Amerikas Haltung und Strategie im Indochinakrieg: Ein Überblick über die Entwicklungen bis zur Eskalation
Screenshot youtube.comNach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stand die Welt am Beginn des Kalten Krieges, einer Ära, die durch ideologische Gegensätze, politische Spannungen und militärische Auseinandersetzungen zwischen den Supermächten USA und UdSSR geprägt war. In diesem Zusammenhang rückte auch die Region Indochina in den Fokus der globalen Strategie und Interessen. Anfangs zeigte sich die amerikanische Außenpolitik im Hinblick auf Indochina relativ zurückhaltend und zögerlich, da die USA die Situation vor Ort vor allem im Rahmen ihrer globalen Zielsetzungen im Blick hatten. Die Vereinigten Staaten waren vor allem damit beschäftigt, ihre Position im Kalten Krieg zu festigen, die europäische Stabilität zu sichern und ihre Bündnisse auszubauen. Im Zuge dieser Strategie behielt man die Entwicklungen in Indochina zunächst im Hintergrund, um später – im Zuge wachsender Spannungen und militärischer Eskalationen – aktiv Einfluss zu nehmen. Die nachfolgenden Jahrzehnte waren geprägt von einer Vielzahl von politischen, militärischen und diplomatischen Entscheidungen, die letztlich in den Vietnamkrieg mündeten. Ein tieferes Verständnis dieser Entwicklung erfordert eine Betrachtung der jeweiligen politischen Interessen, der internationalen Beziehungen und der strategischen Zielsetzungen, die die USA im Kontext des Konflikts verfolgten.
Das anfängliche Verhalten der USA: Zurückhaltung und Einflussnahme im kolonialen Umfeld
Unterhalb der großen geopolitischen und weltwirtschaftlichen Visionen, die die Nachkriegspolitik prägten, zeigten die Vereinigten Staaten zunächst wenig Interesse daran, sich direkt in die politischen Verwerfungen in Indochina einzumischen. Washington konzentrierte sich vielmehr auf die vorsichtige Einflussnahme auf die französischen Kolonialherren, um sie zu Reformen zu bewegen, welche die französische Kolonialherrschaft allmählich abschwächen sollten. Ziel war es, die Entstehung westlich orientierter nationalistischer Bewegungen in Vietnam zu fördern, ohne dabei die französische Kontrolle vollends zu destabilisieren. Zu diesem Zeitpunkt war im amerikanischen Außenministerium weitgehend unbestritten, dass Ho Chi Minh die bedeutendste Persönlichkeit in Vietnam war. Man erkannte, dass es keine ernstzunehmende nationale Alternative zu ihm gab, und betrachtete ihn vor allem als einen Nationalisten, der für die Unabhängigkeit seines Landes kämpfte. Es gab keinen Beweis für direkte Verbindungen Ho Chi Minhs zu Moskau oder der Sowjetunion, dennoch wurde seine Bedeutung im amerikanischen Denken häufig relativiert. Viele in Washington glaubten, dass die fehlenden Kontakte zu Moskau nur bedeuten, dass Stalin Ho in seinem Einflussbereich glaubte und ihn nicht als Führungsperson benötigte. Diese Einschätzung führte dazu, dass die amerikanische Außenpolitik immer wieder in ein Dilemma geriet: Einerseits forderte man das Ende der europäischen Kolonialherrschaft, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und arbeitete vorsichtig an der Dekolonisation. Andererseits scheute man vor einem direkten Eingreifen und Druck auf die europäischen Mächte zurück, weil man die Gefahr einer Eskalation fürchtete. Besonders bei den europäischen Kolonialmächten wie Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden war eine vorsichtige Haltung vorherrschend. Zudem war die amerikanische Politik stets zögerlich, Kontakte zu den kommunistischen Nationalisten in der aufkommenden „Dritten Welt“ zu knüpfen, was die Spannungen zwischen den verschiedenen politischen Zielsetzungen zusätzlich verschärfte.
Französische Bemühungen und ihr Scheitern in Vietnam
Die französischen Versuche, eine alternative, ihnen genehme politische Führung in Vietnam zu etablieren, waren von Anfang an geprägt von erheblichen Schwierigkeiten. Die wichtigste Figur, die sich schließlich öffentlich bereit erklärte, eine französisch kontrollierte Regierung zu führen, war Kaiser Bao Dai. Im März 1949 wurde im Rahmen des sogenannten Elysée-Abkommens vereinbart, dass Frankreich Vietnam auf wirtschaftlichem Gebiet Zugeständnisse machen würde, um im Gegenzug eine sogenannte „Unabhängigkeit“ zu gewähren. Diese Unabhängigkeit war jedoch äußerst eingeschränkt, da die Außen- und Verteidigungspolitik weiterhin in der Hand Frankreichs blieb. Zudem mussten Vietnam, Laos und Kambodscha der Französischen Union beitreten, was den Anschein einer echten Unabhängigkeit weiter schwächte. Das Versprechen, Vietnam unabhängig werden zu lassen, wurde dadurch faktisch relativiert. Die Regierung Bao Dais war geprägt von Kräften, die nach wie vor enge Verbindungen zu Frankreich unterhielten, um wirtschaftliche Vorteile zu sichern. Ein echtes nationalistisch motiviertes Gegenstück zu den Viet Minh konnte dieser „Staatschef“ nicht darstellen. Bao Dai, der die meiste Zeit an der Côte d’Azur lebte und in Vietnam nur im abgeschiedenen Ferienort Dalat residierte, war kaum mit den Problemen des vietnamesischen Volkes vertraut. Er pflegte keine Kontakte zur bäuerlichen Bevölkerung, die den Großteil der Bevölkerung ausmachte, und war weitgehend von den politischen Realitäten im eigenen Land entfernt.
Der Einfluss Chinas und die amerikanische Reaktion im Jahr 1949
Der entscheidende Wendepunkt in der regionalen Politik war der Sieg Mao Zedongs über Tschiang Kai-schek im China-Krieg im Jahr 1949 sowie die Flucht der nationalchinesischen Regierung nach Taiwan. Diese Ereignisse hatten tiefgreifende Auswirkungen auf die indochinapolitische Situation der Vereinigten Staaten. Im Kongress in Washington wurde die Truman-Administration zunehmend für den Verlust Chinas an die Kommunisten kritisiert. Die Opposition warf der Regierung vor, Tschiang Kai-schek nicht ausreichend unterstützt zu haben und den Kommunismus zu zögerlich bekämpft zu haben. Diese Vorwürfe wurden vor allem im Zusammenhang mit der allgemeinen Angst vor einer kommunistischen Verschwörung in den USA vorgebracht. Die Angst wurde noch verstärkt durch die laufenden Untersuchungen des House Un-American Activities Committee (HUAC), das zahlreiche Bürger auf mögliche kommunistische Kontakte überprüfte. Die Atmosphäre war geprägt von Misstrauen und Panik, die durch den Koreakrieg zwischen 1950 und 1954 noch verschärft wurde. Der Senator Joseph McCarthy führte eine unheilvolle „Hexenjagd“ auf ehemalige Kommunisten, Intellektuelle und Liberale durch, was die innenpolitische Lage in den USA in einen alarmierenden Zustand versetzte. Das innenpolitische Klima verlangte nach einer entschlossenen und aggressiven Außenpolitik, um den Vormarsch des Kommunismus einzudämmen und die nationale Sicherheit zu sichern.
Die Anerkennung der kommunistischen Mächte und die US-Strategie
Im Jahr 1950 vollzog die kommunistische Weltmacht eine weitere wichtige Entscheidung: Sowohl die Volksrepublik China als auch die Sowjetunion erkannten die Viet Minh als die legitime Regierung der Demokratischen Republik Vietnam an. Damit wurde in Washington die enge Zusammenarbeit zwischen China, der Sowjetunion und den vietnamesischen Kommunisten als offensichtlich und gefährlich eingeschätzt. Als Reaktion darauf folgten die USA am 7. Februar 1950 und erkannten den „Staat von Vietnam“ unter Kaiser Bao Dai offiziell als unabhängigen Staat innerhalb der Französischen Union an. Diese Entscheidung fiel nur wenige Tage nach der Ratifizierung des Elysée-Abkommens durch das französische Parlament. Im März 1950 begann die Truman-Administration, die militärische Unterstützung für den französischen Krieg in Indochina zu intensivieren. Sie überwies Paris 15 Millionen Dollar Militärhilfe, um die französischen Streitkräfte zu stärken. Mit dieser diplomatischen Anerkennung legitimierten die Vereinigten Staaten de facto die französische Kolonialherrschaft in Vietnam. Damit entstand ein komplexes politisches Gefüge: Neben der französischen Verwaltung gab es eine zweite Regierung, die ebenfalls Anspruch auf die vollständige Kontrolle über Vietnam erhob. Beide Regierungen wurden von unterschiedlichen Mächten – dem Westen bzw. dem Ostblock – legitimiert und erhielten Unterstützung.
Die Entscheidung für Bao Dai und die innenpolitischen Spannungen
Die amerikanische Entscheidung, Bao Dai zu unterstützen, war alles andere als leichtfertig getroffen worden. Im Außenministerium war man sich bewusst, dass der ehemalige Kaiser kein echtes Gegengewicht zu Ho Chi Minh darstellte. Zudem war klar, dass das Aufbauen einer echten, nationalistischen Alternative nur möglich gewesen wäre, wenn Frankreich eine tiefgreifende Liberalisierung seiner Kolonialpolitik eingegangen und den Vietnamesen realistische Perspektiven auf Unabhängigkeit geboten hätte. Doch angesichts der dramatischen Niederlagen in China und der angespannten innenpolitischen Lage nach dem Verlust Chinas entschied die amerikanische Führung letztlich für das weniger riskante Szenario. Bao Dai und die französischen Verbündeten wurden in die Rolle der Verteidiger westlicher Werte und Gesellschaftsmodelle gestellt. In der amerikanischen Wahrnehmung wandelte sich die Bewegung der Viet Minh, die gegen die französische Kolonialherrschaft kämpfte, zu einer globalen Verschwörung des Kommunismus, die sich in Vietnam manifestierte. Damit wurde der Konflikt in eine größere geopolitische Dimension gehoben.
Das NSC-68: Die strategische Grundlegung des Kalten Krieges
Ein bedeutendes Dokument, das die amerikanische Nachkriegspolitik maßgeblich beeinflusste, ist das vom Nationalen Sicherheitsrat (NSC) erarbeitete Strategiepapiere NSC-68. Dieses wurde vor allem von Paul Nitze, dem Leiter des Politischen Planungsstabs im Außenministerium, verfasst. Das Dokument bestätigte die grundlegenden Annahmen der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik seit 1947, wurde jedoch nach dem erfolgreichen Test der sowjetischen Atombombe im September 1949 einer kritischen Neubewertung unterzogen. Das NSC-68 begann mit einer erschütternden Feststellung: Die Probleme, mit denen die Vereinigten Staaten konfrontiert seien, seien gewaltig und berührten nicht nur die Existenz der amerikanischen Republik, sondern die gesamte Kultur. Das Ziel der Sowjetunion sei die absolute Weltherrschaft, und sie plane in naher Zukunft, ihre Macht auf ganz Eurasien auszudehnen. Deshalb sei es notwendig, die sowjetische Einflussnahme zunächst an den Rändern, also in den Peripherien, zurückzudrängen. Dabei sollten verschiedene Mittel eingesetzt werden: eine massive Aufrüstung, Entwicklungshilfe, militärische Kooperation, verdeckte Operationen der Geheimdienste, psychologische Kriegführung sowie die schnelle Lösung wirtschaftlicher Probleme in Japan und Westeuropa. Das Papier forderte kein offenes Großkriegsszenario oder einen Atomkrieg, sondern eine offensive Politik der „Befreiung“ und Abschreckung. Die USA müssten in der Lage sein, weltweit „lokale sowjetische Schritte durch lokale Aktionen“ zu vereiteln. Für Südostasien wurde in NSC-68 und weiteren Analysen festgelegt, dass die gesamte Region Ziel der kommunistischen Expansion sei. Das Erobern eines Landes würde automatisch zu Infiltrationen in Nachbarstaaten führen, was letztlich überall kommunistische Regime zur Folge hätte. In diesem strategischen Nullsummenspiel gab es kaum Raum für Zwischentöne: Es gab nur Freunde und Feinde, und jeder, der sich nicht eindeutig einer Seite zuordnete, wurde als verdächtig eingestuft. „Neutralismus“ war in diesem Kontext ein Schimpfwort.
Der Koreakrieg: Bestätigung der Strategien und Eskalation
Nur wenige Monate nach der Veröffentlichung von NSC-68 wurde die Gefahr des kommunistischen Expansionismus in der Realität sichtbar. Im Juni 1950 griff Nordkorea, unterstützt von Stalin und Mao, in den Süden der Halbinsel an. Dieser Angriff bestätigte die Einschätzungen des amerikanischen Außenministeriums und führte dazu, dass das Augenmerk noch stärker auf Südostasien gelenkt wurde. Frankreich, das im indochinischen Krieg involviert war, war dringend auf amerikanische Unterstützung angewiesen, um den Krieg zu führen. Im Jahr 1949 hatte der Konflikt Frankreich bereits 167 Millionen Franc gekostet – eine Summe, die für den Wiederaufbau Frankreichs dringend benötigt wurde. Zwischen 1950 und 1954 flossen insgesamt 2,76 Milliarden Dollar aus den USA nach Frankreich und Vietnam. Darin enthalten waren unter anderem 1800 gepanzerte Fahrzeuge, 31.000 Jeeps, 361.000 Handfeuerwaffen, Maschinengewehre, zwei Flugzeugträger und 500 Flugzeuge. Im Jahr 1952 waren die Amerikaner noch für 40 % der Kriegskosten verantwortlich, doch bis 1954 stieg dieser Anteil auf 80 %. Die wirtschaftliche Unterstützung für die vietnamesische Regierung blieb dagegen relativ gering und summierte sich nur auf etwa 50 Millionen Dollar.
Militärischer Verlauf und das Scheitern der französischen Strategie
Trotz der massiven militärischen Unterstützung konnten die französischen Streitkräfte im Krieg gegen die Viet Minh kaum entscheidende Erfolge erzielen. Bis Ende 1950 war die Kontrolle über große Teile Vietnams verloren gegangen, und General Giap vollzog einen entscheidenden strategischen Durchbruch, indem er die Franzosen vollständig von der chinesisch-vietnamesischen Grenze verdrängte. Dieser Erfolg ermöglichte den chinesischen Unterstützern, Waffen und Personal ungehindert nach Vietnam zu schicken. Infolge dieser Entwicklungen wurden in Paris die militärischen Führungen ausgewechselt. Doch auch der charismatische General Jean de Lattre de Tassigny konnte nur vorübergehende Erfolge verbuchen. Nach jedem Sieg kehrten vietnamesische Guerillakämpfer in die Dörfer zurück, machten diese zu nächtlichen Todeszonen für französische Truppen und Anhänger der Bao Dai-Regierung. Der Verlust seines einzigen Sohnes im Kampf und die eigene Krebserkrankung beendeten das Engagement des Generals innerhalb eines Jahres. Die französische Strategie, eine pro-westliche vietnamesische Armee aufzubauen und den Krieg zu „vietnamisieren“, blieb weitgehend erfolglos. Bis Ende 1952 hatten die französischen Truppen mehr als 90.000 Opfer, darunter Gefangene, Verwundete und Tote, zu beklagen. Die französische Öffentlichkeit war des „schmutzigen Krieges“ müde geworden, und in der Nationalversammlung wuchs die Kritik an den hohen Kosten. Auch in Washington stieg die Sorge, da der französische Vietnamkrieg zunehmend zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Ost und West wurde: Frankreich verteidigte den Westen in Indochina, während die USA im Koreakrieg aktiv waren. Es handelte sich somit um zwei Fronten im globalen Kampf gegen den Kommunismus.
Von der Zurückhaltung zur Eskalation
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die amerikanische Haltung im Laufe der Jahre eine Entwicklung durchlaufen hat. Anfangs war man eher skeptisch und zurückhaltend, doch mit zunehmender Eskalation in der Region und der sich verschärfenden globalen Auseinandersetzung wurde die Unterstützung für Frankreich und die direkte Einmischung in den Indochinakrieg immer deutlicher. Die innenpolitische Lage in den USA, die Angst vor kommunistischer Expansion und die strategischen Überlegungen des Kalten Krieges führten dazu, dass Vietnam zunehmend in den Mittelpunkt der amerikanischen Außenpolitik rückte. Das Zusammenspiel zwischen innerer Unsicherheit, globalen Interessen und militärischer Strategie prägte die Entwicklung, die schließlich im Vietnamkrieg mündete – einem Konflikt, der bis heute nachwirkt und die Geschichte des Kalten Krieges maßgeblich beeinflusste.














