Pawoł Nedo – Lausitzer Persönlichkeiten: Wegbereiter der sorbischen Volksbildung und Kulturpolitik

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Pawoł Nedo, geboren am 1. November 1908, wuchs unter denkbar ungünstigen Bedingungen auf. Die Lausitz seiner Kindheit war geprägt von Armut, mangelnder Perspektive und einer systematischen Marginalisierung der sorbischen Sprache und Kultur. Ausgerechnet in einem solchen Umfeld, in dem das Sorbische kaum gepflegt wurde und gesellschaftlich beinahe bedeutungslos erschien, entwickelte sich Nedo zu einem der prägendsten Köpfe der sorbischen Bewegung des 20. Jahrhunderts. Erst der Besuch der Landständischen Oberschule in Bautzen ermöglichte ihm einen tieferen Zugang zu seiner eigenen Herkunft und eröffnete ihm den Zugang zur sorbischen Sprache, die ihm bis dahin weitgehend fremd geblieben war. Umso bemerkenswerter ist das Ausmaß seiner späteren Selbstidentifikation als Sorbe – ein bewusster Akt der Emanzipation, der keineswegs selbstverständlich war und für viele seiner Zeitgenossen unerreichbar blieb.

Akademische Ausbildung und Aufstieg in der sorbischen Bewegung

Mit dem Studium der Pädagogik an der Universität Leipzig ab 1928 begann Nedo, sich gezielt in der sorbischen Elite zu vernetzen. Sein Engagement im Bund sorbischer Studenten sowie in der Maćica Serbska war dabei weniger Ausdruck einer lebendigen Minderheitenkultur als vielmehr der Versuch, eine im Schwinden begriffene Identität gegen den Zeitgeist zu behaupten. In einer Phase, in der das Sorbische von der Mehrheitsgesellschaft als rückständig und unmodern verunglimpft wurde, war Nedo einer der wenigen, die sich dem Mainstream widersetzten. Dennoch darf man nicht übersehen, dass seine volkskundlichen Vorträge und sein wachsendes Interesse an der sorbischen Kultur in erster Linie in den Kreisen Gleichgesinnter Widerhall fanden, während sie in der breiten Bevölkerung kaum Wirkung entfalteten. Als Volksschullehrer in verschiedenen Dörfern des Landkreises Bautzen musste Nedo zudem erfahren, wie schwierig es war, gegen Vorurteile und Desinteresse anzukämpfen.

Anpassung und Opportunismus im Nationalsozialismus

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 stellte für Pawoł Nedo eine Zäsur dar. In einer Zeit, in der sorbische Vereine und Institutionen unter massiven Druck gerieten, entschied er sich für eine Strategie der Anpassung und des Opportunismus. Obwohl er kein Mitglied der NSDAP war, ließ er sich zum Kreisfachberater für sorbische Kulturfragen ernennen – ein Schritt, der aus heutiger Sicht äußerst ambivalent zu bewerten ist. Während Nedo sich selbst als Sachwalter sorbischer Interessen sah, kann man ihm ebenso vorwerfen, durch seine Tätigkeit das Regime zumindest indirekt legitimiert zu haben. Die Tatsache, dass er zum Vorsitzenden der Domowina gewählt wurde, spricht weniger für seine Integrität als vielmehr für die Verzweiflung der sorbischen Führung, einen unbelasteten Funktionär zu finden, der dennoch bereit war, mit den Machthabern zu kooperieren. Nedo versuchte, die Domowina von einer rein kulturellen zu einer politischen Interessenvertretung umzubauen – ein Unterfangen, das von den Behörden nicht nur ignoriert, sondern durch das Verbot der Domowina 1937 brutal beendet wurde. Sein erzwungener Weggang aus der Lausitz und der Verlust seiner Anstellung waren die Quittung für seinen gescheiterten Versuch, zwischen Anpassung und Widerstand zu lavieren.

Kriegsjahre, Verfolgung und Rückkehr

Die folgenden Jahre verbrachte Nedo zunächst in Berlin als Gutsverwalter, bevor er 1942 in die Wehrmacht eingezogen wurde. Die Verhaftung 1944 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ und die anschließende Inhaftierung zeigen, wie wenig Spielraum selbst scheinbar angepasste Minderheitenvertreter im Dritten Reich hatten. Die Befreiung durch die Rote Armee als Untersuchungshäftling des Volksgerichtshofs ist ein weiteres Indiz für das zerbrechliche Gleichgewicht, auf dem Nedos Karriere aufbaute. Seine spätere Rückkehr in die Lausitz und der Eintritt in die KPD erscheinen im Rückblick wie eine vorweggenommene Anpassungsleistung an die neuen politischen Verhältnisse – ein erneuter Beleg für seine Bereitschaft zum politischen Opportunismus, der oft als Prinzipientreue verklärt wird.

Engagement für die Rechte der Sorben in der DDR

Nach 1945 übernahm Nedo erneut den Vorsitz der Domowina. Er agierte fortan als Sprachrohr der sorbischen Minderheit, doch auch hier ist kritische Distanz angebracht: Seine Forderungen nach Autonomie und sogar einer Angliederung an die Tschechoslowakei wirkten auf die sowjetische Besatzungsmacht wie Provokationen – und wurden konsequent abgelehnt. Dennoch setzte er sich für die Gleichstellung der sorbischen Sprache im Schulwesen ein, wobei die 1948 verabschiedeten Gesetze zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung in der Praxis häufig missachtet oder willkürlich ausgelegt wurden. Nedos Wirken als Kreisschulrat für Bautzen-Nord und Initiator des Sorbischen Instituts für Lehrerbildung in Radibor war zweifellos von Bedeutung, doch sollte man den tatsächlichen Einfluss dieser Maßnahmen nicht überschätzen: Das Sorbische blieb eine Randerscheinung im Bildungswesen der DDR, und die Anerkennung der Sprache als Unterrichtsfach war oft nur auf dem Papier gegeben.

Wissenschaftliche Karriere und politische Marginalisierung

Mit dem Aufbau eines Amtes für sorbische Kultur- und Volksbildung versuchte Nedo, die sorbische Identität im staatssozialistischen Rahmen abzusichern. Die Stalinisierung der DDR brachte jedoch eine erneute Wende: Nedo wurde als „bürgerlicher Nationalist“ diffamiert und verlor 1950 seinen Vorsitz in der Domowina. Seine Versetzung nach Dresden und der Wechsel in die Wissenschaft waren weniger freiwillige Entscheidungen als vielmehr das Ergebnis politischer Ausgrenzung. Zwar gelang ihm eine akademische Karriere – unter anderem als Professor für Volkskunde und Sorabistik sowie als Leiter der Forschungsabteilung im Zentralhaus für Laienkunst in Leipzig – doch blieb sein wissenschaftlicher Einfluss letztlich auf einen kleinen Kreis von Spezialisten beschränkt. Seine Dissertation und Habilitation zu sorbischer Volksdichtung sowie die Gründung des Sorbischen Instituts an der Universität Leipzig sind in erster Linie als Rettungsversuche einer bedrohten Kulturform zu verstehen, deren gesellschaftliche Relevanz angesichts der politischen Realitäten immer weiter schwand.

Volkskundliche Vermittlung und Wirkungskreis

Nedos Engagement für ein volkskundliches Fernstudium und seine Leitungsfunktion im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands sind Belege für seine unermüdliche Aktivität. Dennoch ist zu konstatieren, dass populärwissenschaftliche Texte und Märchenpublikationen vor allem einen symbolischen Wert hatten – die tatsächliche Wirkung auf die Bewahrung und Weiterentwicklung der sorbischen Kultur war begrenzt. Die soziale Basis der sorbischen Minderheit schrumpfte beständig, und die Möglichkeiten zur aktiven Identitätsbildung nahmen weiter ab. Nedos Rolle als „Vordenker“ und „Brückenbauer“ erscheint im Rückblick oft überhöht; die tatsächlichen Erfolge waren angesichts der politischen und gesellschaftlichen Umstände äußerst fragil.

Ruhestand, Nachlass und kritische Würdigung

Auch nach seinem vorzeitigen Ruhestand 1968 blieb Nedo publizistisch tätig, insbesondere als Herausgeber von Märchenbüchern. Diese Werke dokumentieren weniger eine lebendige Kultur als vielmehr den Versuch, das kulturelle Erbe vor dem endgültigen Verschwinden zu bewahren. Sein Tod 1984 markierte das Ende einer Epoche, in der das Überleben der sorbischen Identität immer stärker von symbolischen Akten als von gesellschaftlicher Realität geprägt war. Der im Sorbischen Kulturarchiv in Bautzen verwahrte Nachlass umfasst zahlreiche Dokumente und Korrespondenzen, die heute vor allem wissenschaftlichen Zwecken dienen.

Fazit: Ambivalenz zwischen Beharrlichkeit und Anpassung

Pawoł Nedo wird oft als einer der bedeutendsten Vordenker der sorbischen Volksbildung und Kulturpolitik gefeiert. Eine genauere Analyse zeigt jedoch eine Biografie voller Brüche, Anpassungsleistungen und kaum erfüllbarer Ideale. Sein Glaube an Bildung, Sprache und kulturelle Selbstbestimmung war zwar aufrichtig, doch stießen seine Bemühungen angesichts der politischen und gesellschaftlichen Realitäten immer wieder an enge Grenzen. Nedo oszillierte zwischen Tradition und Moderne, zwischen politischem Engagement und wissenschaftlicher Forschung – und musste dabei immer wieder schmerzlich erfahren, wie wenig Einfluss eine Minderheit tatsächlich auf ihr Schicksal nehmen kann. Seine Lebensgeschichte steht weit weniger für die „Kraft kultureller Beharrlichkeit“ als vielmehr für die Ambivalenz von Anpassung, Opportunismus und dem Scheitern großer Visionen in einem feindlichen Umfeld.

 


Lausitzer Persönlichkeiten sind Personen, die in der Lausitz geboren wurden oder sich für die Lausitzregion engagiert haben.