28. Juni 1914: Das Attentat von Sarajewo – Eine zeithistorische Rekonstruktion (2)

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Der 28. Juni 1914 markierte ein Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit. Denn an diesem Tag wurden bei einem Attentat in Sarajewo Franz Ferdinands d’Este, Erzherzog und Thronfolger von Österreich-Ungarn aus dem Haus Habsburg-Lothringen und seine Gemahlin Sophie Chotek von Chotkowa und Wognin, Herzogin von Hohenberg ermordet. Der Anschlag setzte die ganze Welt mit dem Ersten und dem darauffolgenden Zweiten Weltkrieg in Brand.

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Von Guido Grandt

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Nachfolgend eine Rekonstruktion dieses Attentats aus zeithistorischen Quellen, die gleichzeitig auch die „scheinbar“ vielen Zufälle offenbaren, die heute aus Gründen der Political Correctness zumeist nicht angeführt werden! Bei den Verschwörern handelte es sich um Muhamed Mehmedbasić, Vaso Cubrilović, Nedeljko Căbrinović, Cvetko Popović, Gavrilo Princip, Trifko Grabež und Danilo Ilić.

Ein Terrorist wollte sich vergiften

Nach dem der erste Bombenanschlag des Terroristen Nedeljko Căbrinović fehlschlug, wollte dieser eine mitgeführte Zyanidkapsel zerbeißen, wurde zuvor jedoch von Gendarmen und wütenden Passanten überwältigt.

Er selbst gab später an, über die hohe Ufermauer in den Fluss Miljăcka gesprungen zu sein. „Ich wollte mich vergiften, das misslang, da ich in der Aufregung das weiße Pulver verstreute. Detektive jagten mir nach und schleppten mich zur Polizei …“

Die anderen Verschwörer (Mehmedbasić, Cubrilović, Popović und Ilić) ergriffen die Flucht.

Verhängnisvolle Fehleinschätzungen

Währenddessen fuhr der Konvoi weiter ins Rathaus, um der Rede des Bürgermeisters zu lauschen, der im ersten Auto vorausgefahren war und von dem Attentatsversuch nichts bemerkt hatte. Die Wagen rasten unbehelligt an den beiden verbliebenen Terroristen Princip und Grabež vorbei, die wahrscheinlich aufgrund des Detonationsgeräuschs von Căbrinović Handgranate glaubten, dass das Attentat erfolgreich verlaufen war.

Im Rathaus wurde beratschlagt, wie der Thronfolger sicher aus Sarajewo gebracht werden konnte. Das Militär, das die Straßen räumen könnte, befand sich jedoch außerhalb der Stadt und es würde Stunden dauern, es zurückzubeordern.

Allerdings wollte Franz Ferdinand den verwundeten Oberstleutnant von Merizzi im Garnisonsspital besuchen und dann weiter ins Landesmuseum. Dabei hörte er nicht auf die Ratschläge seiner Gefolgsleute, so lange im Gebäude zu bleiben bis die Straßen durch das Militär geräumt worden waren. Vielmehr verließ er sich auf die Zusicherung des bosnischen Landeschefs Oskar Potiorek, der überzeugt war, dass nichts mehr geschehen würde.

Aber woher wollte dieser das eigentlich wissen?

Zufälle, die keine sein konnten

Dieses Mal sollte die Autokolonne, mit dem Bürgermeister an der Spitze, nicht die geplante Strecke nehmen, sondern eine andere Route. Um den Thronfolger mit seinem Körper zu schützen, stellte sich Graf Harrach auf das linke Trittbrett des Phaeton.

Allerdings blieb die rechte Seite vollkommen ungesichert. Zudem hatte Franz Ferdinand keine Leibwächter bei sich. Warum wurde der Erzherzog nicht in ein geschlossenes Fahrzeug gesetzt, um zumindest eventuell weiteren Attentätern die Arbeit zu erschweren?

Die Autokolonne setzte sich in gleicher Reihenfolge wie zuvor in Bewegung. Verhängnisvollerweise geriet das Auto mit dem Thronfolgerpaar durch einen „Fahrfehler“ direkt vor die Pistolenmündung eines noch wartenden Verschwörers …

Wirklich nur ein „Fahrfehler“?

Konkret spielte sich Folgendes ab: Aus einem bis heute ungeklärten Grund hielt sich der Chauffeur des ersten Wagens nicht an die neu vereinbarte Fahrtroute, bog stattdessen rechts in die Franz-Joseph-Straße ab und Harrachs Fahrer folgte ihm.

Potiorek bemerkte den Fehler und wies den Chauffeur an, auf den Appel-Kai zurückzukehren. Dazu musste das Fahrzeug jedoch abgebremst werden, hielt deshalb für wenige Sekunden am Randstein des rechten Gehsteigs, direkt vor Gavrilo Princip, der sich vor einem Laden an der rechten Seite der Straße aufgestellt hatte. Damit befand er sich exakt in der Höhe des Wagens, als dieser zum Stehen kam.

Was für ein Zufall!

10:50 Uhr: Die tödlichen Schüsse

Es war zehn Minuten vor elf. Der bosnische Attentäter brauchte nur die Pistole zu heben. Ein Detektiv, der direkt hinter ihm stand, versuchte noch, ihn vom Schießen abzuhalten, wurde aber von einem Mitglied der Mlada Bosna (einer Organisation der bosnischen Jugend, die sich für die „Befreiung“ von Österreich-Ungarn einsetzte) zur Seite gestoßen.

So konnte Princip ungehindert zweimal hintereinander abdrücken. Eine Kugel zerfetzte Franz Ferdinand die Halsschlagader und die Luftröhre. Aus dem Mund des Erzherzogs spritzte ein dünner Blutstrahl, dann verlor er das Bewusstsein, während Herzogin Sophie vom Sitz rutschte. Zunächst wurde vermutet, sie wäre ebenfalls besinnungslos. Tatsächlich jedoch war ihr ein Projektil in den Unterleib gedrungen und hatte die Bauchschlagader durchtrennt – sie verblutete innerlich.

Nach den Schüssen richtete Princip die Pistole gegen sich selbst, wurde aber von Zuschauern, die ihn schlugen, traten und mit Spazierstöcken verdroschen, vom Selbstmord abgehalten. Vielmehr wollte ihn der Mob auf der Stelle lynchen. Polizeibeamten gelang es gerade noch, den Attentäter in Gewahrsam zu nehmen.

„Sopherl, Sopherl, sterbe nicht!“

Der Wagen mit dem verwundeten Thronfolgerpaar raste zum Wohnsitz des Landeschefs. Franz Ferdinand murmelte schwerverletzt: „Sopherl, Sopherl, sterbe nicht, bleibe am Leben für unsere Kinder.“ Dann sagte er noch einmal zu Harrach, der sich während der Fahrt nach seinem Zustand erkundigte, dass „nichts“ sei. Schließlich verlor er das Bewusstsein.

Als sie Potioreks Wohnstätte erreichten, war Sophie bereits tot. Franz Ferdinand lag im Koma. Gleich darauf stellten die Ärzte auch seinen Tod fest.

Es war 11 Uhr (oder kurz danach, da unterscheiden sich die Berichte). Die Welt stand vor der größten Katastrophe der bisherigen Geschichte. Und in ganz Sarajewo begannen die Glocken zu läuten.