Lausitzer Mythen: Der Wendenkönig

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Wo der Wendenkönig geboren ist und bei wem er in der Jugend bis zu seinem fünfzehnten Jahre gelebt hat, vermag Niemand zu sagen. Man erzählt, dass er eines Abends in der Tracht eines Hirten in ein einzeln gelegenes Gehöft getreten sei. Das Gehöft wurde von einer Wittwe und ihren Töchtern bewohnt.

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Von Edmund Veckenstedt

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Es befanden sich alle Hausgenossen, da es Winter war, in der Stube am Ofen, als man den Hofhund aussergewöhnlich stark bellen hörte. Man vernahm von weitem den festen Schritt eines Wanderers auf dem hartgefrorenen Boden; als sich aber die Schritte des Fremden dem Hause genähert hatten, verstummte der Hund plötzlich. Bald darauf trat der Fremde in das Zimmer und die Wittwe bewillkommnete ihn. Sie bot ihm an, er möge die Nacht in ihrem Hause bleiben, der Fremde nahm das Anerbieten an. Am andern Morgen betrat die Wittwe ihren Hof; sie ging wie gewöhnlich zuerst zu ihrem Hunde und liebkoste ihn, allein diesmal gab derselbe keinen Laut von sich und bald merkte sie zu ihrem Schrecken, dass derselbe stumm sei. Kurze Zeit darauf betrat auch der Fremde den Hof. Als er das Vieh besah und ein krankes Stück unter demselben bemerkte, versprach er, er wolle es heilen. Zu diesem Zwecke blieb er einige Tage auf dem Gehöft der Wittwe; da er die Heilung glücklich vollbracht hatte, sprach man bald im ganzen Dorfe von dem Fremden; man brachte ihm viel krankes Vieh, er aber heilte alles.

Es traf sich nun, dass einmal Tanz in der Schenke war. Der Fremde nahm an demselben Theil. Bald kam es zum Streit, da die jungen Burschen des Ortes sich über den neuen Tänzer ärgerten, und vom Streit zur Schlägerei. Die Burschen wollten nämlich den Fremden hinauswerfen. Der aber zeigte bei der Schlägerei eine furchtbare Kraft, immer zwei und zwei der Burschen erfasste er und warf sie zur Thür hinaus, so dass er zuletzt mit den Tänzerinnen allein in der Schenke blieb. Da war es denn nur natürlich, dass er wegen seiner ungeheuren Kraft in hohe Achtung kam.

Kurze Zeit nach diesem Vorgange verliess er das Dorf und blieb einige Jahre in der Fremde. Es war nun aber, als ob mit der Abwesenheit des Fremden aller Segen vom Dorfe gewichen sei, viel Krankheiten trafen Menschen und Vieh und Niemand war da, der helfen konnte. Da begann man sich wieder nach dem Fremden zu sehnen und man sprach fortan nur noch von dem Kraĺ[WS 1]. Niemand aber wusste oder konnte erfahren, wo derselbe weile. Eines Tages trug es sich zu, dass der Fremde wieder erschien; wo nun hinfort in dem Dorfe oder in der Nachbarschaft eine Krankheit ausbrach, holte man sofort den Kraĺ und der heilte denn auch Menschen und Thiere. Er bekam für jede Heilung ein Stück Geld und gelang es ihm bald, eine tüchtige Summe zu ersparen. Der Fremde heilte nicht nur Krankheiten, sondern er machte sich auch dadurch bei den Leuten beliebt, dass er ihnen zum Tanze, besonders bei dem Erntefeste, aufspielte. So wuchs sein Ansehen und in Folge dessen kam es dahin, dass man auch Streitigkeiten von dem Kraĺ schlichten liess. Nun hatte er vollauf zu thun und bald bildete sich ein Kreis von Männern und Jünglingen um ihn, welche ihn auf seinen Streifereien, die oft acht bis vierzehn Tage währten, zu begleiten pflegten.

Einstmals fühlte sich ein Bauer durch den Schiedsspruch des Kraĺ gekränkt, er und seine Freunde lauerten deshalb dem Gefolge desselben, als dieser zufällig nicht bei seinen Getreuen war, auf und schlugen diese in die Flucht. Als der Kraĺ dies erfuhr, ward er sehr zornig; er drohte, er werde sich eine Burg bauen und fortan das Land als König beherrschen. Schnell sammelte er seine Anhänger, deren Zahl stets gewachsen war, um sich und zog mit ihnen dem Bauer

und dessen Freunden entgegen. Als diese, welche gerade bei dem Mittagsessen waren, das Geschrei ihrer Feinde vernahmen, ergriffen sie schnell ihre Waffen und zogen dem Heere des Kraĺ entgegen. Bald war ein hitziges Treffen entbrannt, die feindliche Schaar richtete ihre Geschosse besonders auf den Fremden, welcher Holzstiefeln und einen blauen Leinwandkittel trug; allein alle Pfeile prallten an ihm machtlos ab und bald erkannte man, dass der Fremde unverwundbar sei. Durch seine Tapferkeit fiel das Treffen zu seinen Gunsten aus, und bald waren die Anhänger des Feindes, welche nicht gefallen waren, gefesselt. Die Gefangenen mussten das Heer des Königs begleiten und ihm in Burg ein Schloss bauen. Die Burg wurde mitten auf dem Burgberge errichtet. Hier nun lebte der Kraĺ viele Jahre in ruhiger Ausübung der Herrschaft, zog oft einige Wochen im Lande herum, heilte Krankheiten und schlichtete Streitigkeiten, dafür erhielt er reiche Geschenke und sammelte so einen grossen Schatz.

Einstmals versammelte er seine Getreuen um sich und sprach zu ihnen: „Es sind nun bald die fünfzig Jahre um, welche ich bei Euch zubringen wollte, bald werde ich Euch verlassen und Niemand wird erfahren, wohin ich mich wende.“ Darauf ermahnte er sie, dass sie friedlich bei einander wohnen möchten. Kurze Zeit darauf vergrub er seinen Schatz, damit Niemand in Besitz desselben gelangen könne und nachdem er dies gethan, ist er eines Tages verschwunden; Niemand weiss wohin.

Man erzählt, dass seine Seele im Grabe keine Ruhe gefunden, deshalb sieht man auf dem Burgberge öfter Flammen lohen.