Lausitzer Mythen: Das Weihnachtsgeschenk
Geht man von Budissin nach Görlitz, so erblickt man unweit des Pfarrdorfs Krischa linker Hand ein mit Nadel- und Laubholz bepflanztes Plätzchen, in welchem man vor einigen und sechzig Jahren eine einfache, schlichte Betsäule, auf welcher die eingehauene Schrift verwittert war, fand.
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Von ihr ging die Sage:
Ende des funfzehnten Jahrhunderts ging am Tage des heiligen Weihnachtabends ein armer, aber ehrlicher Bürger aus Budissin von Görlitz, wohin er Arbeit getragen, aber kein Geld bekommen, mit schwer bekümmertem Herzen nach Hause. Vorgenommen hatte er sich für seine sechs kleine Kinder einige Christbrote zu kaufen, um ihnen an dem Tage, wo sich für’s ganze Jahr die ganze Christenheit freut, eine geringe unschuldige Freude zu machen. Aber hochbetrübt, daß sein bescheidener Wunsch nicht erfüllt worden war, seufzte er tief und betete – vor dem kommenden Jahre und harten Winter bangend – inbrünstig zu Gott, dessen Fürsorge und Güte er sich und die Seinigen dringend empfahl.
Schon begann es zu dunkeln und die Sterne funkelten mit glühendem Feuer herab von dem reinen, blauen Himmelsgewölbe. Er verdoppelte daher seine Schritte, vermochte aber doch nicht eher, als beim vollen Einbruch der Nacht in die krischaer Gegend zu gelangen. Da nahm er wahr, wie das ihm rechter Hand liegende Büschchen – damals bedeutender als gegenwärtig – mit mehrern hundert Lichtern erleuchtet sey. Verwundert darob, auch nicht ganz furchtlos, wußte er nicht, ob er vorüber- oder hineingehen sollte. Sein Verstand, welcher ihn an Geister, die vornämlich in dieser Nacht ihre – oft ärgere als demagogische Umtriebe treiben sollen, denken hieß, rieth ihm das Erstere, seine Wißbegierde heischte jedoch das Letztere. Er faßte daher Muth, stärkte sich mit Gebet und schlug die wenigen vom Wege abführenden Schritte zum Holze ein. Gleich am Eingange desselben trat ihm ein ungefähr vier Spannen langes, weiß gekleidetes Männchen mit einem mehrere Ellen langen schwarzen Barte, den es durch die Beine gezogen hatte und dessen Endspitze gleich einem Roßschweif durch seinen großen runden Hut herauswehte, mit freundlichen, Zutrauen erweckenden Mienen entgegen und sprach in einem der Flöte ähnlichen Tone: „Fürchte Dich nicht, Dir ist heut groß Glück und Heil bescheert, folge mir getrost!“ Der Bürger gehorchte und sah’ an den kleinen Fichten, die alle durch bunte Lampen erleuchtet waren, Aepfel, Birnen, Nüsse, Mandeln und Honigkuchen in Menge hängen.
„Hier“ – fuhr der gütige Geist fort – „pflücke so viel Du willst und mache damit den Deinigen einen frohen, vergnügten Abend!“ Der Mann that, wie ihm die Erscheinung befahl, füllte den für die Christbrote bestimmten Sack zur Hälfte, legte ihn – obschon das Männchen ihm zuredete ihn ganz zu füllen – zufrieden auf seine Schultern, die Lichter verlöschten, das Männchen verschwand und der Städter ging seines Weges. Allein je mehr er sich der Stadt näherte, desto schwerer wurde ihm seine Bürde, so daß er sich genöthiget sahe, mehrere Stücke davon wegzuwerfen. Müde und matt langt er endlich in seiner niedern Hütte an, wo seine Frau, bange wegen seines langen Aussenbleibens und die sich freuenden Kinder, die ihn längst erwartet hatten, froh ihm entgegen hüpften und freundlich fragten: „Nun, lieber Vater, was bringt Christkindlein?“
„Ich komme nicht leer, meine Lieben!“ erwiederte er, „bin reichlich beschenkt worden, ihr werdet euch Alle freuen; sehet“ – sagte er – keuchend den Sack hinwerfend. Da klirrte es wie Metall, begierig wurde der Sack eröffnet und man denke sich Aller frohes Erstaunen, da ihnen Goldmünzen von hohem Werth, deren Glanz die Kinder, deren Gehalt aber die Aeltern ergötzte, entgegen flimmerten. „Nun können wir – riefen die Kinder fröhlich aufjauchzend – uns Striezel (Christbrote, Weihnachtsstollen,) Mützen, Hauben, Schuh und Strümpfe bei dem kalten Winter kaufen.“ Alt und Jung fiel auf die Knie und dankten Gott und dem kleinen, guten Geist für die reichliche Spende. Der Vater ließ an jenem Orte, wo ihm die Glückslichter geleuchtet hatten, eine Betsäule errichten, machte von dem Geschenk einen weisen Gebrauch, arbeitete fleißig als Strumpfstricker – wo er der Sage nach (leider daß sein Name vergessen worden) in Budissin dieses Handwerk in Schwung gebracht haben soll – und starb als ein reicher und glücklicher Mann im hohen Alter.