“Ihr seid diktatursozialisiert!” – “Die wichtigste Folge dieser Diktatursozialisierung ist eine ungewöhnliche Betrachtung des Staates”

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Die Debatte über Ostdeutschland sowie die Beziehung zwischen Ost und West wird kontinuierlich neu angestoßen. Dies geschieht sowohl im Zusammenhang mit wichtigen Jubiläen als auch nach Protestaktionen oder Wahlergebnissen. Darüber hinaus sind in dieser Diskussion keine Fortschritte im Verständnis zu verzeichnen.

“Die Diskussion über Ostdeutschland und das Verhältnis zwischen Ost und West flammt immer wieder auf”

>>Ungleich vereint – Warum der Osten anders bleibt von Steffen Mau (Buch) <<

“Die Diskussion über Ostdeutschland und das Verhältnis zwischen Ost und West flammt immer wieder auf. Sei es anlässlich runder Jubiläen, sei es nach Protesten. Und dennoch gibt es in dieser Debatte keine Verständnisfortschritte. Sie dreht sich im Kreis, auf Vorwürfe folgen Gegenvorwürfe: »Ihr seid diktatursozialisiert!« – »Ihr habt uns ökonomisch und symbolisch kleingemacht!« …Steffen Mau setzt sich mit prominenten Beiträgen auseinander und widerspricht der Angleichungsthese, laut der Ostdeutschland im Lauf der Zeit so sein werde wie der Westen. Aufgrund der Erfahrungen in der DDR und in den Wendejahren wird der Osten anders bleiben – ökonomisch, politisch, aber auch, was Mentalität und Identität betrifft.”

“Ihr seid diktatursozialisiert!” – “Ihr habt uns ökonomisch und symbolisch kleingemacht!”

Die Diskussion verläuft also im Kreis, wobei unter anderem die Anschuldigungen geäußert werden, dass der Osten „diktatursozialisiert“ sei. Die vermeintlich besser informierten westdeutschen Gesellschaftswissenschaftler präsentieren daraufhin differenzierte Erklärungsansätze. Angesichts der Erfahrungen in der DDR und während der Wendezeit wird der Osten anders bleiben – sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer Hinsicht, aber auch bezüglich Mentalität und Identität. Es ist zu erwarten, dass Ostdeutschland immer der wirtschaftlich benachteiligte Teil sein wird. Folglich bleibt die Region wirtschaftlich hinterher und dieser Zustand soll auch weiterhin bestehen bleiben.

“Das wird beschrieben mit dem Begrif” – “Diktatursozialisiert”

>>Freiheitsschock von Ilko-Sascha Kowalczuk (Buch) <<

“Das wird beschrieben mit dem Begriff «diktatursozialisiert». Und «diktatursozialisiert» heißt nicht, dass es nur Menschen betrifft, die in der DDR gelebt haben und erwachsen geworden sind. Die nachhaltigsten Prägungen finden in den Familien statt, durch Gespräche und Erzählungen von Eltern und Großeltern, die ihre Erfahrungen und Erlebnisse, ihre Einschätzungen und Moralvorstellungen an die später geborenen Kinder und Enkel weitergeben. … Die wichtigste Folge dieser Diktatursozialisierung ist eine ungewöhnliche Betrachtung des Staates.”

“Die wichtigste Folge dieser Diktatursozialisierung ist eine ungewöhnliche Betrachtung des Staates”

In dieser Analyse wird die drastische wirtschaftliche Schrumpfung selbstverständlich ignoriert. Während andere Nationen – wie zum Beispiel China – bemerkenswerte wirtschaftliche Erfolge erzielt haben, vollzog sich in Ostdeutschland genau das Gegenteil. Die Deindustrialisierung schreitet unaufhörlich voran und ist längst nicht abgeschlossen. Zudem tragen die überbordende staatliche Bürokratie und die begrenzten Mitbestimmungsmöglichkeiten in einer real praktizierten repräsentativen Demokratie zur Situation bei. Um all diese Entwicklungen zu erläutern, muss daher das Fachgebiet “Diktatursozialisierung” herangezogen werden, wobei einige es sogar zu einer Art Geschäftsmodell weiterentwickelt haben.

“Erbe der DDR als Erklärung heranzog (Zitat: «diktatursozialisiert»)”

>>Dirk Angriff auf Deutschland – Die schleichende Machtergreifung der AfD von Michael Kraske & Dirk Laabs (Buch) <<

“Wanderwitz hat sich bundesweit einen Namen gemacht, weil er Demokratieprobleme und Rechtsextremismus im deutschen Osten schonungslos beim Namen nannte. Dafür, dass er das Erbe der DDR als Erklärung heranzog (Zitat: «diktatursozialisiert»), wurde er heftig angefeindet. Seither gilt er den einen als erfreulich unbequeme Stimme aus dem Osten, den anderen als Nestbeschmutzer. Der ehemalige Ostbeauftragte der Bundesregierung ist zu einem der wichtigsten politischen Akteure im Kampf gegen die AfD geworden. Fraktionsübergreifend versucht Wanderwitz, ein Parteiverbotsverfahren auf den Weg zu bringen. Das allein ist bemerkenswert. Kein Linker, kein Sozialdemokrat und keine Grüne wagen sich so weit vor wie der Christdemokrat.”

“Kein Linker, kein Sozialdemokrat und keine Grüne wagen sich so weit vor wie der Christdemokrat”

Das Wort Opportunismus scheint hier wohl gut geeignet zu sein. Selten würde sich ein Politiker aus dem Westen so weit – öffentlich – exponieren. Er äußert offen, was viele Westdeutsche möglicherweise denken, jedoch selten in der Öffentlichkeit aussprechen würden. Dadurch erhält er aus westdeutschen Kreisen häufig Rückhalt und braucht sich um seine Zukunft keine Gedanken zu machen. Interessanterweise fällt der Gegenentwurf zur Diskussion über die Diktatursozialisierung im Osten kaum ins Gewicht, was ein Professor einmal ansprach.

“Aufgewachsen in der DDR ist diese Person ja »diktatursozialisiert«, war”

>>Der Osten – eine westdeutsche Erfindung von Dirk Oschmann (Buch) <<

“Als Kompensation habe ich fürs Erste anzubieten, dass ich im Kontrast zu allen anderen Professoren und Professorinnen am Institut ein bildungsfernes Arbeiterkind bin und obendrein »aus dem Osten« komme. Wieder andere würden dann sagen – und haben es mir auch schon gesagt: Das ist doch keine Kompensation, im Gegenteil, das macht es noch schlimmer, denn aufgewachsen in der DDR ist diese Person ja »diktatursozialisiert«, war bei den Pionieren und in der FDJ , ist folglich atheistisch, kommunistisch und kollektivistisch abgerichtet, ist damit notwendig obrigkeitshörig und unfähig zum Selberdenken, dennoch ein Trojanisches Pferd, das als Hochschullehrer die Köpfe unserer Jugend verwirrt. Wie wäre es eigentlich, wenn ich dazu überginge, Westdeutschen im Gegenzug permanent vorzuhalten, dass sie in einem Land sozialisiert wurden, in dem bis zur Wiedervereinigung in etlichen gesellschaftlichen Teilbereichen alte Nazis das Sagen hatten, und entsprechend analoge Schlüsse daraus zöge? Wo es zahllose Städte gab, in denen Hitler noch bis in die Nullerjahre hinein »Ehrenbürger« war. Wenn ich an Globke, Filbinger oder Willi Daume erinnerte?”

“Wo es zahllose Städte gab, in denen Hitler noch bis in die Nullerjahre hinein »Ehrenbürger« war”

Hans Filbinger war während der Zeit des Nationalsozialismus als Richter an mehreren Todesurteilen beteiligt, was für seinen Werdegang in der späteren Bundesrepublik Deutschland kein echtes Hindernis darstellte. Er hatte sogar zeitweise das Amt des Ministerpräsidenten inne. Viele bedeutende Persönlichkeiten aus der NS-Zeit setzten nach dem Krieg ihre Laufbahn in der späteren westdeutschen Bundesrepublik Deutschland fort, ohne jemals ernsthaft dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, sie seien „diktatursozialisiert“ gewesen.