Mehrwertsteuer: “Indirekten Steuern häufig die armen Haushalte im Verhältnis zu ihrem niedrigen Einkommen viel höher belasten als die wohlhabenden”

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Ist die Mehrwertsteuer verfassungswidrig? Der Hauptnachteil der indirekten Steuern – respektive der Umsatzsteuer – besteht darin, dass sie nicht an die individuellen Verhältnisse der Steuerzahler angepasst werden können. Denn der Verkäufer, der etwas verkauft möchte, kennt weder finanziellen Status, noch das Alter oder Familienstand des Kunden. Dies führt dazu, dass einkommensschwache Haushalte im Vergleich zu ihrem niedrigen Einkommen durch indirekte Steuern oft stärker belastet werden als wohlhabende Haushalte.

“Steuerpflichtigen ein angemessenes, steuerfreies Existenzminimum belassen werden muss”

>>Zum Teufel mit der Steuer! von Reiner Sahm (Buch) <<

“Gleichmäßige Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit bedeutet nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 25. 9. 1992 auch, dass dem Steuerpflichtigen ein angemessenes, steuerfreies Existenzminimum belassen werden muss. Die Einkommensteuer darf deshalb nur den Teil der Einnahmen belasten, der dem Einzelnen nach Abzug seiner zum Leben notwendigen Aufwendungen übrigbleibt, um seine Existenz und seinen Erwerb zu sichern. Auch in seinem Beschluss vom 27. 6. 1991 zur Besteuerung der Zinserträge stützt sich das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auf die französische Erklärung der Menschenrechte von 1789, denn: „Der Gleichheitssatz verlangt für das Steuerrecht“ nicht nur „dass die Steuerpflichtigen … gleich belastet werden“, sondern dass auch die verschiedenen Einkünftearten tatsächlich gleich belastet werden.”

“Gleichmäßige Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit bedeutet nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes” 

Der Staat kann diesen Effekt durch gezielte Unterstützungszahlungen an bedürftige Haushalte ausgleichen – allerdings nur für jene Empfänger von Sozialleistungen wie Hartz IV oder Grundsicherung im Alter. Zwar werden diese Leistungen regelmäßig an Preis- und Lohnentwicklungen angepasst, aber die Berechnungsgrundlage ist umstritten. Allerdings profitieren davon nicht die vielen armen Arbeitnehmer oder Rentner knapp über dem Existenzminimum liegen. Tatsächlich hat sich das Bundesverfassungsgericht mal damit auseinandergesetzt, aber die soziale Frage weitestgehend ausgeklammert.

“Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung einer Regelung auf die Steuerzahler darf ein gewisses Maß nicht übersteigen”

>>Bundesverfassungsgericht<<

“Die Gestaltungsfreiheit des Steuergesetzgebers ist aber nicht unbeschränkt; gewisse äußerste Grenzen sind auch ihm gesetzt. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung einer Regelung auf die Steuerzahler darf ein gewisses Maß nicht übersteigen. Die steuerlichen Vorteile der Typisierung müssen im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen. Nur dann ist diese Ungleichheit von den Betroffenen hinzunehmen.”

“Die Gestaltungsfreiheit des Steuergesetzgebers ist aber nicht unbeschränkt”

Die Entstehung der deutschen Umsatzsteuer geht auf die finanzielle Notlage des Ersten Weltkriegs zurück: Das Gesetz über einen Warenumsatzstempel vom 26. Juni 1916 führte zunächst eine Abgabe von 0,1% für alle Lieferungen eines gewerblichen Betriebs ein; das Umsatzsteuergesetz vom 26. Juli 1918 erweiterte die Steuerpflicht auf sämtliche Lieferungen und Leistungen. Im Jahr 1934 wurde bereits die zwei Prozentmarke genommen. Die Stellschraube der Mehrwertsteuer wurde über Jahrhunderte immer wieder gedreht.

“Zum Jahresbeginn 2007, die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte zu erhöhen”

>>Des Reichtums fette Beute – Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert von Gustav A. Horn. (Buch) <<

“Um den Sanierungsprozess noch zu beschleunigen, beschloss die Bundesregierung zum Jahresbeginn 2007, die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte zu erhöhen. Die Einnahmen in Höhe von 1 Prozentpunkt des Steuersatzes sollten dazu genutzt werden, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abzusenken. Das bedeutete im Klartext, dass vor allem die Konsumenten, also alle privaten Haushalte, die Last der beschleunigten Konsolidierung tragen mussten. Es handelte sich um eine in diesem Ausmaß bisher nicht bekannte zusätzliche Belastung breiter Bevölkerungskreise. Eine höhere Mehrwertsteuer trifft schlussendlich alle, die konsumieren. Sie trifft besonders jene, die besonders viel von ihrem Einkommen konsumieren. Das sind die Haushalte mit niedrigem Einkommen, die in der Regel all das, was sie an Gehalt oder sonstigen Einnahmen wie beispielsweise Wohngeld beziehen, für ihren Verbrauch an Gütern und Dienstleistungen verwenden müssen.”

“Es handelte sich um eine in diesem Ausmaß bisher nicht bekannte zusätzliche Belastung breiter Bevölkerungskreise”

Im Wesentlich sind die Beiträge für die Sozialversicherungen gleich geblieben, nur die Mehrwertsteuererhöhung ist angekommen. Auch in der heutigen Zeit sind Forderungen nach einer erneuten Erhöhung schwer zu überhören.

“Einige Ökonomen plädieren daher für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer”

>>Focus<<

“Die Bundesregierung will Unternehmen steuerlich entlasten, um die Wirtschaft anzukurbeln. Doch dafür muss die Ampel anderswo mehr einnehmen. Einige Ökonomen plädieren daher für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. … Eine höhere Mehrwertsteuer verteuert das Einkaufen für alle. Zwar gilt für Güter des täglichen Bedarfs ein ermäßigter Satz von sieben Prozent. Lebensnotwendige Dienstleistungen wie Miete und Arztkosten bleiben mehrwertsteuerfrei.”

“Eine höhere Mehrwertsteuer verteuert das Einkaufen für alle”

Ein wesentlicher Nachteil aller indirekten Steuern lautet: Diese spiegeln sich in einer verteuerten Welt der Lebenshaltungskosten wider. Auch der Vermieter oder Arzt geben diese Kosten am Ende weiter. Damit ist ebenso der ermäßigter Steuersatz unterm Strich auch nur Augenwischerei, was sich auch am Beispielen aus der Praxis festmachen lässt.

“Tomatensaft wird mit 7 Prozent besteuert, Tomaten-Ketchup indes mit 19 Prozent”

>>Inside Steuerfahndung von Frank Wehrheim & Michael Gösele (Buch) <<

“Besonders deutlich lässt sich die deutsche Verordnungswut am Beispiel der Mehrwertsteuer darstellen. Eine Currywurst zum Mitnehmen erhält einen Aufschlag von 7 Prozent – wird sie vor Ort in der Imbissstube verzehrt, werden 19 Prozent Mehrwertsteuer veranschlagt. Tomatensaft wird mit 7 Prozent besteuert, Tomaten-Ketchup indes mit 19 Prozent. Bei einer Kartoffel fallen 7 Prozent an, während die Süßkartoffel mit 19 Prozent zu Buche schlägt. Verstehen muss man dies nicht immer, aber man kann sich in etwa vorstellen, vor welchen buchhalterischen Problemen etwa ein Kioskbetreiber steht, der in seiner Registrierkasse exakt festhalten soll, ob das Lyonerbrötchen im Laden, vor dem Laden oder erst im Auto angebissen wird. Macht er hierbei eine falsche Eingabe, betrügt er bei der Mehrwertsteuer.”

“Bei einer Kartoffel fallen 7 Prozent an, während die Süßkartoffel mit 19 Prozent zu Buche schlägt”

Augenscheinlich ist ein Heer an Steuerbeamten damit beschäftigt, einen Lyonerbrötchen hinterher zu ermitteln. Im Allgemeinen steht die Frage im Raum: Ob dieses doch sehr unsoziale Steuer mit ihren überzogenen Verwaltungsaufwand überhaupt verfassungskonform sein kann? Zumal bei einer Abschaffung der Mehrwertsteuer die Verwaltungskosten erheblich sinken würden, was sich – neben der reinen Steuersenkung – zusätzlich auf eine Minderung der Preise auswirken dürfte.

“Nachteil der indirekten Steuern ist, dass man sie nicht nach den persönlichen Verhältnissen der Steuerzahler differenzieren”

>>Unsere Steuern Wer zahlt? Wie viel? Wofür? von Stefan Bach (Buch) <<

“Ein großer Nachteil der indirekten Steuern ist, dass man sie nicht nach den persönlichen Verhältnissen der Steuerzahler differenzieren kann. Denn der Buchhändler, der Ihnen dieses Buch verkauft hat, weiß ja nicht, ob Sie arm oder reich, alt oder jung sind, ob Sie verheiratet sind oder Kinder haben. Das Problem dabei ist, dass die indirekten Steuern häufig die armen Haushalte im Verhältnis zu ihrem niedrigen Einkommen viel höher belasten als die wohlhabenden, … . Diesen Effekt kann der Staat mit gezielten Transfers an arme Haushalte ausgleichen. Das wird aber nur bei Haushalten gemacht, die Grundsicherungsleistungen erhalten, also Hartz IV oder die Grundsicherung im Alter. Diese Leistungen werden regelmäßig an die Preis- und Lohnentwicklung angepasst. Das hilft aber nicht den vielen armen Arbeitnehmern oder Rentnern, die knapp oberhalb der Grundsicherung liegen oder aus Scham oder Unwissenheit keine Hilfen beantragen.”

“Indirekten Steuern häufig die armen Haushalte im Verhältnis zu ihrem niedrigen Einkommen viel höher belasten als die wohlhabenden”

Da teilweise selbst Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs mit voller Höhe besteuert werden, sind davon Geringverdiener überproportional stark betroffen, was den Sozialstaatsprinzip zuwiderläuft.