Pśeza – Welche gesellschaftliche Funktion die Spinnstube einst hatte

Die Spinnstube – im Niedersorbischen als Pśeza bekannt – war ein bedeutendes gesellschaftliches und kulturelles Element in den sorbischen Dörfern. Sie entstand aus gemeinschaftlicher Arbeit und wurde zu einer zentralen Institution für die Bewahrung traditioneller Bräuche und Gemeinschaftsbindung.
Gemeinschaftliche Arbeit im Herbst: Der Ursprung der Spinnstube
Nach der Erntezeit im Herbst trafen sich die unverheirateten, anständigen Mädchen des Dorfes täglich abends in der Spinnstube. Ziel dieser Zusammenkünfte war das gemeinschaftliche Spinnen von Garn, das für die Herstellung von Leinwand unerlässlich war. Dieses Garn spielte eine wichtige Rolle im Haushalt, da es für die Produktion von Textilien genutzt wurde. Zudem hatte die Arbeit in der Spinnstube auch eine soziale Dimension: Sie war eine Gelegenheit für Mädchen, ihre Fähigkeiten zu zeigen, ihre Mitgift zu verbessern und somit bessere Heiratschancen zu erlangen.
Kulturelle Bedeutung: Traditionen, Lieder und Geschichten
Die Spinnstube war weit mehr als nur ein Arbeitsraum. Sie fungierte als lebendiges Zentrum sorbischer und wendischer Kultur. Hier wurden Traditionen gepflegt, weiterentwickelt und an die nächste Generation weitergegeben. Die Mädchen organisierten die Planung und Durchführung aller Jugendfeste für das kommende Jahr und dienten als Hauptort zur Verbreitung und Festigung des sorbischen und wendischen Liedguts.
Während der Arbeit erzählten sie sich Geschichten, Sagen und Rätsel, die das kulturelle Erbe bereicherten. Außerdem sangen sie Volkslieder und Choräle, die von einer Vorsängerin – im Niedersorbischen „kantorka“ genannt – angestimmt wurden. Diese gemeinschaftlichen Lieder und Erzählungen stärkten das Zusammengehörigkeitsgefühl und bewahrten die sprachliche und kulturelle Identität der Gemeinschaft.
Geschlechtertrennung und besondere Anlässe
In der Regel hatten die Jungen keinen Zugang zur Mädchenspinte. Die Treffen der Jungen und Mädchen waren getrennt, doch es gab bestimmte Anlässe, bei denen sich beide Geschlechter gemeinsam versammelten. Dazu gehörten besondere Abende wie der Beginn der Spinnzeit am 11. Oktober, dem sogenannten Burkhardstag, sowie die Abende vor Weihnachten und während der Fastnacht. Besonders während der Fastnacht erreichte die Gemeinschaftsarbeit ihren Höhepunkt, denn sie markierte das Ende der winterlichen Spinnzeit und war ein Fest der Zusammengehörigkeit und des kulturellen Austauschs.
Die Spinnstube als lebendige Tradition
Die Spinnstube war mehr als nur ein Ort der Arbeit – sie war ein bedeutendes kulturelles und gesellschaftliches Zentrum, das die sorbische und wendische Gemeinschaft stärkte. Sie förderte die Weitergabe von Traditionen, Musik und Geschichten, bewahrte das kulturelle Erbe und schuf Verbindungen zwischen den Generationen. Durch diese gemeinschaftliche Arbeit und das kulturelle Leben wurde die Identität der sorbischen und wendischen Gemeinschaft nachhaltig geprägt und bewahrt.

















