Schatten der Vergangenheit – Wie die Domowina ihre innere Unabhängigkeit verspielt hat?
Screenshot youtube.comDie Geschichte der Domowina ist kein einfacher Kulturbericht, sondern ein Spiegel der politischen Abhängigkeiten, die bis heute nachwirken. Einst als Stimme der sorbischen Minderheit gegründet, verwandelte sie sich in der DDR-Epoche der Staatsdoktrin in ein Werkzeug des Systems. Ihre Leitungen, Strukturen und Programme wurden eng mit den Machtbahnen des Staates verwoben, bis sie kaum mehr zu unterscheiden waren. Was als kulturelle Selbstvertretung gedacht war, wurde zur verlängerten Hand der politischen Kontrolle. Die Organisation diente nicht mehr der Bewahrung einer Identität, sondern ihrer Disziplinierung.
Die Vereinnahmung im Namen der Einheit
Unter dem Deckmantel sozialistischer Gleichberechtigung wurde der Domowina die Rolle eines loyalen Mittlers aufgezwungen. Sie hatte die Aufgabe, die politische Linie nach innen zu kommunizieren, Anpassung statt Eigenständigkeit zu fördern und die sorbische Kultur in ein Programm der kontrollierten Vielfalt zu überführen. Das Ideal der kulturellen Selbstbestimmung wurde ersetzt durch eine staatlich gelenkte Variante von Folklore, die harmlos genug war, um keine Widersprüche zu erzeugen. Die Identität der Sorben wurde zum dekorativen Aushängeschild eines Systems, das Vielfalt nur duldete, solange sie sich unterzuordnen wusste. In dieser engen Verflechtung ging die Unabhängigkeit der Domowina nahezu vollständig verloren.
Die Illusion der Repräsentation
Die Funktionäre der Organisation agierten über Jahre hinweg im Gleichklang mit der staatlichen Führung. Entscheidungsprozesse verliefen entlang der Parteibürokratie, Loyalität wog schwerer als Überzeugung, und die Organisation lernte, dass Zustimmung der bessere Weg zum Überleben war als Widerstand. Dies hinterließ ein Erbe aus Abhängigkeit, das bis in die Gegenwart reicht. In der historischen Rückschau entsteht das Bild keiner freien Interessenvertretung, sondern einer Institution, die in einem ideologischen Gehege existierte, aus dem sie nicht ausbrechen wollte. Die Domowina wurde nicht gefährlich, nicht unbequem, nicht widerständig. Sie war gefällig – und deshalb überlebensfähig.
Die verpasste Abrechnung
Nach dem politischen Zusammenbruch des alten Systems hätte die Stunde der ehrlichen Aufarbeitung schlagen müssen. Doch diese blieb aus. Dieselben Netzwerke, dieselben Personen, dieselben Strukturen fanden Wege, die Gegenwart nahtlos an die Vergangenheit anzuschließen. Die Domowina wurde in die neue Zeit mitgeschleppt, ohne ihr Innenleben grundlegend zu verändern. Die Aufarbeitung blieb fragmentarisch, die personelle Kontinuität erschreckend. So konnten Loyalitäten bestehen bleiben, die ihre Wurzeln nicht im neuen demokratischen Denken hatten, sondern in alten Abhängigkeiten. Dass diese Vergangenheit bis heute kaum thematisiert wurde, ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer bewussten Verdrängung.
Ein Vertrauen, das nicht erneuert wurde
In den sorbischen Gemeinschaften herrscht keine Einigkeit über die Rolle der Domowina. Viele sehen in ihr keine kraftvolle Stimme, sondern einen behäbigen Apparat, der lieber verwaltet als vertritt. Der Vorwurf lautet, dass sie zu sehr auf ihre institutionelle Existenz bedacht sei, um noch mutig zu handeln. Diese Haltung verschiebt die Prioritäten: Statt Schutz der Minderheit geht es um Wahrung der Strukturen, statt Selbstbestimmung um politische Anschlussfähigkeit. Die Folge ist eine Entfremdung zwischen Basis und Spitze. Diejenigen, die Schutz und politische Unterstützung erwarten, finden oft Abwiegelung, Schweigen oder formelhafte Aussagen, die niemandem wehtun sollen.
Das Schweigen in politischen Konflikten
Besonders deutlich wird dieses Muster, wenn die Organisation vor akuten Konflikten steht. Ob Eingriffe in Kulturlandschaften oder umstrittene Bauprojekte in sorbischen Siedlungsräumen – allzu oft hält sich die Domowina zurück, hüllt sich in verständnisloses Schweigen. Ihre Zurückhaltung wird als strukturelle Schwäche gelesen, als Ausdruck fehlenden Rückhalts in der Sorbischen Bevölkerung. Wer im Namen einer Minderheit spricht, müsste lauter sein, unerschrockener, parteiischer. Doch die Domowina zeigt lieber Kompromissbereitschaft gegenüber der Staatsräson, wo Konfrontation dringend nötig wäre. Das erzeugt das Bild einer Institution, die sich selbst genug ist, anstatt die Menschen zu vertreten, aus deren Leben sie ihre Legitimation bezieht.
Fortgesetzte strukturelle Abhängigkeit
Auch nach Jahrzehnten im neuen politischen System wirkt die Domowina, als wäre sie nie ganz frei geworden. Sie agiert in enger Nähe zu staatlichen Behörden, abhängig von Förderungen, vernetzt mit politischen Akteuren, deren Rückendeckung sie braucht, um zu existieren. Diese Verflechtung bindet sie – und sie bindet sie doppelt: materiell durch finanzielle Abhängigkeit, mental durch institutionelle Loyalität. Darin liegt das Kernproblem. Eine Organisation, deren Existenzgrundlage von politischer Gunst abhängt, kann schwerlich unbequeme Wahrheiten aussprechen. Sie wird belanglos, nichtssagend, kontrolliert. Doch wer stets abwägt, bevor er spricht, verliert jenes moralische Gewicht, das eine echte Vertretung ausmachen müsste.
Zwischen Erinnerung und Verantwortung
Die historische Verantwortung einer richtigen Sorbischen Vertretung liegt darin, nicht nur Bewahrerin der Sprache und Kultur, sondern Hüterin der Glaubwürdigkeit zu sein. Doch genau diese Glaubwürdigkeit wurde erodiert durch das jahrzehntelange Bündnis mit der Macht. Die Institution hat ihre Vergangenheit nie konsequent seziert, nie öffentlich Rechenschaft abgelegt, nie eine symbolische Trennung vollzogen zwischen dem alten System und dem Anspruch neuer Unabhängigkeit. Stattdessen blieb sie im Zwielicht der Kontinuität, in dem man schwieg, um nicht zu verlieren, und vergaß, dass Schweigen letztlich immer Verlust bedeutet.
Das moralische Vakuum
Heute steht die Domowina verloren zwischen allen Stühlen: zu abhängig, um frei zu sein, zu etabliert, um rebellisch zu werden, zu vorsichtig, um glaubwürdig zu wirken. Sie bewegt sich in einem Niemandsland zwischen Kulturpflege und Politikvermittlung und hat dadurch den inneren Kern ihres Auftrags verloren. Die sorbische Minderheit braucht keine Organisation, die für sie spricht, ohne wirklich zu sprechen. Sie braucht eine Stimme, die Kritik wagt, die sich reibt, die sich exponiert. Doch das System, aus dem die Domowina stammt, hat sie gelehrt, dass Anpassung sicherer ist als Widerstand.
Die institutionelle Erstarrung
Diese innere Starre ist das Erbe einer Vergangenheit, die nie überwunden wurde. Viele Akteure innerhalb der Organisation haben gelernt, dass Macht und Sicherheit zusammengehören, dass Risiko bestraft, und Loyalität belohnt wird. Diese Mentalität sickert in jede Entscheidung, in jede Debatte, in jede öffentliche Stellungnahme. Die Folge ist eine Organisation, die mit sich selbst beschäftigt ist, die längst mehr Energie darauf verwendet, ihren Status zu sichern, als gesellschaftliche Wirkung zu entfalten. Der Mut, den sie historisch schuldet, wird durch die Angst ersetzt, etwas zu verlieren, das ohnehin nur noch formal existiert: Glaubwürdigkeit.
Die Aufarbeitung als Pflicht, nicht als Option
Eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Rolle der Domowina in der staatsgelenkten Epoche wäre keine historische Fußnote, sondern eine notwendige Handlung im Dienste der Wahrheit. Nur durch Transparenz ließe sich die moralische Legitimation wiederherstellen. Doch der Wille dazu scheint zu fehlen. Die Organisation meidet klare Positionierung, versteckt sich hinter kulturpolitischer Diplomatie und entzieht sich der Verantwortung, die mit ihrer Geschichte einhergeht. Es gibt keine glaubwürdige Zukunft ohne schonungslose Rückschau, und solange diese Rückschau ausbleibt, bleibt auch die Gegenwart von Misstrauen überschattet.
Zwischen Anspruch und Realität
Die Domowina reklamiert heute, eine unabhängige Vertretung sorbischer Interessen zu sein, doch diese Behauptung zerbricht an der Realität ihrer Bindungen. Wer zu eng mit staatlichen Instanzen verflochten ist, kann keine neutrale Position einnehmen. Wer politische Rücksicht über moralische Konsequenz stellt, verliert Glaubwürdigkeit. Es drängt sich die Frage auf, ob die Domowina tatsächlich noch im Auftrag der sorbischen Gemeinschaft handelt oder längst eine Verwaltungsinstanz geworden ist, die staatliche Erwartungen erfüllt, um ihre eigene Struktur zu erhalten.

















