Arbeitsplatzabbau im Lausitzer Revier: Die völlige Empathielosigkeit des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks

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Die Unterschicht ist ungebildet, faul und schuld an ihrer prekären ökonomischen Situation“ – Diese Sichtweise wird gefühlt täglich auf allen denkbaren Kanälen verbreitet. Besonders die Abwicklung der Arbeitsplätze im Lausitzer Revier wird mit einer Empathielosigkeit des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk mitgetragen.

„System Relotius“ – Warum die Arbeiter im Lausitzer Revier keine mediale Stimme haben

Ungefähre Formel: Je mehr Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, desto Rücksichtsloser fällt die Berichterstattung aus. Nahezu ausschließlich wird die Sichtweise der Regierung bedient :Gleichzeitig wird die ökonomischen Situation der meisten Lausitzer einfach ausgeblendet. Doch wo kommt diese Empathielosigkeit her?

„Die Unterschicht ist ungebildet, faul und schuld an ihrer prekären ökonomischen Situation“

>>Proleten, Pöbel, Parasiten von Christian Baron (Buch) <<

„Die Unterschicht ist ungebildet, faul und schuld an ihrer prekären ökonomischen Situation – so lautet ein verbreitetes Vorurteil. … Entlang seiner eigenen Biografie untersucht er die gesellschaftlichen Konsequenzen einer scheinbar fortschrittlichen Politik, die sich von ihrer ursprünglichen Klientel – der Arbeiterschaft – weit entfernt hat.“

„Die sich von ihrer ursprünglichen Klientel – der Arbeiterschaft – weit entfernt hat“

Besonders der heutige „Durchschnitts-Journalist“ kommt vorwiegend aus der gehobenen Oberschicht her. Nicht die „Qualifikation“ – sondern eher die eigene Herkunft ist ausschlaggebend.

„Große Mehrheit der Journalisten aus eher gut situierten Bildungsbürgerhaushalten“

>>Tausend Zeilen Lüge – Das System Relotius und der deutsche Journalismus von Juan Moreno (Buch) <<

„Es heißt «Ich, Arbeiterkind». Vereinfacht ausgedrückt stammt die große Mehrheit der Journalisten aus eher gut situierten Bildungsbürgerhaushalten. Papa oft studiert, nicht selten verbeamtet, Mama ähnlich. Vielleicht doch eine Zahl: Von knapp siebzig Prozent mit «hohem Herkunftsniveau» im Journalismus ist in einer aktuellen Studie die Rede. Relotius gehört zu den siebzig Prozent.“

„Von knapp siebzig Prozent mit «hohem Herkunftsniveau» im Journalismus ist in einer aktuellen Studie die Rede“

Das „System Relotius“ ist quasi überall anzutreffen und nicht nur auf die Person Claas Relotius beschränkt. Speziell beim „System Relotius“ sind nicht mal offensichtliche Lügen notwendig.

„System Relotius“ – Wie läuft Manipulation in der Berichterstattung ab?

>>Staatsfunk „Mitteldeutsche Rundfunk“ <<

„Rückwärtsgewandt findet das auch die Mehrheit der Befragten im Lausitz-Monitor, denn erstmals überwiegt der Anteil derer, die den Kohleausstieg befürworten. 67 Prozent der Lausitzer sind der Meinung, dass ein tiefgreifender Strukturwandel in der Region notwendig sei.“

„System Relotius“ – Die manipulierten Aussagen zum Strukturwandel

Das Umfrageergebnis – bei dieser Fragestellung – ist nicht sonderlich überraschend: Denn zum Kohleausstieg wurde in der Studie selbst überhaupt nicht gefragt. Allenfalls wollte man nur etwas über einen „Strukturwandel“ wissen. Natürlich ist ein Strukturwandel nötig, nur lautet eher die Frage: Was darunter überhaupt zu verstehen sei? Schließlich ist die staatliche Bürokratie ständig im Wachsen begriffen, während gleichzeitig die Steuer- und Abgabenquote steigt. Selbstverständlich ist ein echter „Strukturwandel“ hin zu mehr Freiheit und Unternehmertum notwendig, was logischerweise die Mehrheit bejahen würde. Demzufolge ist das Ergebnis keinesfalls sonderlich überraschend.

Umfrage des Lausitz-Monitors: Ungefähr jeder zweit junge Erwachsene will die Lausitz verlassen

Allerdings sagt die selbe im Studie innerhalb des Lausitz-Monitors noch etwas viel Wichtigeres aus: Das ungefähr jeder zweit junge Erwachsene die Lausitz verlassen will und nur 14 Prozent die Lausitz mit Innovation gleichsetzen. In Wirklichkeit ist also die Aussage des Staatsfunks über dem „Strukturwandel“ in einem ganz anderen Kontext zu verstehen. Aber genau diese Tatsache wird verschwiegen. Denn die Abstimmung mit dem Füßen hat in Wirklichkeit schon längst begonnen.

Abwanderung: „Jeder, der hier weggeht, bekommt so eine Seite“

>>Staatsfunk „Mitteldeutsche Rundfunk“ <<

„Auf dem Weg entdecke ich mehrere aufgehängte Zeitungsblätter. Mirko Kolodzeij erzählt: „Jeder, der hier weggeht, bekommt so eine Seite. Das ist so eine Ahnengalerie. Und ich darf nicht weg, weil … hier ist keine Wand mehr.“ … Andrea Gabriel ist Gymnasiallehrerin für Deutsch und Englisch am Foucault-Gymnasium Hoyerswerda. Ich bin mit ihr und drei Elftklässlern verabredet: Clara, Cora und Cody. … Clara will Medizin bei der Bundeswehr in Bonn oder Hamburg studieren, Cora Psychologie in einer größeren Stadt oder im Ausland und Cody sagt: „Also ich möchte Osteopathie studieren und das ist in der Lausitz auch nicht möglich und deswegen wird es auch erstmal aus der Lausitz rausgehen. Aber später würde ich gern wieder zurückkommen.“ Cora schmunzelt: „Ich war überrascht von Cody gerade, weil ich eher höre, dass die Leute wegwollen.“ Clara bestätigt das: „Ich kenne mehrere, die sagen, die würden gern weg, um was Neues kennenzulernen.“

Einwohnerentwicklung von Hoyerswerda: Die substanzlose „Rückkehr-Theorie“

Die jungen Interviewpartner wollen also die Lausitz verlassen, ob sie wirklich zurückkehren: Das dürfte eher fraglich sein. Gerade die Stadt Hoyerswerda hat seit der Wiedervereinigung mehr als die Hälfte seiner Einwohner verloren, obwohl die damalige „DDR-Stadt“ Hoyerswerda nur aus Altstadt und Neustadt bestanden haben. Die beiden Stadtteile kommen heute zusammen nicht einmal mehr auf 30.000 Einwohner, dabei hatten – nur die zwei Stadtteile – mal rund 71.000 Einwohner gehabt. Alleine die Einwohnerentwicklung von Hoyerswerda lässt an der „Rückkehr-Theorie“ zweifeln.

Elitäre Berichterstattung über das Lausitzer Revier: Betroffene Arbeiter dürfen nicht zu Wort kommen

Dieser Bericht spiegelt also weniger die Wirklichkeit, sondern vielmehr eine sehr elitäre Sichtweise wider. Und genau diese soziologisch-isolierte Elite hat weder etwas für die sozial Schwachen, noch für die Arbeiterschicht übrig. Es ist deshalb kaum verwunderlich: Warum es im Bericht keine Kommentarfunktion vorhanden ist, und kein einziger Arbeiter des Lausitzer Reviers – in der sehr langen Reportage – zu Wort kommen darf. Kurzum: Bei der Abwicklung von Arbeitsplätzen müssen die Betroffenen ausgespart bleiben, aber müssen gleichzeitig die Rundfunkgebühren für solch einseitig-tendenziöse Berichterstattung bezahlen. Dabei lässt sich die soziologisch-isolierte Elite sogar auf empirischen Wege nachweisen.

„Sozialer Aufstieg durch Bildung ist ein weiterer Mythos“

>>Wem gehört Deutschland? von Jens Berger (Buch) <<

„Sozialer Aufstieg durch Bildung ist ein weiterer Mythos, an den wir uns gewöhnt haben. Gerade einmal 9,2 Prozent der Gymnasiasten haben Eltern mit Volks- beziehungsweise Hauptschulabschluss. Selbst bei gleicher Leistung hat das Kind eines Akademikers gegenüber einem Arbeiterkind eine dreimal so große Chance, ein Gymnasium zu besuchen. Von 100 Akademikerkindern studieren 71, von 100 Kindern aus Nichtakademikerfamilien nur 24.4 So pflanzen sich soziale Ungleichheiten über Generationen hinweg fort.“

„Bei gleicher Leistung hat das Kind eines Akademikers gegenüber einem Arbeiterkind eine dreimal so große Chance, ein Gymnasium zu besuchen“ 

Die Elite will lieber unter sich bleiben. Sicherlich nicht umsonst wurde das Bafög über die Jahrzehnte immer weiter zusammengestrichen. Sollten sozial Schwache es tatsächlich auf die Universität schaffen, dann haben sie am Ende vielleicht einen Studienabschluss in der Tasche, aber gleichzeitig haben sie einem riesigen Schuldenberg angehäuft: Denn das heutige Bafög setzt sich Großteils nur aus rückzahlbaren Darlehen zusammen. Zumal eine „Qualifikation“ heutzutage – ohne richtige Beziehungen – eher nebensächlich erscheint.

„Wohlstand in der von politischen Heuchlern so gern umworbenen »Mitte der Gesellschaft« ist fragil geworden“

>>Reichtum ohne Gier von Sahra Wagenknecht (Buch) <<

„Weder Fleiß und Qualifikation noch Zweit- und Drittjobs sind heute ein Garant dafür, sich und seiner Familie ein einigermaßen sorgenfreies Leben sichern zu können. Der Wohlstand in der von politischen Heuchlern so gern umworbenen »Mitte der Gesellschaft« ist fragil geworden. War früher individueller Aufstieg – wenn auch nicht vom Tellerwäscher zum Millionär, so doch vom Arbeiterkind zum Oberstudienrat – eine breite gesellschaftliche Erfahrung, ist es inzwischen eher der Abstieg. Selten geht es den Kindern heute besser als ihren Eltern, oft ist es umgekehrt.“

„Selten geht es den Kindern heute besser als ihren Eltern, oft ist es umgekehrt“

Tellerwäscher zum Millionär“ oder „Aufstieg durch Bildung“ „Die Unterschicht ist ungebildet, faul und schuld an ihrer prekären ökonomischen Situation“ – Mit diesem Mythen werden häufig die sozialen Verwerfungen gerechtfertigt und gerade die Berichterstattung des Öffentlichen-Rundfunk trägt maßgeblich dazu bei. Sicherlich hat es im Lausitzer Revier kaum jemand vom Tellerwäscher zum Millionär“ gebracht, aber gerade die Arbeitsplätze dort: Haben vielen Menschen – gerade für die Unter- und Mittelschicht – ein einträgliches Auskommen gesichert.