Sind Entschädigungsansprüche heute noch durchsetzbar? – “Treuhand pro DDR-Bürger 60 000 D-Mark zum »Verschwinden« gebracht habe”
“Der ganze Salat ist 600 Milliarden wert” – Diese flapsige Einschätzung über das DDR-Vermögen wurde im Zuge der Wiedervereinigung gemacht. Das groß-aufgezogene Programm “Aufbau Ost” hatte ursprünglich eine ganz andere Zielstellung gemacht, was aber offen zu dieser Zeit nicht ausgesprochen wurde.
“Sollte sich die Modernisierung der DDR selbst finanzieren” – “Ostdeutschen Staatsbetriebe lukrativ verkaufen ließen”
>>Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen von Ulrike Herrmann (Buch) <<
“Der Staatsvertrag zur Währungsunion sah vor, dass man 1990 lediglich 25 Milliarden D-Mark an die ostdeutschen Länder überweisen würde. 1991 sollten noch einmal 40 Milliarden folgen. Ansonsten aber sollte sich die Modernisierung der DDR selbst finanzieren, denn anfangs hatte man große Hoffnungen, dass sich die ostdeutschen Staatsbetriebe lukrativ verkaufen ließen. Manche Schätzungen gingen gar davon aus, dass das DDR-Vermögen etwa 600 Milliarden D-Mark wert sei.”
“DDR-Vermögen etwa 600 Milliarden D-Mark wert sei”
Oder anders ausgedrückt: Die ehemaligen DDR-Betriebe sollten lukrativ verkauft und die daraus erzielten Gewinne in die Infrastruktur gesteckt werden. Schon an dieser Stelle tun sich mehrere Logikbrüche auf: Zwar hatte die ehemalige DDR – respektive neue Bundesländer – einem hohen Investitionsbedarf gehabt, aber gleichzeitig wurden ja auch Steuern erhoben. Es erscheint doch sehr widersinnig: Weshalb Infrastrukturmaßnahmen nicht einfach aus laufenden Steuereinahnen gedeckt werden konnten? Auch heute hat sich ein riesiger Investitionsstau bei der Infrastruktur gebildet, was überwiegend gleichgültiges Schulterzucken hervorruft.
Warum sich die Begründung zum Verkauf der DDR-Staatsbetriebe reichlich konstruiert anhörte
Die Begründung zum Verkauf der DDR-Staatsbetriebe hörte sich also reichlich konstruiert an. Theoretisch müsste man aber mehrere Schritte zurückgehen und die zuerst Frage beantworten: Wie sind diese DDR-Staatsbetriebe überhaupt in Staatsbesitz gekommen? Viele Privatunternehmen wurden im Zuge verschiedener DDR-Verstaatlichungswellen enteignet. Eines dieser Unternehmen war das MZ Motorradwerk in Zschopau.
“MZ Motorradwerk” – “Vor dem Krieg die größte Motorradfabrik der Welt”
“Zschopau am Rande des Erzgebirges: 70 000 der antiquierten Zweiräder will das MZ Motorradwerk, vor dem Krieg die größte Motorradfabrik der Welt, herstellen, 5000 mehr als im vergangenen Jahr. Das Wunder soll ein Großauftrag aus der Sowjetunion bewirken. Ein russischer Kunde hat 50 000 Motorräder bestellt. Wie er die bezahlen soll, weiß allerdings niemand.”
Währungsreform: Warum sich ehemalige Kunden die Produkte nicht mehr leisten konnten
An jenen Beispiel wurden mehrere Kardinalfehler der Wiedervereinigung deutlich. Sicherlich waren die Zweiräder relativ einfach und robust konstruiert gewesen, aber diese waren ja für bestimmte Märkte und Kundenkreise vorgesehen. Bedingt durch die Währungsreform wurden diese Zweiräder nun für viele Kunden unbezahlbar. – Anders ausgedrückt: Die Währung und Wirtschaft haben nicht mehr zusammengepasst. Mit einen vergleichbaren Konstruktionsfehler hat ebenfalls die Eurozone zu kämpfen. Auf diese Weise wurden vielen ehemaligen Staatsbetrieben die wirtschaftliche Grundlage entzogen. Diese Betriebe wurden einfach der Treuhand übergeben.
“So übernahm die Treuhand am 1. Juli 1990 mehr als 7800 Einzelbetriebe mit vier Millionen Beschäftigten”
>>Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert von Ulrich Herbert (Buch) <<
“So übernahm die Treuhand am 1. Juli 1990 mehr als 7800 Einzelbetriebe mit vier Millionen Beschäftigten. Ihr wurden zudem Grundflächen übereignet, die insgesamt etwa die Hälfte des Territoriums der DDR ausmachten. Die Treuhand sollte nun die Betriebe vorrangig privatisieren, gegebenenfalls bei der notwendigen Sanierung helfen und, sollten sich einzelne Unternehmen dennoch als nicht marktfähig erweisen, zur Not auch stilllegen. Ursprünglich hatte die Treuhand mit einem enormen Privatisierungsgewinn gerechnet – «der ganze Salat ist 600 Milliarden wert», hatte Rohwedder im Herbst 1990 geschätzt.”
“Ursprünglich hatte die Treuhand mit einem enormen Privatisierungsgewinn gerechnet”
Bei dieser Privatisierungswelle konnte weder die dortige Belegschaft oder die Bevölkerung wirklich mitreden. Viele dieser Verkäufe gingen mehr oder weniger für symbolische Verkaufspreise über die Bühne.
“Die Treuhand wertvolles DDR-Vermögen zu Ramschpreisen verscherbelt”
>>Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen von Ulrike Herrmann (Buch) <<
“Es schien kaum zu glauben, dass die ostdeutschen Firmen und Grundstücke weniger als nichts wert gewesen sein sollten. Hartnäckig hielt sich der Verdacht, dass die Treuhand wertvolles DDR-Vermögen zu Ramschpreisen verscherbelt haben könnte. Der Bundestag setzte zwei Untersuchungsausschüsse ein, um die Arbeit der Treuhand zu durchleuchten. Auch der Bundesrechnungshof widmete sich der Treuhand und kritisierte unter anderem, dass man die DDR-Banken zu Schleuderpreisen an westdeutsche Kreditinstitute verkauft hatte. So erwarb die Deutsche Bank einen Teil der ehemaligen Deutschen Kreditbank für nur 310 Millionen D-Mark – und bekam dafür 112 Niederlassungen. »Ein unangemessen niedriger Kaufpreis«, wie der Bundesrechnungshof beanstandete. Betrug, Korruption und Insidergeschäfte waren in der Treuhand kaum zu verhindern, weil niemand wirklich überwachte, was die 4 000 Mitarbeiter tagtäglich so entschieden.”
“Betrug, Korruption und Insidergeschäfte waren in der Treuhand kaum zu verhindern, weil niemand wirklich überwachte”
Bei der unglaublichen Masse der Fälle könnte man vom organisierter Kriminalität im ganz großen Stil reden. Eine wirkliche Aufarbeitung ist weder juristisch, noch politisch bis heute erfolgt. Nichtsdestotrotz ließe sich an dieser Stelle eine ganz andere Form der Brechungsgrundlage aufmachen.
“Die Zahl »600 Milliarden« wird bis heute immer wieder zitiert”
>>Der deutsche Goldrausch Die wahre Geschichte der Treuhand von Dirk Laabs (Buch) <<
“Die Zahl »600 Milliarden« wird bis heute immer wieder zitiert. Sie wird von vielen Autoren benutzt, als würde sie den tatsächlichen Wert der DDR widerspiegeln. Eine einfache Rechnung wird aufgemacht: Die DDR war 600 Milliarden D-Mark wert. Die Treuhand hat 245 Milliarden Verlust gemacht. Wo sind die 845 Milliarden geblieben? Vgl. als nur eines von sehr vielen Beispielen: Otto Köhler: Die große Enteignung, München 1994. Köhler rechnet dort vor, dass die Treuhand pro DDR-Bürger 60 000 D-Mark zum »Verschwinden« gebracht habe.”
“Die Treuhand pro DDR-Bürger 60 000 D-Mark zum »Verschwinden« gebracht habe”
Wie ist diese Rechnung nun zu verstehen?- Die DDR-Staatsbetriebe haben – aus rechtliche Perspektive – der DDR-Bevölkerung gehört. Demzufolge hat jeder DDR-Bürger – im übertragenen Sinn – einen Anteilsschein gehabt, oben drauf würden noch die Verluste der Treuhand kommen. Natürlich hören sich 60.000 D-Mark augenscheinlich nicht viel an, aber unter der Berücksichtigung von Inflationsausgleich und Kreditzinsen käme eine staatliche Summe zusammen. Immerhin ist auch in der Bundesrepublik das Eigentum per Grundgesetz geschützt. Es mag vielleicht etwas weit hergeholt klingen, aber tatsächlich sind durchaus vergleichbare Entschädigungszahlungen – bei milliardenschweren börsennotierten Unternehmen – schon vorgekommen.