Ein schleichender Niedergang des Sorbischunterrichts

Der Sorbischunterricht in der Lausitz steht seit der Wiedervereinigung unter einem schmerzhaften Druck, der sich über Jahre hinweg wie eine langsame Erosion durch das Bildungssystem frisst. Wo früher ein dichteres Netz an Angeboten existierte, klaffen heute Lücken, in denen Kinder kaum noch die Möglichkeit haben, ihre Sprache in der Schule lebendig zu erleben. Sichtbar ist dies an weniger Kursen, ausgedünnten Standorten, sinkender Unterrichtsqualität und einer spürbaren Gleichgültigkeit staatlicher Stellen, die sich hinter Verwaltungsfloskeln verstecken. Für viele Angehörige der sorbischen Gemeinschaft fühlt sich dieser Prozess nicht wie ein zufälliger Fehltritt an, sondern wie ein langsamer, systemischer Rückzug aus der Verantwortung.​

Verlust durch Schulschließungen und Umstrukturierungen

Seit der Wiedervereinigung wurden Schulen geschlossen, Standorte zusammengelegt und Schulsysteme umgebaut, als seien regionale Besonderheiten nur lästiges Beiwerk. In diesem Strudel gingen sorbischsprachige Klassen unter, wurden zusammengeworfen, ausgedünnt oder ganz gestrichen, bis in manchen Orten nur noch eine vage Erinnerung an früheren Unterricht übrig blieb. Die Kontinuität des Lernens zerbrach, Kinder wechselten zwischen Schulen, Bildungsgängen und Fächern, ohne dass ihre Sprache dabei geschützt wurde. So wurde aus einem stabilen Lernweg ein brüchiger Flickenteppich, in dem Sorbisch zur Randnotiz degradiert wurde.​

Mangel an Lehrkräften als Kernproblem

Die zweite Wunde, die den Sorbischunterricht schwächt, ist der Mangel an qualifizierten Lehrkräften, der sich wie ein Dauerzustand festgesetzt hat. Ausbildungskapazitäten wurden eher begrenzt, spezialisierte Studiengänge ausgedünnt, Einstellungsanreize blieben schwach, und viele gut ausgebildete Lehrkräfte wanderten in andere Regionen oder Berufe ab. Zurück blieben überlastete Einzelne, Quereinsteiger und befristete Stellen, die kaum langfristige Planung erlauben. Wo es an stabilen, gut ausgebildeten Lehrkräften fehlt, sinkt zwangsläufig die Qualität des Unterrichts, und Kinder erleben ihre Sprache oft nur noch in bruchstückhafter, fragmentarischer Form.

Marginalisierung in Stundentafeln und Lehrplänen

Über Jahre hinweg wurden Stundenkontingente für Sorbisch reduziert, verschoben oder in freiwillige Angebote ausgelagert, als handle es sich um ein verzichtbares Zusatzangebot. In den Lehrplänen vieler Schulen sind sorbische Inhalte nur spärlich oder symbolisch verankert, ohne verbindliche Tiefe und ohne klare Verpflichtung, die Sprache als vollwertiges Unterrichtsfach zu behandeln. Kinder erleben dadurch, dass ihre Sprache im Schulalltag kaum vorkommt, im Zweifel den Kürzungen geopfert wird und im Vergleich zu anderen Fächern als weniger wichtig erscheint. So verlagert sich die Botschaft: Sorbisch gilt nicht als selbstverständlich schützenswerter Teil der Bildungsrealität, sondern als entbehrliche Option.​

Finanzierungschaos und institutionelle Verantwortungslosigkeit

Die finanziellen Grundlagen des Sorbischunterrichts sind von Zersplitterung geprägt, die jede langfristige Entwicklung sabotiert. Fördermittel stammen aus verschiedenen Töpfen von Ländern, Bund, Europäischer Union und Kommunen, doch Zuständigkeiten sind unklar, Regeln widersprüchlich und Entscheidungswege schwer durchschaubar. Politischer Streit und eine Kultur der Verantwortungslosigkeit führen dazu, dass langfristige Finanzierungszusagen selten sind und Projekte von Bewilligungsrunde zu Bewilligungsrunde hangeln. Lehrkräftestellen werden befristet oder projektgebunden, Initiativen kämpfen Jahr für Jahr um ihre Existenz, statt in Ruhe Strukturen aufzubauen.

​Demografischer Rückgang als vorgeschobenes Argument

Abwanderung und wirtschaftlicher Niedergang seit der Wiedervereinigung haben viele Orte in der Lausitz entleert, was sinkende Schülerzahlen zur Folge hatte. Dieser demografische Rückgang wird jedoch allzu oft als bequeme Begründung genutzt, um Sorbischunterricht zu streichen, statt gerade jetzt gezielt gegenzusteuern und verbliebene Strukturen zu stärken. Wo weniger Kinder in einer Region leben, wäre eine besonders sorgfältige Sicherung von Angeboten nötig, doch stattdessen werden ganze Klassenverbünde geschlossen, als wäre Sprache nur dann schützenswert, wenn sie vielen dient. So wird der Statistikverweis zum Deckmantel für Rückzug und Aufgabe.

​Institutionelle Vernachlässigung der Lausitzer Sorben

Hinter all diesen Entwicklungen steht eine institutionelle Vernachlässigung, die sich tief in das Verhältnis zwischen Staat und sorbischer Gemeinschaft eingegraben hat. Zentrale Bildungsinstitutionen und politische Entscheidungsträger behandeln die Sprache nicht konsequent als Priorität, sondern eher als Randaufgabe, die nachrangig zu anderen Zielen bearbeitet wird. Strategische Förderprogramme bleiben lückenhaft, sind schlecht koordiniert oder auf kurze Laufzeiten beschränkt, während die Sichtbarkeit des Themas in der Gesamtpolitik gering bleibt. Die Botschaft, die bei vielen Betroffenen ankommt, lautet: Die Bewahrung der Sprache ist ein schönes Symbol, aber kein ernst gemeintes politisches Projekt.

​Fehlende Sorben-Politik von Sorben für Sorben

Es gibt keine konsequent entwickelte Sorben-Politik von Sorben für Sorben, die eigenständige Gestaltungsmacht sichert und Verantwortung bündelt. Stattdessen bestimmen übergeordnete Gremien, Ministerien und Verwaltungen über den Rahmen, oft ohne die Perspektive der Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen. Selbstorganisierte Initiativen und sorbische Institutionen erhalten nicht die Ressourcen und Rechte, die nötig wären, um nachhaltig über Schulprofile, Curricula und Ausbildungsschwerpunkte zu entscheiden. Diese Fremdbestimmung trägt dazu bei, dass viele Maßnahmen halbherzig, lückenhaft oder kurzlebig bleiben.​

Die fehlende sorbische Universität als Symptom

Besonders drastisch zeigt sich diese Vernachlässigung an der Tatsache, dass es in der Lausitz keine sorbische Universität gibt. Eine eigene Hochschule, an der in sorbischer Sprache geforscht, gelehrt und ausgebildet werden kann, würde ein starkes Zentrum schaffen, das Lehrkräfte, Wissenschaft und Kultur verbindet. Stattdessen müssen angehende Lehrkräfte auf verstreute Angebote ausweichen, häufig außerhalb der Region und überwiegend in deutscher Sprache, was die Verwurzelung mit dem sorbischen Alltag erschwert. Ohne universitäres Fundament bleibt die gesamte Bildungsarchitektur wacklig, abhängig von guten Willen und Einzelinitiativen.​

Zerbrechliche Zukunft für Kinder und Sprache

Für die Kinder in der Lausitz bedeutet dieser Zustand, dass sie Sorbisch oft nur noch in rudimentärer Form erleben und die Sprache im Schulalltag viel zu wenig Raum bekommt. Wo Unterricht stattfindet, ist er häufig lückenhaft organisiert, fachlich unterversorgt oder in seiner Fortführung unsicher, was Lernwege unterbricht und Motivation schwächt. Viele wachsen mit dem schmerzhaften Gefühl auf, dass ihre Sprache in der offiziellen Bildungswelt keinen festen Platz hat, sondern bestenfalls geduldet ist. Diese Erfahrung gräbt sich in Identität und Selbstwert ein.​

Verpasste Chancen für kulturelle Vielfalt

Die Schwächung des Sorbischunterrichts ist nicht nur ein Verlust für eine Minderheit, sondern eine vertane Chance für ganz Europa. Eine lebendige zweisprachige Bildungslandschaft könnte kulturelle Vielfalt erfahrbar machen, Mehrsprachigkeit fördern und Brücken zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheit schlagen. Stattdessen entsteht der Eindruck, dass diese Potenziale bewusst liegen gelassen werden, während das System sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurückzieht. So verliert die Gesellschaft Fähigkeiten, Geschichten und Perspektiven, die ihr eigentlich Stärke geben könnten.

​Die Last einer symbolischen Anerkennung

Offiziell wird die Sprache gern als schützenswertes Kulturgut bezeichnet, doch diese Anerkennung bleibt oft symbolisch. Während Festreden von Vielfalt sprechen, kämpfen Schulen und Initiativen um jede einzelne Stunde Sorbischunterricht, um jede zusätzliche Stelle, um jede Verlängerung eines Projekts. Zwischen großen Worten und gelebter Praxis klafft eine schmerzhafte Lücke, die das Vertrauen in staatliche Zusagen untergräbt. Die Sprache wird gefeiert, aber nicht ausreichend getragen.

​Notwendigkeit für einen echten Neubeginn

Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zeigt deutlich, dass ein bloßes Weiterwursteln die Lage nur weiter verschlechtert. Ohne klare Zuständigkeiten, verlässliche Finanzierung, starke Ausbildungsschienen und ernst gemeinte Mitbestimmung der sorbischen Gemeinschaft droht der Sorbischunterricht weiter zu verblassen. Ein echter Neubeginn müsste die Sprache als gleichberechtigten Teil des Bildungssystems begreifen, nicht als dekoratives Anhängsel. Erst wenn dieser Schritt getan wird, kann die langsame Erosion gestoppt und in einen Aufbau verwandelt werden, der Kindern in der Lausitz eine Zukunft in ihrer eigenen Sprache gibt.