Cursus Publicus – Kann man das Römische Imperium als einen ‘Staat’ im heutigen Sinne betrachten?

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Das Römische Imperium wird aus heutiger Perspektive oft als „Staat“ verstanden. Allgemein bezeichnet man damit einen territorial definierten Anstaltsbetrieb, der erfolgreich das Monopol auf legitimen physischen Zwang für sich in Anspruch nimmt. Ein Staat setzt demnach institutionalisierte Herrschaft und ein Gewaltmonopol voraus. Beides erreichte erst im Absolutismus der frühen Neuzeit seine vollendete Form. In Rom entwickelte sich die Institutionalisierung von Herrschaft bis zur Spätantike kontinuierlich weiter, ohne jedoch jemals das Niveau der Moderne zu erreichen. Ein staatliches Gewaltmonopol existierte auch im 4. und 5. Jahrhundert n. Chr. nicht wirklich. Zudem war das Imperium weniger ein Territorialstaat als vielmehr ein Netzwerk, das durch persönliche Loyalitätsbindungen zusammengehalten wurde.

Das bedeutet nicht, dass es völlig unangebracht wäre, vom Römischen Imperium als einem „Staat“ zu sprechen, jedoch war die Staatlichkeit in der Antike nach unseren modernen Maßstäben defizitär. Es gab keine Polizei; in der Stadt Rom zur Zeit der Kaiser existierten jedoch die cohortes urbani, eine Wachtruppe, die dem Stadtpräfekten unterstand und auch polizeiliche Aufgaben übernahm. Ihnen zur Seite standen die vigiles, die Feuerwehr. Eine Staatsanwaltschaft, einen Gerichtsvollzieher, keine Strafprozessordnung und keine wirklichen Gefängnisse gab es nicht; allerdings existierte eine mit großer Sorgfalt ständig weiterentwickelte Rechtsordnung, innerhalb derer alle Magistrate, einschließlich des Kaisers, agierten. Es gab keine staatliche Daseinsvorsorge, kein öffentliches Gesundheitswesen und keine öffentlichen Schulen.

Was es gab, waren die „Wohltaten“, die wohlhabende Bürger, insbesondere der Kaiser, in Form von Lebensmittelspenden oder Gutscheinen regelmäßig an die Bevölkerung verteilten. Auch die staatliche Bürokratie war unzureichend. Eine „Regierung“ im engeren Sinne war nicht vorhanden. In der Republik führten jährlich wechselnde Magistrate mit eher unspezifischen Aufgaben die Geschäfte, eine Verwaltung stand ihnen nur in Form weniger Gehilfen zur Verfügung, deren Finanzierung sie aus eigenen Mitteln sicherstellen mussten. Die Kaiser nutzten anfangs ihre Sklaven und Freigelassenen sowie später professionelle Juristen, um Aufgaben zu delegieren. Die Statthalter in den Provinzen verfügten lediglich über minimalistische Stäbe, die sie aus den örtlichen Garnisonen rekrutierten.

Es gab keine Botschaften und keinen ständigen diplomatischen Dienst. Für diplomatische Angelegenheiten wurden kurzfristig Gesandte beauftragt, die nicht einmal römische Bürger sein mussten. Inmitten dieser rudimentären Staatlichkeit existierte eine Institution, die bereits früh, ab dem 2. Jahrhundert v. Chr., einen hohen Grad an Professionalität entwickelte und Fachkräfte für unterschiedlichste Funktionen ausbildete: das Militär. Die römische Armee verfügte über Hospitäler, Landvermesser, Schweinezuchtbetriebe, Bautrupps, Ingenieure sowie Fabriken für ihre Waffen und hatte auch Fähigkeiten zur Informationsbeschaffung. Den Legionen waren Späher und schnelle Aufklärungstruppen zugeordnet sowie Einheiten, die Geheimdienstarbeit im engeren Sinne leisteten. Ohne Möglichkeiten zur Nachrichtenübermittlung wäre jede nachrichtendienstliche Tätigkeit vergeblich gewesen.

Kommunikation über große Entfernungen stellte in allen vormodernen Gesellschaften ein erhebliches Problem dar. Insbesondere in großen Imperien wie dem Perserreich und dem Römischen Reich konnten wichtige Botschaften von Grenze zu Grenze Tage oder sogar Wochen benötigen, besonders wenn der Seeweg nicht in Betracht gezogen wurde. Bereits das Perserreich hatte aus diesem Grund eine ausgeklügelte Infrastruktur unterhalten: ein Straßennetz und eine Reichspost mit Stationen für regelmäßigen Pferdewechsel. Straßen hatten die Römer bereits ab dem 4. Jahrhundert v. Chr., vor allem zu militärischen Zwecken, gebaut.

Zur Zeit des Kaisers Augustus kam ein Beförderungssystem hinzu, der Cursus Publicus, für den die Provinzbewohner verpflichtet wurden, Reit- und Zugtiere sowie Fahrzeuge bereitzustellen. Den Cursus Publicus ergänzte ein Netz von Relaisstationen, mutationes genannt, an denen Reisende die Pferde wechseln konnten sowie Unterkünfte bieten konnten; teilweise war dazu auch die Einquartierung bei Privatpersonen nötig, zunehmend entstanden jedoch auch offizielle Herbergen an den Hauptstraßen, sogenannte mansiones. Über den Nutzerkreis des Cursus Publicus entschied der Kaiser selbst und stellte Berechtigungsscheine für Personen-, Güter- und Postbeförderung aus. Zugang hatten hauptsächlich Verwaltungspersonal und Soldaten, aber auch Zivilisten konnten teilnehmen, sofern Kapazitäten verfügbar waren – und sie über entsprechende Beziehungen verfügten.

Das Imperium stellte einen Mobilitätsraum mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten dar. Wie schnell man vorankam hing von der Saison ab sowie vom Status und der Funktion der Reisenden. Für die 1425 Straßenkilometer von Rom nach Burdigala (Bordeaux) benötigte ein Ochsengespann 121 Tage – also vier volle Monate. Doch niemand hätte Waren ausschließlich auf dem Landweg transportiert, man hätte den Weg von Ostia bis Narbo (Narbonne) auf dem Seeweg zurückgelegt und dabei auf einem langsamen Schiff nur 24,2 Tage gebraucht. Deutlich schneller wäre ein Reiter gewesen, der für die Seepassage ein schnelles Schiff zur Verfügung gehabt hätte – dieser hätte nur 12,2 Tage benötigt. Nur etwa die Hälfte der Zeit – nämlich 6,3 Tage – hätte ein Bote benötigt, wenn ihm der Cursus Publicus mit seinen Relaisstationen für Pferdewechsel zur Verfügung gestanden hätte.

Der Cursus Publicus machte zwar den Faktor Entfernung nicht vollständig irrelevant, er reduzierte jedoch das vom Atlantik bis tief nach Vorderasien sowie vom Firth of Forth bis zu den Katarakten des Nil reichende Imperium auf ein gewisses beherrschbares Maß. Die Beförderungszeiten von Rom in die großen Städte des Imperiums betrugen per „Cursus Publicus“ jeweils im Sommer für Privatreisende mit schnellem Pferd nur relativ kurze Zeiträume: beispielsweise Aquileia 2,8 Tage, Karthago 4 Tage, Serdica (Sofia) 5,2 Tage, Athen 5,8 Tage, Konstantinopel 7,2 Tage, Emerita Augusta (Mérida) 9,8 Tage, Eburacum (York) 10,6 Tage sowie Alexandreia 11,4 Tage und Antiocheia 12,4 Tage. Der Cursus Publicus beschleunigte somit die Mobilität auf dem bereits hervorragend ausgebauten Verkehrsnetz des Imperiums um mindestens den Faktor 2 – in vielen Fällen sogar deutlich mehr.