Lausitzer Mythen: Die Georgenkapelle auf dem Rothstein

Screenshot vimeo.com Screenshot vimeo.com

Eine der schönsten Fernsichten, welche die Oberlausitzer Gebirge bieten, gewährt der Rothstein bei Sohland; er gleicht einem prächtigen in Form eines Hufeisens angelegten Schanzwalle, mit der Oeffnung nach Süden und der Rundung nach Norden gerichtet.

___________________

Von  Johann Georg Theodor Grässe

___________________

Die westliche Kuppe von geringer Höhe heißt der Georgenberg, und trägt die Ruine einer alten St. Georg geweihten Kapelle. Dieselbe war im Mittelalter in hohem Ansehn, kam aber durch eine daselbst verübte Greuelthat plötzlich in Verfall. Die Ursache war folgende. Auf der östlichen Kuppe des Berges stand eine Burg, welche dem Ritter von Rothstein gehörte. Derselbe war aber ein gefürchteter Raubritter, und sein Treiben brachte es bald dahin, daß die Kapelle von Niemandem mehr besucht ward. Einst sah er vom Fenster seines Schlosses aus einen von kostbar gekleideten Dienern begleiteten Wagen auf der Landstraße fahren, und da eben ein großer Theil seiner Leute auf einem Raubzuge aus war, konnte er nur durch List hoffen, einen glücklichen Fang zu thun.

Er legte also ein Pilgerkleid an, und machte sich so unkenntlich wie möglich, stieg den Berg hinab und begab sich in das Haus eines Landmanns, vor welchem der Wagen Halt gemacht hatte. Er gab vor, er komme aus fernen Landen und wolle eines Gelübdes halber nach der Georgenkapelle pilgern, und es gelang ihm auch, die Besitzerin des Wagens, eine vornehme polnische Edelfrau, die nach dem Tode ihres Gemahls auf einer Reise durch Deutschland begriffen war, zu veranlassen, die Pilgerwanderung nach dem nahen Berge mitzumachen. Er nahm, um Alle recht sicher zu machen, den Landmann als Führer mit, und so stiegen sie denn nur noch in Begleitung einer einzigen Dienerin der Dame den Berg hinan.

An der Kapelle angelangt, gelang es ihm leicht, den nichts Böses ahnenden Bauer auf die Seite zu locken und zu ermorden, und einige seiner Knechte, die in der Nähe der Kapelle verborgen lagen, ergriffen ohne Mühe die Fremde und schleppten sie auf den Rothstein, allein die Dienerin entging ihnen durch die Schnelligkeit ihrer Füße, eilte ins Dorf herab und machte Lärm. Einige zufällig anwesende Ritter von ihr zur Befreiung ihrer Herrin aufgefordert, beschlossen, wo möglich das Raubschloß durch Ueberfall zu nehmen, es glückte ihnen auch, weil die Besatzung eben nicht im Schlosse war, einzudringen, der Ritter und die wenigen Knechte, die sich oben befanden, fielen nach verzweifelter Gegenwehr, allein die Edeldame fanden sie nicht – wahrscheinlich hatte sie der Bösewicht ermordet.

Von Zorn entbrannt steckten sie das Raubnest in Brand, es stürzte in Trümmern zusammen, und begrub in seinem Sturze die mit Schätzen angefüllten unterirdischen Gemächer. Die Georgenkapelle ward seit dieser Zeit von Jedermann ängstlich gemieden, sie kam in Verfall, und man behauptet, daß es zur Nachtzeit in ihrem Innern umgehe und wimmere. Das Wehklagen soll die unglückliche Dame verursachen, die Spukgestalt aber, die man zuweilen gesehen hat, soll der Geist des Raubritters sein, der nirgends, auch in der Kapelle nicht Ruhe findet.