Wehrlosigkeit & Obrigkeitshörigkeit: “Fiel es allerdings schon den Bewohnern der »schönen neuen Welt« schwer, das Kastensystem zu hinterfragen”

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Man stelle sich vor, eine Frau wird auf offener Straße vergewaltigt und alle sehen weg? – Unvorstellbar? In Aldous Huxleys RomanSchöne neue Welt” sind Menschen in Kasten eingeteilt. Obrigkeitshörigkeit in Vollendung. Nach der inneren Logik des Kastenprinzips kann und darf der Frau niemand helfen. Alles viel zu utopisch oder doch sehr nah am Alltag dran? Wie weit kann der Einzelne noch außerhalb vorgegebener Kategorien denken?

“Fiel es allerdings schon den Bewohnern der »schönen neuen Welt« schwer, das Kastensystem zu hinterfragen”

>>Meinung Macht Manipulation Michael von Steinbrecher & Günther Rager (Buch) <<

“Ohne, dass wir es merken, pressen uns Algorithmen in Kategorien. Sie geben uns feste Bahnen vor, die wir nicht mehr oder schwerlich verlassen können. Sie entscheiden künftig vielleicht auch, welche Versicherungen uns aufnehmen oder wer die nächste Organspende erhält. Ähnlich wie in Aldous Huxleys Dystopie Schöne neue Welt: Dort wird schon Embryonen vorgegeben, was sie im Leben erreichen werden, indem man sie in Kasten unterteilt. Doch wer glaubt ernsthaft daran, dass Huxleys und Orwells Zukunftsvisionen wahr werden könnten? Es fällt schwer, diesen Gedanken ernst zu nehmen. Aus demselben Grund fiel es allerdings schon den Bewohnern der »schönen neuen Welt« schwer, das Kastensystem zu hinterfragen, und aus demselben Grund waren schon die alten Römer zu bequem, um ihre Gesellschaftsordnung infrage zu stellen.”

“Ähnlich wie in Aldous Huxleys Dystopie Schöne neue Welt” – “Was sie im Leben erreichen werden, indem man sie in Kasten unterteilt”

Insbesondere der letzte Punkt ist weit weniger Abstrakt als man meinen könnte. Speziell im heutigen England hat sich genau solch ein Umbruch der Gesellschaftsordnung vollzogen.

“Als 410 n. Chr. die letzten römischen Truppen die Insel verlassen”

>>Herrscher der Eisenzeit: Die Kelten – Auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur von Ralph Hauptmann (Buch) <<

“Als 410 n. Chr. die letzten römischen Truppen die Insel verlassen, sieht sich die zivile Provinzialregierung plötzlich der paradoxen Situation gegenüber, angesichts massiver Angriffe germanischer Stämme und der »Seeräuber« eine Provinz verwalten zu müssen, ohne einen entsprechenden Militärapparat dafür zu haben. Die Provinzialregierung muss improvisieren, verspricht Sklaven die Freiheit, wenn sie für sie kämpfen. Gleichzeitig hebt sie das Waffenverbot für Zivilisten auf,  … .”

“Verspricht Sklaven die Freiheit, wenn sie für sie kämpfen” – “Gleichzeitig hebt sie das Waffenverbot für Zivilisten auf”

Vielleicht sollte mal die Frage beantwortet werden: Woher die Angriffe der germanischen Stämme und Piraten kamen? Vereinfacht ausgedrückt: Die Angeln und Sachsen – heutzutage kurz Angelsachsen – waren verbündete Stämme der Römer – kurz Foederati – gewesen und diese haben die Römer selbst in die römische Provinz Britannien geholt. Zweck der Übung: Diese sollten die Präsenz der Römischen Truppen auf der Insel zu reduzieren helfen. Zwar war der nördliche römische Außenposten erobert, aber längst nicht befriedet und die Besatzungskosten wollte wohl langfristig niemand tragen. Vergleichbar vielleicht mit einer modernen Söldnertruppe oder Contractor unserer Tage. Die zurückgebliebenen Angelsachsen auf dem Festland mussten also die Zustände auf der Insel gekannt haben. Nach Abzug der Römischen Streitmacht blieben die Angelsachsen einfach auf der Insel und nutzten das Machtvakuum aus.

“In einer Welle von aufgestauter und plötzlich freigelassener Wut wird der größte Teil der römischen öffentlichen Bediensteten gewaltsam vertrieben”

>>Herrscher der Eisenzeit: Die Kelten – Auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur von Ralph Hauptmann (Buch) <<

“Als den römischen Beamten durch den Abzug großer Teile der Streitmächte der militärische Rückhalt entzogen wird, ist ihr Schicksal besiegelt. Sie sind auf einmal nicht nur nutzlos, sondern allein durch die Tatsache, dass man sie ernähren muss, sogar lästig. In einer Welle von aufgestauter und plötzlich freigelassener Wut wird der größte Teil der römischen öffentlichen Bediensteten gewaltsam vertrieben. … Die Bilder erinnern an den Aufstand der Iceni und ihr Abschlachten der römischen und römerfreundlichen Einwohner von Camulodunum und Londinium. Aufgebrachte Mengen verfolgen um ihr nacktes Leben rennende römische und gallo-romanische Beamte und ihre Familien; Leichen, … liegen tot in den Straßen. Das Schreien und Stöhnen von Sterbenden erfüllt die Luft. Niemand würde glauben, dass das noch vor Kurzem eine blühende, in ihrem Inneren weitestgehend friedliche römische Provinz gewesen ist. Der römische Überbau ist weg.”

“Niemand würde glauben, dass das noch vor Kurzem eine blühende, in ihrem Inneren weitestgehend friedliche römische Provinz gewesen ist”

Um die Insel leichter kontrollieren zu können, hat zuvor ein Waffenverbot bestanden. Nachdem der “römische Überbau” weg war, konnte sich die Bevölkerung kaum Widerstand leisten. Auch die einst ins Land geholten Angelsachsen wollten sich nicht wirklich dankbar zeigen. Letztendlich kristallisierten sich am Ende mehrere kleine Königreiche heraus, welche auch gegeneinander Kriege führten, bis nur noch der heutige König von England übrig blieb. Der Nordirlandkonflikt und die Bestrebungen einer Schottischen Unabhängigkeit zeugen noch heute davon. Im Kern geht es dabei um einen uralten Konflikt: Kelten gegen Angelsachsen. Ein Waffenverbot war schon damals ein Herrschaftsinstrument, denn die Kaste der Herrschenden durfte sehr wohl Waffen tragen. Nun mögen die Geschehnisse Anfang des 5. Jahrhunderts im England sehr weit weg erscheinen, aber gewisse Parallelen sind auch heutzutage erkennbar.

“Passanten helfen vergewaltigter Frau nicht”

>>Bild<<

“Passanten helfen vergewaltigter Frau nicht – Eine 43-jährige Hildesheimerin ist in der Nacht zu Samstag in der Hildesheimer Innenstadt von einem Mann vergewaltigt worden – obwohl ihre Rufe nicht überhörbar waren, schritten vorbeikommende Passanten nicht ein! … Erst als nach wenigen Minuten ein Streifenwagen in der Straße auftauchte, ließ der Vergewaltiger von seinem Opfer ab und sprintete davon. Ein Beamter verfolgte den Täter zu Fuß, wurde aber von diesem an der Jacobistraße abgehängt.”

“Obwohl ihre Rufe nicht überhörbar waren, schritten vorbeikommende Passanten nicht ein!”

So schlimm die Ereignisse auch sein mögen, nur drängt sich hierbei die Frage auf: Inwieweit sind die Passanten rechtlich überhaupt schuld? – Zwar ist unterlassene Hilfeleistung eine Straftat, aber der Gesetzestext macht ebenso Ausnahmen und darin steht: “… ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist … ” geschrieben. Wer kann in einer solchen Situation schon feststellen, ob der Täter wirklich unbewaffnet ist? Fest steht nur, Opfer und Passanten sind unbewaffnet und dieser Tatsache ist sich auch jeden Täter bewusst. Zugleich sich bis zum Eintreffen der Polizei ein erhebliches Zeitfenster ergibt. Zu allen Überfluss kommt hinzu: Die Justiz auch schon mal gerne Opfer verurteilt.

“Nicht Täter, sondern Opfer verurteilt”

>>Südwest Presse<<

“Nicht Täter, sondern Opfer verurteilt – Der nämlich soll bei der Aufklärung der gegen ihn gerichteten blutigen Attacke bewusst zwei der Angeklagten zu Unrecht als Täter bezeichnet haben. Dafür muss er jetzt wegen Falschaussage und Freiheitsberaubung eineinhalb Jahre hinter Gitter.”

“Bei der Aufklärung der gegen ihn gerichteten blutigen Attacke bewusst zwei der Angeklagten zu Unrecht als Täter bezeichnet haben”

Es kommt sehr häufig vor, dass die Opfer von Straftaten sich vor einer Anklage fürchten sollten, weil sie sich zum Beispiel gewehrt haben. Diese innere Logik ist am ehesten durch das Kastenprinzips des Obrigkeitsstaates verständlich. Nur die “waffentragende Kaste” darf eingreifen und alle anderen sollen wie in Aldous Huxleys RomanSchöne neue Welt” unbekümmert weiterleben.