsprüfer und die ZERV kaum ermitteln, da die Ressourcen fehlten. Lisowski möchte heute nicht mehr über ihre Zeit bei der Treuhand sprechen. Gegen ihren früheren Vorgesetzten Alexander Schalck liefen zeitweilig sieben Verfahren, unter anderem wegen Waffenschmuggels, Untreue und Verstoß gegen Embargobestimmungen. Schalck wurde in einem Verfahren – Waffengeschäfte – zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Alle Instanzen, Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht, bestätigten das Urteil. In einem zweiten Verfahren – Embargogeschäfte – wurde er zu sechzehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Schalck betonte mehrfach, dass die Bundesregierung von den Geschäften gewusst habe. Kurz nach rechtskräftigem Urteil veröffentlichte er seine Memoiren. Für eine langfristige Haftstrafe wurde er in Deutschland nie verurteilt.

Geschäfte und Verurteilungen im Zusammenhang mit der Treuhand

Einer der Geschäftsmänner, die Schalck beim Schmuggeln von Waren in die DDR unterstützten, ist Martin Schlaff. Er wurde in Deutschland wegen undurchsichtiger Geschäfte mit der Treuhand ebenfalls nie verurteilt. Schlaff ist der Mann, an dem sich Uwe Schmidt die Zähne ausgebissen hat. Auch die Wirtschaftsprüfer der BvS erhielten nie genug Unterstützung, um die Geschäfte des Wieners aufzuklären. Peter Deparade, einst Treuhandmanager und später für Schlaff tätig, der Immobilien an ihn verkaufte, steht nie vor Gericht. Das Verfahren wurde immer wieder verschoben, weil andere Fälle Vorrang hatten oder Ressourcen fehlten. Bis 2007 war Deparade laut Handelsregister Geschäftsführer einer Schlaff-Tochtergesellschaft, die Grundstücke in Berlin verwaltete.

Der Aufstieg von Martin Schlaff und die Unterschlagung in Österreich

Martin Schlaff ist inzwischen einer der reichsten Männer Österreichs. Durch den Verkauf einer Beteiligung an osteuropäischen Telekomfirmen hat er zusätzlich Vermögen erworben. Er ist eine bekannte Figur in Österreichs Gesellschaftsleben, seine Scheidung sorgte für Schlagzeilen. Auch in Österreich wird immer wieder gegen ihn ermittelt, bislang ohne Erfolg. Uwe Schmidt erfuhr bei Dienstreisen, dass die österreichischen Behörden wenig Interesse zeigten, bei Ermittlungen gegen Schlaff mitzuwirken. Die deutschen Ermittler sahen sein Wiener Apartment am Stephansdom, beeindruckender als das von Michael Rottmann. Der durch die Wendekriminalität entstandene Schaden wurde nie exakt beziffert. Viele schätzen nur einige Hundert Millionen Mark, andere sprechen von acht Milliarden D-Mark, was etwa drei Prozent des gesamten Treuhand-Volumens entspricht. Doch eine genaue Zahl gibt es nicht. Laut einem ehemaligen Ermittler liegt der Schaden bei 25 Milliarden Mark: „Alle anderen rechnen sich das schön.“ Seit Jahren besteht seitens der Bundesregierung, unabhängig von der jeweiligen Regierung, kein Interesse daran, die Verbrechen der Wendezeit aufzuklären.

Ende der Ermittlungen gegen Klaus Klamroth und weitere Fälle

Nach fünfeinhalb Jahren stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart das Verfahren gegen Klaus Klamroth ein. Die Vorwürfe gegen den gebürtigen Halberstädter waren haltlos. Als eine Zeitung darüber berichtete, sprechen seine Nachbarn wieder mit ihm. Klamroths Kollege Bernd Capellen geriet am Ende auch in Konflikt mit dem neuen Leiter der Treuhand-Niederlassung. Ihm wurde vorgeworfen, unsauber gearbeitet zu haben. Auch er musste gehen. Seine Vorwürfe wurden nicht bestätigt. Heute arbeitet Capellen als Sanierer und Liquidator im Ruhrgebiet, unter anderem bei der Abwicklung von Babcock. Seine Sekretärin hatte einst für Michael Rottmann gearbeitet. Erst im Gerichtssaal erfuhr Klamroth, dass sein ehemaliger Kollege und Partner Werner Sauer ein Konkursbetrüger war. Die Öffentlichkeit verfolgt sein Verfahren kaum noch. Die Einzelheiten des Versagens der Zentrale bei der Kontrolle von Halle wurden erst im Prozess gegen Sauer, Dr. Walter Schneider, Kurt Dachsner und Tim Olaf Alexander bekannt. Alle vier wurden vom Landgericht Stuttgart verurteilt, mit Haftstrafen um die fünf Jahre. Dachsner erhielt vier Jahre und neun Monate, weil er zugab, dass es ihm damals nur um das Geld ging. Sauer wurde zu fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er zeigte sich reumütig, versprach, Steuerschulden und Schmiergelder zurückzuzahlen, und belastete den Anwalt Dachsner, der einen Teil des Schmiergelds erhalten haben soll. Der Richter schrieb im Urteil: „Der Schaden für die Marktwirtschaft in Ostdeutschland ist groß, weil durch die Medienberichte das Ansehen der Wirtschaft erheblich beschädigt wurde. Korruption bei der Privatisierung, bei der es um Arbeitsplätze ging, ist besonders verwerflich, und die Ahndung muss abschrecken.“ Auch gegen Dr. Walter Schneider wurde ein Urteil gesprochen, er erhielt fünf Jahre und drei Monate, während Tim Olaf Alexander mit fünf Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt wurde. Die Öffentlichkeit nahm kaum Kenntnis davon, weil das Verfahren als Letztes verhandelt wurde und in Halle keine Gesamtübersicht geschaffen wurde. Das hätte eigentlich passieren müssen. Die Staatsanwaltschaft hätte Alexander, Sauer und Dachsner wegen organisierter Bandenkriminalität anklagen sollen, da sie sich zu kriminellen Handlungen verabredet hatten. Diese Schlagzeilen wurden von der BvS und der Bundesregierung vermieden. Der Betrüger aus München, Georg Nass, wurde 1996 vom Landgericht Halle nach 26 Monaten zu fünf Jahren und fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Der Vorsitzende sah es als mildernd an, dass die Treuhand-Niederlassung Nass die Taten besonders leicht gemacht hatte. Man habe Nass Firmen ohne Bonitätsprüfung aufgedrängt. Auch seine Vorstrafen wegen Betrugs während des Studiums wurden dabei nicht berücksichtigt. In keiner anderen Niederlassung wurden so viele Treuhänder verurteilt wie in Halle. Doch hier wurde auch besonders genau geprüft, weil ein Gewerkschafter und ein Journalist den Skandal aufdeckten.

Persönliche Entwicklungen und Reflexionen ehemaliger Akteure

Detlef Scheunert hatte Ostdeutschland 1994 verlassen und ist nicht mehr zurückgekehrt. Er wollte das Elternhaus nicht übernehmen: „Ich kam im privaten Bereich nicht auf die Idee, mich so einer Sache zu stellen. Mein Bedürfnis war zu groß, hinaus in die Welt zu gehen. Damals verstand ich noch nicht, wie wichtig Wurzeln sind. Heute weiß ich das.“ Scheunert arbeitete als Manager in Nordrhein-Westfalen und bereitete mehrere Firmen auf den Verkauf vor. Er wurde nie Unternehmer. Von den 78.000 Arbeitsplätzen, für die er bei der Treuhand verantwortlich war, gab es bei seinem Abschied nur noch 13.000. Lange Zeit sprach er nicht mehr über seine Zeit als junger Funktionär in der DDR und Treuhänder: „Mich hat gestört, dass man die Treuhand für alles verantwortlich machte. Als sei sie nur die Müllabfuhr, während Honecker & Co. alles angerichtet hatten. Die Leute waren so vergesslich. Ich sagte immer: Was redet ihr von der Treuhand? Wir sind nur die Leichengräber. Aber die Leiche wurde von anderen gemacht. Das wollte man nicht wahrhaben.“

Gesellschaftliche Reflexionen und zukünftige Perspektiven

Die Bürgerrechtler Matthias Artzt und Gerd Gebhardt arbeiten für ein Brandenburgisches Ministerium. Artzt im Wirtschaftsministerium, Gebhardt im Infrastruktur- und Landwirtschaftsministerium. Gebhardt war beim Flughafenbau in Schönefeld führend beteiligt. Über die Gründung der Treuhand sagt Artzt: „Eigentlich war es schon vom 1. März 1990 an nicht mehr unser Projekt. Es ist immer wieder zu beobachten, dass man etwas Positives anregt, aber am Ende etwas ganz anderes daraus wird. Man fühlt sich schon verantwortlich für das, was passiert ist. Doch das Ergebnis war nie das, was wir wollten. Wir sind auch ein bisschen traurig, wenn gesagt wird: ‚Aus einem Rundtisch kamen nur Spinner, die was vorgeschlagen haben, was dann daraus wurde.‘ Diese Selbstüberschätzung ist nicht haltbar.“ Gebhardt ergänzt: „Das ist ähnlich wie bei Einstein und der Atombombe. Was daraus gemacht wurde, war eine andere Sache, willentlich gemacht.“ Artzt wirft ein: „… Einstein hat die Atombombe mitentwickelt – aber bei der Kernspaltung, da stimme ich dir zu, war das anders.“ Beide treffen sich noch immer regelmäßig, wie in den späten 1980er Jahren, mit Mitgliedern der Freien Forschungsgemeinschaft, um gesellschaftliche Entwicklungen zu diskutieren. Wolfgang Ullmann ist 2004 gestorben, Hans-Jürgen Blüher hat Erfolg im Bankwesen. Artzt, Gebhardt und ihre Mitstreiter meinen, die deutsche Gesellschaft sei heute genauso unfähig zur Selbstkritik wie die DDR in ihren letzten Jahren. Sie erkenne nicht, dass sie ihr Wirtschaftssystem grundsätzlich überdenken müsse, bevor eine neue Zeitenwende nötig werde. Die Freie Forschungsgemeinschaft glaubt, dass ihre Idee einer Gesellschaft, die sich stärker in das Wirtschaftsleben einmischt, bald wieder gefragt sein könnte.