Absage an Vorratsdatenspeicherung: EuGH-Generalanwalt legt Schlussanträge zur verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung in Deutschland vor
Manuel Campos Sánchez-Bordona, Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), hat seine Schlussanträge im Rechtsstreit zwischen der SpaceNet AG und der Bundesrepublik Deutschland über das deutsche Gesetz zur verdachtslosen und flächendeckenden Vorratsspeicherung aller Verbindungs-, Standort- und Internetzugangsdaten vorgelegt.
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In seinem Gutachten heißt es, die allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit der elektronischen Kommunikation sei allenfalls ausnahmsweise im Falle einer Bedrohung der nationalen Sicherheit zulässig, keinesfalls generell wie im deutschen Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vorgesehen.
Der EU-Abgeordnete, Bürgerrechtler und Jurist Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei), der gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung Verfassungsbeschwerde erhoben hat, kommentiert:
„Das Gutachten des Generalanwalts bestätigt: Das Vorratsdatengesetz der GroKo ist fundamental grundrechtswidrig. Das pauschale Sammeln von Metadaten aller Menschen macht uns im Grunde genommen nackt im System und verstößt grundlegend gegen EU-Grundrechte. Das wahllose Anhäufen von sensiblen Informationen über soziale Kontakte (auch Geschäftskontakte), Bewegungen und das Privatleben (z.B. Kontakte zu Ärzt:innen, Anwält:innen, Betriebsrät:innen, Psycholog:innen, Beratungsstellen etc.) von Millionen unverdächtigen Bürger:innen ist eine radikale Maßnahme der Massenüberwachung.
Die Vorratsdatenspeicherung ist das erste Überwachungsgesetz, das sich gegen die ganze Bevölkerung richtet. Das ist der Dammbruch. Die Unterscheidung zwischen Inhalts- und Kommunikationsdaten stimmt heute nicht mehr. Wir wissen heute, nach dem aktuellen Stand der Forschung, dass Metadaten Rückschlüsse zulassen, die mindestens so tiefgreifend wie die Inhalte selbst sind.
Die klare Ansage des Generalanwalts ist ein Aufruf an die Spitzen von SPD, Grünen und FDP, die Vorratsdatenspeicherung endgültig zu begraben!
Selbst wenn eine IP-Vorratsdatenspeicherung rechtlich machbar wäre, dürfen nicht alle Internetnutzer unter Generalverdacht gestellt und die Anonymität im Netz abgeschafft werden. Eine generelle und undifferenzierte Vorratsspeicherung unserer Identität im Internet ermöglicht die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile praktisch jeden Bürgers, in noch höherem Maße als Telefon-Verbindungsdaten. Es ist im Übrigen nicht nachzuweisen, dass eine Internet-Vorratsdatenspeicherung überhaupt einen statistisch signifikanten Beitrag zu der Zahl der aufgeklärten Straftaten leiste, nachdem die sechsmonatige IP-Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2009 die Aufklärungsquote nicht gesteigert hat.“
Hintergrund
Am 13. September fand die EuGH-Anhörung im Fall des Internetproviders SpaceNet statt, um die Frage zu klären, ob die anlasslose und flächendeckende Speicherpflicht von Verkehrs- und Standortdaten in Deutschland mit dem Unionsrecht – unter anderem der EU-Grundrechte-Charta – vereinbar ist. Die Münchener SpaceNet AG klagt bereits seit April 2016 gegen das umstrittene Überwachungsinstrument. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) Köln war die SpaceNet AG zuletzt erfolgreich: Es entschied am 20. April 2018, dass die anlasslose Vorratsdatenspeicherung gegen EU-Recht verstoße. Das Bundesverwaltungsgericht war anderer Meinung. Nun soll der Europäische Gerichtshof entscheiden.
Im Juli 2020 wurde ein geleaktes Diskussionspapier bekannt, demzufolge die Europäische Kommission an Szenarien zur europaweiten Wiedereinführung einer verdachtslosen und flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung von Verbindungs-, Bewegungs- und Internetverbindungsdaten arbeitet.[2] Erstmals könnten auch Messenger- und Videokonferenzdienste Nutzer identifizieren und ihre Kontakte auf Vorrat speichern müssen.
Im November 2016 hatten Digitalcourage, der AK Vorrat und 23 betroffene prominente Verbände, Künstler:innen, Journalist:innen, Anwält:innen und Ärzt:innen Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung eingereicht. Patrick Breyer zählt zu den Beschwerdeführern. Das Urteil aus Karlsruhe steht noch aus.