Die folgenlose Arbeit des Treuhand-Untersuchungsausschusses?

Die Treuhand in Halle: Ein Kampf gegen Korruption
Der neue Niederlassungsleiter und seine Methoden
Korruption und Kritik
Der Kampf geht weiter
Die Treuhand und ihre Folgen
Die Grundsteinlegung in Leuna: Ein neuer Anfang?
Die Vorgeschichte: Ein Spiel mit hohen Einsätzen
Der Verdacht: Manipulation und Korruption
Der Kampf um die Wahrheit
Die Konsequenzen: Ein Skandal wird vertuscht
Ein Skandal mit Folgen
Mangelnde Transparenz und die undurchsichtigen Entscheidungen der Treuhand
Die Treuhand und die WBB: Ein Skandal wird aufgedeckt
Die Ermittlungen beginnen
Die Flucht von Michael Rottmann
Die Jagd auf Rottmann
Die Festnahme und der Prozess
Das Urteil und die Folgen
Der Schatten der Ermittlungen
Am 8. August 1996 veranlasste Erbes Nachfolger die Festnahme von fünf Thyssen-Managern. Dieter H. Vogel war zu diesem Zeitpunkt im Urlaub. Dennoch musste der Konzern für ihn eine Kaution in Höhe von 2,5 Millionen Mark hinterlegen. Erst im März erreichte Vogel den Höhepunkt seiner Karriere als Vorstandsvorsitzender des gesamten Thyssen-Konzerns. Doch der Schatten der Ermittlungen blieb ihm dauerhaft erhalten. Im März 1997 verteidigte er einen feindlichen Übernahmeversuch durch den kleineren Konkurrenten Krupp und musste in den folgenden Monaten mit dem Krupp-Hoesch-Chef Cromme über eine Fusion der Stahlkonzerne verhandeln. Als die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss standen und nur noch die Frage im Raum stand, wer Chef des neuen Stahlriesen wird, beendete die Berliner Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen Vogel und die weiteren Thyssen-Manager. Im Dezember 1997 wurde Vogel als Beschuldigter vernommen, kurz darauf wurde er angeklagt.
Festnahmen bei Thyssen und die Karriere des Vogel
Die Thyssen-Anwälte starteten eine öffentliche Kampagne – die Behauptung, die Anklage gegen Vogel sei »grob rechtswidrig«, um gegen die Berliner Staatsanwaltschaft Stimmung zu machen. Doch das nützte wenig. Vogels Zeit bei Thyssen war abgelaufen, er war nicht mehr zu halten. Bei der Aktionärsversammlung wurde er mit stehendem Applaus und Bravorufen verabschiedet. Über seine Zukunft machte sich Vogel keine Sorgen. In einem Magazin erklärte er: „Ich kann wählen. Ich bin eine Vielzweckwaffe. Ich gehöre an die Front.“ Immer wieder machten die Anwälte von Vogel und den anderen beschuldigten Thyssen-Managern, insgesamt mehr als zwanzig, der Berliner Staatsanwaltschaft deutlich, dass sie sie mit diesem einen Verfahren jahrzehntelang lähmen könnten. Einen Tag vor Weihnachten, am 23. Dezember 1998, stellte das zuständige Landgericht in Berlin das Verfahren gegen eine einmalige Zahlung von 10 Millionen Mark ein. Ein Berliner Ermittler kommentierte solche Fälle so: „Um in Deutschland als Täter in diesem Bereich Wirtschaftskriminalität verurteilt zu werden, braucht es schon richtiges Pech. Also Pech, Hartnäckigkeit der Polizei, ein bissiger Staatsanwalt und einen Richter, der ernsthaft durchgreift. Doch das kommt nur äußerst selten zusammen.“ Doch der Fall Metallurgiehandel hatte noch eine andere Konsequenz. Am 3. Dezember 1996, nur wenige Monate nachdem der Haftbefehl gegen Vogel bekannt wurde, lud Thyssen-Manager zu einem Treffen im Conference Center am Frankfurter Flughafen ein, darunter auch Hans-Ulrich Gruber, Vorstand der Thyssen Handelsunion und verantwortlich für den Raffineriebau. Gruber war ebenfalls im Fall Metallurgiehandel angeklagt und war der Thyssen-Manager, der die CSU-Politiker Schedl und Hollerith mit Geld und Anweisungen versorgte. Zu dem Treffen in Frankfurt hatten die Firmen eingeladen, die „Leuna 2000“ für Elf und Partner bauen sollten, darunter Thyssen Rheinstahl, die Schweizer Firma Lurgi und Technip. Der größte Anteilseigner von Technip war der Elf-Konzern. Die Firmen bauten als TLT „Leuna 2000“. Ein Augenzeuge berichtete Journalisten, dass sich die Manager der TLT-Mitglieder bereits Ende November getroffen hatten. Dabei ging es um das Solomon-Gutachten, das Christoph Partsch in Auftrag gegeben hatte. Bei TLT bestand die Sorge, dass offen werden könnte, wie viel die Unternehmen tatsächlich am Bau der Raffinerie in Leuna verdienen.
Wie viel die Unternehmen tatsächlich am Bau der Raffinerie in Leuna verdienen
Die Planer hatten mit einer Rendite von zwanzig Prozent kalkuliert – üblich waren höchstens fünf Prozent. Bei dem Treffen im November vereinbarten sie, dass der hohe Gewinn möglichst nicht bei dem Konsortium, sondern aus den Büchern verschwinden sollte. Dafür wurden elf Methoden abgestimmt, um die Baukosten nachträglich zu erhöhen, erklärte der »Kassenwart« den Journalisten. Unter anderem wurden Material- und Ingenieurkosten bewusst erhöht. Bei einem so großen Bauprojekt, so die erfahrenen Anlagenbauer, ist es äußerst schwer, nachträglich zu prüfen, welche Kosten tatsächlich angefallen sind. Schon wenige Wochen nach Baubeginn in Leuna flossen 1,6 Milliarden Mark in die Kassen der TLT. Elf zahlte diesen Betrag, das sind immerhin 50 Prozent der veranschlagten Baukosten. Auf Konten des Konzerns in Frankreich gingen die zahlreichen Subventionen ein, die Elf sich gesichert hatte und die, wie bereits vorab von Partsch erkannt, nicht vollständig für den Bau der Anlage verwendet werden konnten. Dieses Geld musste irgendwohin. Also legte der „Kassenwart“ (und Whistleblower) es auf dem Kapitalmarkt an. Das brachte der TLT zusätzliche 200 Millionen Mark Zinsen. Der Gewinn, der bis Herbst 1997 erzielt wurde, wurde nicht sofort, sondern in Tranchen über drei Jahre verteilt, um ihn in den Bilanzen der TLT-Mitglieder nicht sofort sichtbar werden zu lassen. Der Thyssen-Tochter wurde wie vereinbart ein Gewinn von 280 Millionen Mark überwiesen, der allein durch die fingierten Baukosten entstanden war. Zufall oder nicht: Das entspricht fast genau der Summe, die der Konzern an die BvS im Zusammenhang mit dem Metallurgiehandel zahlen musste. Während die EU ebenfalls Subventionen an die Leuna-Betreiber zahlte, leitete der zuständige EU-Kommissar Karel van Miert ein Prüfverfahren ein. Er erhielt anonym ein Schreiben, in dem behauptet wurde, bei der TLT gehe es nicht mit rechten Dingen zu. Doch weder Thyssen noch Elf kooperierten bei der Untersuchung mit der EU. Die EU beauftragte ein weiteres Gutachten, das ebenfalls bestätigte, dass die Baukosten viel zu hoch seien – mindestens 700 Millionen Mark seien zu viel ausgegeben worden.
Baufinanzierung, die fast vollständig mit Steuergeldern finanziert wurde?
Doch die Bundesregierung, seit 1998 von SPD und Bündnis 90/Die Grünen regiert, reagierte nicht. Insgesamt hatte Elf so viele Subventionen eingestrichen, dass der Konzern kein eigenes Geld mehr in Leuna investieren musste. Die Manager durchsetzten ihre Interessen vollständig. Die genauen Baukosten von Leuna und der tatsächliche Gewinn der beteiligten Firmen blieben jedoch nie öffentlich bekannt. „Leuna 2000“ nahm 1998 nach vielen Problemen während der Bauphase die Arbeit auf. Nach fast sechs Jahren Vertragslaufzeit wurde das erste Benzin ausgeliefert. Keiner der Untersuchungsausschüsse oder Staatsanwaltschaften zwang die beteiligten Firmen zur Offenlegung der Baufinanzierung, die fast vollständig mit Steuergeldern finanziert wurde. Die Recherchen der Leipziger Journalisten Arndt Ginzel und Martin Kraushaar, veröffentlicht in der Wochenzeitung „Die Zeit“, hatten keine Konsequenzen. Keine Behörde wollte sich mit diesem Fall weiter beschäftigen. Leuna macht inzwischen fünf Milliarden Euro Umsatz jährlich und ist damit das zweitgrößte Unternehmen in Ostdeutschland. Den Gewinn zieht Elf ab, das inzwischen nach mehreren Fusionen Total heißt. Die Raffinerie ist eine GmbH und gehört zum Total-Konzern. Für Modernisierungskosten muss die Betreibergesellschaft selbst aufkommen. Leuna ist für den französischen Erdölriesen eine sichere Anlage, die die Firmengeschichte um ein weiteres Kapitel ergänzt.
Beginn der Ermittlungen und die Rolle von Eva Joly
Der Fall, den Eva Joly aufdecken wird und der zu Leuna führt, beginnt mit einer Gerichtsverhandlung in New York. Die US-Firma Rexnord klagt den Modekonzern Bidermann, der Rexnord noch Geld schuldet. Rexnord versucht, Bidermanns Besitz in den USA und die Aktien in Paris zu pfänden. Die Pariser Börsenaufsicht wird eingeschaltet und entdeckt große Überweisungen an Bidermann, die ohne ersichtliche Gegenleistung erfolgen. Das »Palais de la Justice« wird alarmiert. Am 18. August 1994 übernimmt Eva Joly den Fall. Sie und ihre Ermittler finden heraus, dass Bidermann 236 Millionen Mark von Elf erhalten hat, allerdings nicht von den offiziellen Elf-Geschäftskonten. Zudem stoßen sie auf weitere dubiose Überweisungen: Bidermann zahlte nicht nur Alimente und Schweigegeld für die Ex-Frau von Loïk Le Floch-Prigent, sondern auch die Kosten ihrer Wohnung in London. Joly sagt: „Von Anfang an gibt es diese merkwürdige Asymmetrie zwischen der Aufregung, die ich auslöse, und der Bedeutung, die ich diesem Fall beimesse.“ Die Finanzermittler prüfen die Konten, von denen die Überweisungen ausgingen, genau und legen nach und nach das illegale System offen, mit dem das Elf-Management Gelder aus Afrika nach Europa schleust. Joly verhaftet 1996 Le Floch-Prigent und klagt im Lauf der Jahre 37 Elf-Manager, Politiker und Helfershelfer an. In Haft beginnen die Männer zu reden. Der Ex-Rennfahrer André Guelfi, damals 77, erklärt Ende 1997, dass ein Teil des Geldes, das über sein Konto an den Deutschen Dieter Holzer geflossen ist, an die CDU weitergereicht werden sollte. Der Ex-Chef von Elf, Le Floch, sagt in Verhören, dass Mitterrand auf diesem Weg Kohl bei der Wiederwahl helfen wollte. Den französischen Ex-Staatschef kann man dazu nicht mehr befragen – er ist 1996 gestorben. Am Ende können die Manager vor Gericht keinen Beweis dafür erbringen, dass CDU-Politiker als aktive Regierungsmitglieder bestochen wurden. Das Eingeständnis, dass Elf regelmäßig französische Parteien schmierte, gibt Le Floch jedoch zu. Das neue Elf-Management erstattete umgehend Anzeige gegen Unbekannt, als es im April 1995 von den Ermittlungen gegen Le Floch & Co. erfuhr. Auch Philippe Jaffré tat dasselbe, da einige Spuren in die Schweiz führten. So arbeiteten Ermittler in Frankreich mit Schweizer Kollegen zusammen. Sie trafen sich auch mit deutschen Staatsanwälten. Ihnen verdächtigen, dass deutsche Politiker mit diesem Geld bestochen wurden. Dabei übersah man kurzfristig, dass es sich bei den beschuldigten Personen – Dr. Hans Friderichs (FDP), Agnes Hürland-Brüning (CDU) und Ludwig-Holger Pfahls (CSU) – nur um Ex-Politiker handelte. Es gibt keine Belege, dass noch aktive Politiker Zahlungen von Elf erhalten haben. Die Drahtzieher des afrikanischen Systems werden in Paris zu hohen Haft- und Geldstrafen verurteilt. Während das Verfahren läuft, gibt Pierre Lethier, das ehemalige Geheimdienst-Wunderkind, dem »International Herald Tribune« Interviews, in denen er seine Verteidigung erklärt. Er sagt, die Gerüchte, man habe CDU-Politiker bestochen, seien Teil einer Strategie, um von Kickbacks und eigener Schuld abzulenken.
Der Fall Lisowski, Verurteilungen und die Nachwirkungen
Als Waltraud Lisowski, die in einer Beteiligungsfirma der Treuhand lange tätig war, schließlich vor Gericht gestellt wird, interessiert das in Deutschland kaum noch jemanden. 1998 wird sie zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, weil sie angeblich 3,2 Millionen Mark aus dem KoKo-Bereich veruntreut haben soll. Die Medien berichten nur in kurzen Zeilen. Das Interesse an der DDR-Vergangenheit und der chaotischen Wendezeit ist im wiedervereinten Deutschland fast erloschen. Wie viel die Treuhand an ehemalige KoKo-Mitarbeiter verkauft hat, konnten Wirtschaftsprüfer und die ZERV kaum ermitteln, da die Ressourcen fehlten. Lisowski möchte heute nicht mehr über ihre Zeit bei der Treuhand sprechen. Gegen ihren früheren Vorgesetzten Alexander Schalck liefen zeitweilig sieben Verfahren, unter anderem wegen Waffenschmuggels, Untreue und Verstoß gegen Embargobestimmungen. Schalck wurde in einem Verfahren – Waffengeschäfte – zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Alle Instanzen, Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht, bestätigten das Urteil. In einem zweiten Verfahren – Embargogeschäfte – wurde er zu sechzehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Schalck betonte mehrfach, dass die Bundesregierung von den Geschäften gewusst habe. Kurz nach rechtskräftigem Urteil veröffentlichte er seine Memoiren. Für eine langfristige Haftstrafe wurde er in Deutschland nie verurteilt.
Geschäfte und Verurteilungen im Zusammenhang mit der Treuhand
Einer der Geschäftsmänner, die Schalck beim Schmuggeln von Waren in die DDR unterstützten, ist Martin Schlaff. Er wurde in Deutschland wegen undurchsichtiger Geschäfte mit der Treuhand ebenfalls nie verurteilt. Schlaff ist der Mann, an dem sich Uwe Schmidt die Zähne ausgebissen hat. Auch die Wirtschaftsprüfer der BvS erhielten nie genug Unterstützung, um die Geschäfte des Wieners aufzuklären. Peter Deparade, einst Treuhandmanager und später für Schlaff tätig, der Immobilien an ihn verkaufte, steht nie vor Gericht. Das Verfahren wurde immer wieder verschoben, weil andere Fälle Vorrang hatten oder Ressourcen fehlten. Bis 2007 war Deparade laut Handelsregister Geschäftsführer einer Schlaff-Tochtergesellschaft, die Grundstücke in Berlin verwaltete.
Der Aufstieg von Martin Schlaff und die Unterschlagung in Österreich
Martin Schlaff ist inzwischen einer der reichsten Männer Österreichs. Durch den Verkauf einer Beteiligung an osteuropäischen Telekomfirmen hat er zusätzlich Vermögen erworben. Er ist eine bekannte Figur in Österreichs Gesellschaftsleben, seine Scheidung sorgte für Schlagzeilen. Auch in Österreich wird immer wieder gegen ihn ermittelt, bislang ohne Erfolg. Uwe Schmidt erfuhr bei Dienstreisen, dass die österreichischen Behörden wenig Interesse zeigten, bei Ermittlungen gegen Schlaff mitzuwirken. Die deutschen Ermittler sahen sein Wiener Apartment am Stephansdom, beeindruckender als das von Michael Rottmann. Der durch die Wendekriminalität entstandene Schaden wurde nie exakt beziffert. Viele schätzen nur einige Hundert Millionen Mark, andere sprechen von acht Milliarden D-Mark, was etwa drei Prozent des gesamten Treuhand-Volumens entspricht. Doch eine genaue Zahl gibt es nicht. Laut einem ehemaligen Ermittler liegt der Schaden bei 25 Milliarden Mark: „Alle anderen rechnen sich das schön.“ Seit Jahren besteht seitens der Bundesregierung, unabhängig von der jeweiligen Regierung, kein Interesse daran, die Verbrechen der Wendezeit aufzuklären.
Ende der Ermittlungen gegen Klaus Klamroth und weitere Fälle
Nach fünfeinhalb Jahren stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart das Verfahren gegen Klaus Klamroth ein. Die Vorwürfe gegen den gebürtigen Halberstädter waren haltlos. Als eine Zeitung darüber berichtete, sprechen seine Nachbarn wieder mit ihm. Klamroths Kollege Bernd Capellen geriet am Ende auch in Konflikt mit dem neuen Leiter der Treuhand-Niederlassung. Ihm wurde vorgeworfen, unsauber gearbeitet zu haben. Auch er musste gehen. Seine Vorwürfe wurden nicht bestätigt. Heute arbeitet Capellen als Sanierer und Liquidator im Ruhrgebiet, unter anderem bei der Abwicklung von Babcock. Seine Sekretärin hatte einst für Michael Rottmann gearbeitet. Erst im Gerichtssaal erfuhr Klamroth, dass sein ehemaliger Kollege und Partner Werner Sauer ein Konkursbetrüger war. Die Öffentlichkeit verfolgt sein Verfahren kaum noch. Die Einzelheiten des Versagens der Zentrale bei der Kontrolle von Halle wurden erst im Prozess gegen Sauer, Dr. Walter Schneider, Kurt Dachsner und Tim Olaf Alexander bekannt. Alle vier wurden vom Landgericht Stuttgart verurteilt, mit Haftstrafen um die fünf Jahre. Dachsner erhielt vier Jahre und neun Monate, weil er zugab, dass es ihm damals nur um das Geld ging. Sauer wurde zu fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er zeigte sich reumütig, versprach, Steuerschulden und Schmiergelder zurückzuzahlen, und belastete den Anwalt Dachsner, der einen Teil des Schmiergelds erhalten haben soll. Der Richter schrieb im Urteil: „Der Schaden für die Marktwirtschaft in Ostdeutschland ist groß, weil durch die Medienberichte das Ansehen der Wirtschaft erheblich beschädigt wurde. Korruption bei der Privatisierung, bei der es um Arbeitsplätze ging, ist besonders verwerflich, und die Ahndung muss abschrecken.“ Auch gegen Dr. Walter Schneider wurde ein Urteil gesprochen, er erhielt fünf Jahre und drei Monate, während Tim Olaf Alexander mit fünf Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt wurde. Die Öffentlichkeit nahm kaum Kenntnis davon, weil das Verfahren als Letztes verhandelt wurde und in Halle keine Gesamtübersicht geschaffen wurde. Das hätte eigentlich passieren müssen. Die Staatsanwaltschaft hätte Alexander, Sauer und Dachsner wegen organisierter Bandenkriminalität anklagen sollen, da sie sich zu kriminellen Handlungen verabredet hatten. Diese Schlagzeilen wurden von der BvS und der Bundesregierung vermieden. Der Betrüger aus München, Georg Nass, wurde 1996 vom Landgericht Halle nach 26 Monaten zu fünf Jahren und fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Der Vorsitzende sah es als mildernd an, dass die Treuhand-Niederlassung Nass die Taten besonders leicht gemacht hatte. Man habe Nass Firmen ohne Bonitätsprüfung aufgedrängt. Auch seine Vorstrafen wegen Betrugs während des Studiums wurden dabei nicht berücksichtigt. In keiner anderen Niederlassung wurden so viele Treuhänder verurteilt wie in Halle. Doch hier wurde auch besonders genau geprüft, weil ein Gewerkschafter und ein Journalist den Skandal aufdeckten.
Persönliche Entwicklungen und Reflexionen ehemaliger Akteure
Detlef Scheunert hatte Ostdeutschland 1994 verlassen und ist nicht mehr zurückgekehrt. Er wollte das Elternhaus nicht übernehmen: „Ich kam im privaten Bereich nicht auf die Idee, mich so einer Sache zu stellen. Mein Bedürfnis war zu groß, hinaus in die Welt zu gehen. Damals verstand ich noch nicht, wie wichtig Wurzeln sind. Heute weiß ich das.“ Scheunert arbeitete als Manager in Nordrhein-Westfalen und bereitete mehrere Firmen auf den Verkauf vor. Er wurde nie Unternehmer. Von den 78.000 Arbeitsplätzen, für die er bei der Treuhand verantwortlich war, gab es bei seinem Abschied nur noch 13.000. Lange Zeit sprach er nicht mehr über seine Zeit als junger Funktionär in der DDR und Treuhänder: „Mich hat gestört, dass man die Treuhand für alles verantwortlich machte. Als sei sie nur die Müllabfuhr, während Honecker & Co. alles angerichtet hatten. Die Leute waren so vergesslich. Ich sagte immer: Was redet ihr von der Treuhand? Wir sind nur die Leichengräber. Aber die Leiche wurde von anderen gemacht. Das wollte man nicht wahrhaben.“
Gesellschaftliche Reflexionen und zukünftige Perspektiven
Die Bürgerrechtler Matthias Artzt und Gerd Gebhardt arbeiten für ein Brandenburgisches Ministerium. Artzt im Wirtschaftsministerium, Gebhardt im Infrastruktur- und Landwirtschaftsministerium. Gebhardt war beim Flughafenbau in Schönefeld führend beteiligt. Über die Gründung der Treuhand sagt Artzt: „Eigentlich war es schon vom 1. März 1990 an nicht mehr unser Projekt. Es ist immer wieder zu beobachten, dass man etwas Positives anregt, aber am Ende etwas ganz anderes daraus wird. Man fühlt sich schon verantwortlich für das, was passiert ist. Doch das Ergebnis war nie das, was wir wollten. Wir sind auch ein bisschen traurig, wenn gesagt wird: ‚Aus einem Rundtisch kamen nur Spinner, die was vorgeschlagen haben, was dann daraus wurde.‘ Diese Selbstüberschätzung ist nicht haltbar.“ Gebhardt ergänzt: „Das ist ähnlich wie bei Einstein und der Atombombe. Was daraus gemacht wurde, war eine andere Sache, willentlich gemacht.“ Artzt wirft ein: „… Einstein hat die Atombombe mitentwickelt – aber bei der Kernspaltung, da stimme ich dir zu, war das anders.“ Beide treffen sich noch immer regelmäßig, wie in den späten 1980er Jahren, mit Mitgliedern der Freien Forschungsgemeinschaft, um gesellschaftliche Entwicklungen zu diskutieren. Wolfgang Ullmann ist 2004 gestorben, Hans-Jürgen Blüher hat Erfolg im Bankwesen. Artzt, Gebhardt und ihre Mitstreiter meinen, die deutsche Gesellschaft sei heute genauso unfähig zur Selbstkritik wie die DDR in ihren letzten Jahren. Sie erkenne nicht, dass sie ihr Wirtschaftssystem grundsätzlich überdenken müsse, bevor eine neue Zeitenwende nötig werde. Die Freie Forschungsgemeinschaft glaubt, dass ihre Idee einer Gesellschaft, die sich stärker in das Wirtschaftsleben einmischt, bald wieder gefragt sein könnte.


















