Die Komplexität und Vorbereitung der Varusschlacht im germanischen Widerstand
Screenshot youtube.comVarus’ Irrtümer und die Lage in Gallien als Vergleich
Zu Beginn legt Dio Cassius die grundsätzlichen Fehlannahmen offen, die der ehemalige Prokonsul von Syrien, Varus, bezüglich Germanien hatte. Diese falschen Vorstellungen setzte er der Lage in bestimmten Regionen Galliens entgegen, die ebenfalls noch nicht vollständig in das römische Herrschaftssystem eingegliedert waren. In Gallien befanden sich zwar römische Soldaten in Winterquartieren, es wurden Städte gegründet und Märkte eröffnet. All dies führte zusammen mit der Übernahme einiger römischer Bräuche dazu, dass die gallischen Stämme sich, so die Beschreibung, „wie verwandelt“ zeigten. Dennoch konnte keinesfalls behauptet werden, dass sie ihre heimischen Lebensweisen, die Traditionen ihrer Vorfahren, ihre Selbstständigkeit sowie ihre Freiheit, die sie selbst verteidigten, vollständig aufgegeben hätten. Solange diese Wandlung jedoch schrittweise und mit großer Sorgfalt erfolgte, reagierten sie kaum empfindlich auf die Veränderungen und nahmen kaum wahr, dass sie sich selbst wandelten. Im Gegensatz dazu versuchte Varus in Germanien, die bestehenden Verhältnisse als Oberbefehlshaber schnell und drastisch zu verändern. Er behandelte die Germanen wie Sklaven, erteilte ihnen Befehle und forderte Abgaben und Steuern wie von Untertanen. Diese Vorgehensweise wurde von den germanischen Fürsten abgelehnt, weil sie ihre Macht und ihren Einfluss bedroht sahen, und auch vom Volk abgelehnt, da es die gewohnten Verhältnisse einer Zwangsherrschaft bevorzugte.
Die geheime Verschwörung und der scheinbare Gehorsam
Was im Folgenden beschrieben wird, kann nur als Darstellung einer bereits laufenden geheimen Verschwörung und versteckten Absprachen interpretiert werden. Offener Widerstand gegen die Römer wagten die Germanen nicht, da die römischen Truppen am Rhein und in den Stammesgebieten zahlenmäßig überlegen waren. Deshalb nahmen sie Varus willkommen heißend auf, als wollten sie alles tun, was er von ihnen verlangte, und führten ihn weit weg vom Rhein, tief in das Gebiet der Cherusker bis zur Weser. Dort lebten sie friedlich und freundlich miteinander und ließen Varus glauben, sie könnten auch ohne römische Soldaten treue und gehorsame Untertanen sein.
Die Rolle der Cherusker und die Führung von Arminius
Dies war der erste Schachzug in diesem komplexen Spiel, wobei diesmal nicht die Römer, sondern die Cherusker die Initiative ergriffen hatten. Segimer, der Vater von Arminius, war offenbar der einzige der älteren Gaugrafen, der den Römern nicht mehr oder weniger zugetan war. Von seinem Bruder Inguiomar ist bekannt, dass er ein Freund der Römer war, ebenso wie Sigigast (Segestes), ein anderer Gaugraf, und dessen Bruder Segimer, wobei letzterer nicht mit dem zuvor genannten zu verwechseln ist. Die junge Generation der Cherusker zeigte wahrscheinlich eine ebenso ablehnende Haltung gegenüber Rom wie die Jugend in Gallien zu jener Zeit. Deshalb ist es wohl zutreffend, dass Arminius, der Sohn des Gaugrafen Segimer, zu Recht als „die Seele“ des Widerstands bezeichnet wird. Vor den ersten Aktionen gab es vermutlich zahlreiche hitzige Diskussionen, vor allem unter den Angehörigen der altadligen und einflussreichen Geschlechter, deren Rat und Wort großen Respekt genossen, aber sicherlich auch unter den freien Bürgern in geheimen Versammlungen. Wenn Segestes unmittelbar vor dem Angriff der kampfbereiten Cherusker auf Varus im letzten Moment Varus warnte, so zeugt dies von einer späten Einsicht, denn er hätte die Verschwörung schon viel früher aufdecken können. Es ist denkbar, dass er die Erfolgsaussichten der Verschwörer als gering einschätzte und dass Verrat, auch wenn die politische Überzeugung auf dem Spiel stand, für ihn keine Option war.
Arminius: Persönlichkeit und militärisches Talent
Arminius, dem angesehensten Geschlecht der Cherusker entstammend, wird in den Quellen als tapfer, schnell und geistig wendiger beschrieben als die meisten Barbaren seiner Zeit. Seine Kraft und Entschlossenheit spiegelten sich in seinem Blick wider. Es ist davon auszugehen, dass sein germanischer Name nicht Hermann war, sondern nur sein römischer Name überliefert wurde, den er wohl während seiner Dienstzeit bei den Römern erhalten hatte.
Die militärische Situation vor der Schlacht
Im Jahr neun nach Christus verlegte Varus sein Sommerlager in das Gebiet der Cherusker zwischen oberer Ems, Teutoburger Wald und Weser. Er führte drei Legionen mit sich, die siebzehnte, achtzehnte und neunzehnte, deren Heimatlager in Xanten lag, dazu kamen drei Reitergeschwader mit etwa dreitausend Mann und sechs Kohorten Hilfstruppen. Nicht mitgezählt sind die zahlreichen Begleitpersonen wie Frauen, Kinder, Sklaven, Freigelassene, Marketender, römische Geschäftsleute, Berater, Rechtsgelehrte, Schreiber und Beamte. Der Sommer verlief ruhig und friedlich, und Varus kündigte den Rückmarsch in die Winterquartiere an. Die Truppen sollten zum Rhein zurückkehren, wo lediglich sein Neffe Asprenas mit einer kleinen Besatzung verblieben war. Die Stimmung war von Aufbruch und Zuversicht geprägt. Da man sich in einem freundlichen Gebiet befand, und die Cherusker seit der Unterwerfung der Chauken sowie während des Pannonisch-Dalmatinischen Krieges ihre Verlässlichkeit bewiesen hatten, bestand kein Anlass zur Sorge.
Der Hinterhalt und die Strategie Arminius’
Wieder lag es an Arminius, das Geschehen zu lenken. Die Römer waren es gewohnt, gut ausgebaute Marschstraßen zu benutzen, die sie gut kannten und die durch Wachtürme und Kastelle gesichert waren. Die Hauptstraße in Ost-West-Richtung verlief entlang der Lippe von Aliso bis zur Mündung nahe Xanten. Das militärische Ziel der Cherusker bestand darin, die Römer vor Erreichen dieser Straße in schwierigem Gelände anzugreifen, um die Entfaltung ihrer bewährten Schlachtordnung zu verhindern. Gelingt ihnen dies nicht, wäre die Wahrscheinlichkeit eines Sieges für die Cherusker und ihre Verbündeten deutlich geringer, da die römisch organisierte Formation der unstrukturierten germanischen Schlachtordnung überlegen war.
Die Täuschung und Varus’ fataler Fehler
Arminius meldete Varus eine fingierte Unruhe in einem entfernten germanischen Stamm, vermutlich den Chatten oder Marsen. Varus entschied sich, den Aufstand auf dem Rückmarsch zu unterdrücken. Diese Meldung konnte nur von einem Germanen stammen, da kein Römer sie überbracht haben konnte. Doch Varus vertraute diesem Germanen, trotz seiner grundsätzlichen Verachtung der Germanen als Menschen. Dieses Vertrauen erscheint aus heutiger Sicht als absurd, doch es ist anzunehmen, dass wochenlange Schmeicheleien und Täuschungen zu seiner Blindheit beitrugen. Velleius Paterculus beschreibt diese Situation als eine von den Göttern verursachte Verblendung, die den Sturz ins Unglück einleitet. Selbst als das Unheil bereits eingetreten war, führte er die Ursachen auf die Unfähigkeit des Führers, die Treulosigkeit des Feindes und das unglückliche Schicksal zurück.
Die Führung und der Verrat kurz vor der Schlacht
Späher und Wegweiser der Cherusker übernahmen die Führung des Heeres. Noch versuchte Segestes, ein letzter Versuch, Varus zu warnen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er offenbar geschwiegen, obwohl die Verschwörung sich bereits ausgebreitet hatte. Am Abend vor dem Angriff trafen sich Segimer, Arminius und Segestes bei Varus, um über den nächsten Tag zu sprechen. Segestes appellierte eindringlich: Er warnte Varus, den beiden Cheruskern nicht zu vertrauen, da sie die Anführer eines umfassenden Aufstands seien. Er schlug vor, die Verdächtigen in Ketten zu legen, um die Verschwörung aufzudecken und Zeit für Untersuchungen zu gewinnen. Doch Varus blieb stur bei seiner Meinung, beeinflusst von seiner Vorliebe für Segimer und Arminius, die ihm wohl sympathischer waren als der selbstbewusste Segestes.
Die politische Rolle und Begrenztheit Arminius’
Arminius war ein charismatischer Anführer, doch seine Macht war begrenzt. Die germanischen Stämme kannten keine uneingeschränkte Herrschaft; selbst ein Gaugraf war eher ein Berater und Vorreiter im Rat als ein Befehlshaber mit absoluter Gewalt. Seine Autorität beruhte vor allem auf Rat und Kampfgeist. Trotz seiner Bemühungen konnte er nicht alle germanischen Stämme vereinen; nur einige Verbündete, darunter die Usipeter und Sugambrer, unterstützten ihn. Viele andere, wie die Chatten oder Markomannen, blieben außen vor. Auch innerhalb der Cherusker nahmen nicht alle Gaue teil. Eine umfassende germanische Freiheitsbewegung war somit nicht gegeben.
Die inneren Konflikte und der Verrat Segestes’
Segestes, ein überzeugter Römerfreund, wurde schließlich zum Verräter. Auch wenn sein Sohn Segimund Priester am Augustusheiligtum in Köln war, hatte sich dieser von römischer Loyalität gelöst und sich dem Kampf angeschlossen. Der Onkel von Arminius, Inguiomar, hielt sich aus politischen Gründen zurück, wohl mehr aus Neid denn aus Überzeugung. Diese inneren Rivalitäten schwächten den Widerstand und führten zu gefährlichen Spannungen. Arminius war sich der Ablehnung durch Segestes bewusst, doch dass dieser den Plan im entscheidenden Moment verraten würde, hatte er nicht erwartet. So zeigt sich, dass die Varusschlacht und der germanische Widerstand ein vielschichtiges, sorgfältig vorbereites Geschehen waren, geprägt von politischen Intrigen, strategischen Täuschungen, inneren Spannungen und dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Interessen. Die Rolle Arminius’ als zentraler Figur im Widerstand bleibt unbestritten, doch sein Erfolg hing ebenso von den Schwächen und Fehleinschätzungen der römischen Führung ab. Die Schlacht war somit nicht nur ein militärisches Ereignis, sondern auch ein komplexes politisches und kulturelles Schauspiel, das die Geschichte der römischen Germania tiefgreifend prägte.















