Künstler im Exil: Vom Unperson & Hochverräter zur heldenhaften Identifikationsfigur

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Bei der Potsdamer Konferenz im Schloss Cecilienhof war Frankreich – als spätere Siegermacht – noch ausgeladen. Schließlich war Frankreich bereits im Jahr 1940 durch die Wehrmacht besetzt worden und das danach eingerichtete Vichy-Regime hat vorbehaltlos die Seiten gewechselt. Französische Freiwilligenverbände haben sich sogar am Krieg gegen die Sowjetunion beteiligt.

Welche Rolle haben Exilanten in der Geschichte gespielt?

Die heutige Sichtweise über Frankreichs als Siegermacht wird maßgeblich von französischen Exilanten geprägt. Die flammenden Appelle des Charles de Gaulle aus seinem englischen Exil gingen in die Geschichte ein.

Charles de Gaulle im englischen Exil: Die flammenden Appelle des „verurteilten Hochverräters“

Aber auch zu DDR-Zeiten mussten viele Künstler das Land notgedrungen verlassen und sie setzten ihre Arbeit im Exil fort. Das kulturelle Leben der DDR war somit nicht nur auf die DDR-Staatsgrenzen beschränkt. Und sie hatten allen Grund sich vor der Staatssicherheit zu fürchten, auch wenn deren Methoden erst in der Nachwendezeit öffentlich bekannt wurden.

„Zersetzung“ – „Jedes zwischenmenschliche Vertrauen zu zerstören“

>>Konrad-Adenauer-Stiftung  (PDF-Datei) <<

„Der entscheidende Wendepunkt in der Politik der Stasi war die (nach dem Ende der DDR bekannt und berühmt) gewordene „Richtlinie 1/76”. Die neuen Zauberworte hießen „Zersetzung”, „Zurückdrängung”, „Verunsicherung”, „Zerschlagung feindlich-negativer Personenzusammenschlüsse” und so weiter. Ausdrücklich sprach man auch von „Intrigen, Hinterlist, Falschheit und Verlogenheit”. „Zersetzung” bedeutet, jedes zwischenmenschliche Vertrauen zu zerstören, die miesesten Gefühle wie Neid und Missgunst zu schüren, eine Atmosphäre der Angst und des Misstrauens herzustellen. „Zersetzung” ist „ätzend”, wie Säure. Und immer spielt die Angst, doch verhaftet zu werden, eine Rolle. Nur relativ wenige Menschen wurden tatsächlich „feindbearbeitet”, wie die Stasi sagte, aber alle sollten davor Angst haben.“

„Zersetzung“ – „Atmosphäre der Angst und des Misstrauens herzustellen“

Es gelang nicht nur, „eine Atmosphäre der Angst und des Misstrauens herzustellen“ – sondern diese hat sogar eine regelrecht Eigendynamik entwickelt. Deswegen können viele Stasiakten nur einzureichendes Bild liefern. Das lässt sich recht anschaulich am Verbot des DDR-Films Jadup und Boel aufzeigen.

Wie die „Atmosphäre der Angst und des Misstrauens“ ihre Wirkung zeigen kann

>>Spiegel<<

„Die Premiere wurde schließlich für den 17. Dezember 1981 anberaumt. Einen Monat zuvor war in der Parteizeitung „Neues Deutschland“ ein angeblicher Leserbrief erschienen, in dem jemand seine „Erwartungen an DEFA und Fernsehen“ und seine Kritik formulierte – etwa, dass in Gegenwartsfilmen „zu wenig Stolz“ auf das gezeigt werde, „was die Arbeiterklasse und ihre Partei im Bunde mit allen Werktätigen unseres Landes an großem vollbracht hat“. Der offenkundig „auf Bestellung von oben“ erschienene Brief lieferte Simons Kritikern das endgültige Argument: Um DEFA und Filmemacher vor dem vermeintlichen Volkszorn zu schützen, würde der Aufführungstermin verschoben. Am 22. April 1983 – Simon hatte längst ein neues Projekt beendet – wurde auch die staatliche Zulassung wieder zurückgezogen.“

„Erwartungen an DEFA und Fernsehen“ – Obrigkeitshörigkeit und Filmzensur

Offenkundig musste nur ein Parteifunktionär seine „Erwartungen„öffentlich äußern und viele haben in voller Obrigkeitshörigkeit die subtil-geäußerten Wünsche erfüllt. Aber was soll eigentlich am Film „Jadup und Boel“ so schlimm gewesen sein? – Die entscheidende Antwort darauf kann vermutlich mit allerletzter Gewissheit niemand geben. Allen Anschein nach, hat er ein „zu“ wirklichkeitsgetreues DDR-Bild über die Probleme der Nachkriegszeit und die Auswirkungen des Realsozialismus vermittelt.

Verbot des Film „Jadup und Boel“ – Zu nah an der DDR-Lebenswirklichkeit?

Gewiss mag der heutige Unterhaltungswert des DDR-FilmsJadup und Boel“ überschaubar sein: Doch die Entstehung des Films, sein Verbot und seine späte Wiederzulassung – noch zu DDR-Zeiten – spiegeln doch recht Anschaulich die DDR-Verhältnisse wider: Vermutlich besser, als es der Film je selbst konnte.

Künstler im Exil: Die andere Seite der DDR

Unter solchen Bedingungen kann sich logischerweise keine Kultur, Kunst oder Literatur frei entfalten: Denn schließlich können nur genehmigte Werke veröffentlicht werden. Der DDR-Staat übte also seine Macht bis hinein in die Kultur aus. Aber lässt sich unter solchen Gegebenheiten wirklich die Kulturszene eines ganzen Landes bewerten? Zumal das DDR-Politbüro seinen Herrschaftsanspruch faktisch nur durch Wahlfälschungen legitimieren konnte. Nichtmal ein echter Mehrheitswille des Volkes war gegeben. Jedoch die Kultur eines Landes ist nicht nur auf seine geographischen Grenzen beschränkt.

„Unperson“ – „In der DDR – Schriftsteller Günter Kunert“

>>Künstler im Exil<<

„Unperson“ in der DDR – Schriftsteller Günter Kunert – Ich lebe in einem Exil, aus dem ich überhaupt nicht vertrieben werden kann. Das große Reich der Literatur. … Der Schriftsteller beschreibt seine Isolation in der DDR, das Gefühl zu einer „Unperson“ geworden zu sein, und schließlich die Ausreise 1979, in der Folge des Protests gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann.“

Günter Kunert: „Ich lebe in einem Exil, aus dem ich überhaupt nicht vertrieben werden kann“

Aber Künstler im Exil stellt beileibe kein DDR-Phänomen dar. Das StandardwerkDeutsche Exilliteratur 1933-1950“ von Hans-Albert Walter musste – zwecks Umfang – in mehreren Bänden herausgegeben werden. Einige Schriftsteller haben eine regelrechte Berühmtheit im Exil erreicht. Sogar ganze Presseerzeugnisse wurden dort herausgegeben.

Die Familie Mann im Exil

>>Die Manns Geschichte einer Familie von Tilmann Lahme (Buch) <<

„Während sich Michael Mann im Gedenkjahr ganz auf den Vater konzentriert, veröffentlicht Golo Mann Erinnerungen an meinen Bruder Klaus in der Neuen Rundschau, die er seit Jahren als einer der Herausgeber verantwortet. Das Porträt erscheint auch als Nachwort in einem Band mit Briefen von und an Klaus Mann. Der Bruder, der an mangelnder Resonanz und fehlendem Interesse an seinen Büchern nach 1945 so sehr gelitten hat, ist seit einigen Jahren zu einem vielgelesenen Schriftsteller geworden. Das Interesse an antifaschistischen Autoren und an Exilliteratur ist mittlerweile groß, … „

Exilliteratur & Exilpresse von 1933 bis 1945: Nicht nur NS-Wochenschau und die NS-Zeitung „Stürmer“

Das kulturelle Wirken der Jahre von 1933 bis 1945 lässt eben nicht nur auf die NS-Wochenschau und die NS-Zeitung „Stürmer“ zusammenstreichen, sondern viele Autoren im Exil haben die Entwicklung in Deutschland durchaus mit Sorge betrachtet: Es gab also nicht nur die offizielle Regierungsmeinung. Und genau diese andere Perspektive dürfte besonders im Nachkriegsdeutschland eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Wie Exilanten die Nachkriegszeit beeinflussten

>>Focus<<

„Zweifellos erscheinen die Forderungen, die Morgenthaus im September 1944 verfasstes Papier enthielt, im Rückblick relativ hart: Das besiegte Deutschland sollte nicht nur demilitarisiert, sondern auch in einen Nord- und einen Südstaat aufgeteilt werden. Das Saarland und angrenzende Regionen schlug der Entwurf Frankreich zu, Ostpreußen und Oberschlesien der UdSSR beziehungsweise Polen.“

Haben Exilanten den Morgenthau-Plan verhindert?

Bei der Potsdamer Konferenz im Schloss Cecilienhof wurden solche Pläne – wie der Morgenthau-Plan – tatsächlich diskutiert. Die Rolle von Exilanten wird aber besonders am Beispiel Frankreich deutlich. Vereinfacht: Zur Potsdamer Konferenz waren nur drei Siegermächte eingeladen, über die Rolle von Frankreich als Siegermacht war noch nicht endgültig entschieden worden. Frankreich war bereits im Jahr 1940 durch die Wehrmacht besetzt worden und das danach eingerichtete Vichy-Regime hat vorbehaltlos die Seiten gewechselt. Französische Freiwilligenverbände haben sich sogar bereitwillig am Krieg gegen die Sowjetunion beteiligt. Aber auf der anderen Seite führte – maßgeblich unter Charles de Gaulle – die Geschicke des „anderen“ Frankreichs im Exil fort.

 Winston Churchill: „Er erkannte de Gaulles Komitee Freies Frankreich als einzige legitime französische Regierung an“

>>In Europa. Eine Reise durch das 20. Jahrhundert von Geert Mak (Buch) <<

„Während dieser Zeit versuchte General de Gaulle im fernen London, die Ehre Frankreichs zu retten. Im Juni 1940 war er, mit leeren Händen, wie er sagte, nach England gegangen. Kaum jemand hatte je von ihm gehört; er war erst am 19. Mai zum General befördert worden, und seine einzige politische Erfahrung stammte aus seiner Zeit als Unterstaatssekretär in der letzten Regierung von Premier Reynaud, die kaum zwei Wochen im Amt gewesen war. … Churchill, der eine Schwäche für Frankreich und zunächst auch für de Gaulle hatte, konnte ihn nur in zweierlei Hinsicht unterstützen: Er erkannte de Gaulles Komitee Freies Frankreich als einzige legitime französische Regierung an, und er verschaffte dem General die Möglichkeit, regelmäßig über die BBC zu den Franzosen zu sprechen. Diese beiden Zugeständnisse nutzte de Gaulle bestmöglich. Im Juni 1940 lauschte kaum ein Franzose seinen Radioansprachen, 1941 hatte er nach Schätzungen seiner Gegenspieler in Vichy etwa 300 000 Zuhörer, und 1942 war die Zahl bereits auf drei Millionen gestiegen.“

Charles de Gaulle im englischen Exil: „Regelmäßig über die BBC zu den Franzosen zu sprechen“

Die Exilregierung des Freien Frankreichs hat also maßgeblich die Nachkriegsgeschicke mitbestimmt. Noch heute nimmt General de Gaulle und seine Exilregierung eine tragende Rolle im Selbstverständnis des modernen Frankreichs ein. Niemand würde heute sein Wirken im Londoner Exil als Verrat bezeichnen, denn die Vichy-Regierung unter Marschall Pétain hatte Charles de Gaulle schon im August 1940 wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Besonders seine künstlerisch herausragenden Radioansprachen sind Unvergessen geblieben.