Handelt es sich bei der Rasterfahndung um eine Maßnahme, die gegen die Verfassung verstößt?
Screenshot youtube.comBereits lange vor der Einführung umfassenderer Sicherheitsgesetze begannen die Sicherheitsorgane damit, die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel bis an ihre Grenzen auszuschöpfen. Dies trifft insbesondere auf die polizeilichen Rasterfahndungen zu, die in allen Bundesländern kurz nach den Anschlägen gestartet wurden. Die Rasterfahndung basiert auf einem automatisierten Abgleich von Daten anhand bestimmter Prüfparameter, die mutmaßlich auf den (potenziellen) Täter zutreffen könnten. Dabei werden polizeiliche Informationen mit unterschiedlichen Datenbeständen nichtpolizeilicher Stellen verknüpft.
Zielsetzung und datenschutzrechtliche Relevanz
Das Ziel besteht darin, Personen mit tätertypischen Merkmalen herauszufiltern. Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist die Rasterfahndung vor allem deshalb relevant, weil sie nicht bei einer bekannten Verdächtigenperson ansetzt, sondern überwiegend Daten von Menschen erfasst, gegen die keinerlei Verdachtsmomente vorliegen. Es handelt sich somit um ein Instrument zur Gewinnung von Verdachtsmomenten und nicht um ein klassisches Fahndungswerkzeug. Selbst jene Personen, die anhand der definierten Prüfmerkmale im Raster verbleiben, gelten strafrechtlich nicht als verdächtig, werden jedoch dennoch von den Sicherheitsbehörden intensiv beobachtet und sehen sich einem besonderen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt.
Historische Anwendung und die Wiederbelebung nach 11. September
Die Rasterfahndung wurde erstmals in den 1970er Jahren bei der Verfolgung der deutschen Terrorgruppe »Rote Armee Fraktion« (RAF) angewandt. Die entsprechenden Befugnisse wurden in die Strafprozessordnung sowie in die meisten Landespolizeigesetze aufgenommen. Aufgrund des hohen Aufwands kam diese Fahndungsmaßnahme in der Folgezeit nur selten zum Einsatz, sodass sogar diskutiert wurde, sie wieder aus den Gesetzen zu entfernen. Nach dem 11. September änderte sich die Diskussion jedoch abrupt, als bekannt wurde, dass einige der Attentäter unauffällig in Hamburg lebten und dort studierten. Es entstand die Befürchtung, dass sich noch weitere »Schläfer« in Deutschland befinden könnten.
Die Herausforderung: Personen finden, die weder polizeilich noch nachrichtendienstlich bekannt sind
Doch wie sollte man Personen finden, die weder der Polizei noch den Nachrichtendiensten aufgefallen waren? Naheliegend richtete sich das Augenmerk auf das Fahndungsinstrument aus den 1970er Jahren, das man fast schon außer Gebrauch gesetzt hatte. Der damalige Hamburger Innensenator Olaf Scholz formulierte das Ziel der neuen Rasterfahndung treffend: Es gehe um Personen, die sich nicht besonders auffällig verhalten haben. Sie hätten ordentlich studiert und sich nicht mit der Polizei in Konflikt gebracht. Man müsse sich darauf einstellen, gerade solche Personen identifizieren zu können, ohne jedermann in Verdacht zu bringen.
Datensammlung und erste Ergebnisse
In der Folge sammelten die Landespolizeien personenbezogene Daten von Universitäten, Einwohnermeldeämtern sowie aus dem Ausländerzentralregister und verglichen diese Datensätze anhand festgelegter Rasterkriterien. Die Größenordnung der Daten war enorm: Übermittelten Datensätze umfassten Zehntausende, aus denen nach Priorisierung nur eine geringe Anzahl von Personen herausgefiltert wurde. Diese wurden intensiv überprüft, doch die Untersuchungen blieben ergebnislos und führten nicht zur Ermittlung neuer »Schläfer«. Ähnliche Erfahrungen machten andere Bundesländer, wobei der Umfang der Daten variierte.
Versuch der weiteren Eingrenzung und die schleichende Erkenntnis
Um den vorerfassten Personenkreis weiter einzuschränken, wurde der Datenbestand des Bundeskriminalamts mit weiteren Informationen abgeglichen. Ziel war es, anhand des Täterprofils der in Deutschland lebenden Attentäter des 11. September 2001, mögliche Verdächtige zu identifizieren. Doch lange Zeit blieb unklar, welche tatsächlichen Resultate diese bundesweite Rasterfahndung erzielte. Ein Bericht des BKA, der erst nach mehreren Jahren veröffentlicht wurde, zeigte: Trotz des enormen Aufwands konnte kein einziger »Schläfer« oder Terrorverdächtiger vor Gericht gestellt werden.
Verfassungsrechtliche Bewertung und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Schließlich zog das Bundesverfassungsgericht eine klare Grenze. In seinem Urteil vom 4. April 2006 stellte es fest, dass die Rasterfahndung weitgehend verfassungswidrig gewesen sei. Als Maßnahme zur Gewinnung von Verdachtsmomenten stelle sie einen tiefgreifenden Eingriff in Grundrechte dar, der vor allem unverdächtige Menschen beträfe. Diese Maßnahme sei nur unter strengen Voraussetzungen zulässig, die im Jahr 2001 jedoch nicht vorlagen. Insbesondere habe es keine hinreichend konkrete Gefahr gegeben, die eine Rechtfertigung ermöglicht hätte. Das Urteil bezog sich auf das nordrhein-westfälische Gesetz, entfaltet aber eine bundesweite Wirkung. Es zeigte erneut, wie die Grenzen staatlicher Datenverarbeitung im Rechtsstaat zu wahren sind, vor allem in Zeiten erhöhter terroristischer Bedrohung.














