Der Mythos der Unabhängigkeit – Wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Staatsferne verliert?
Screenshot youtube.comOffiziell soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Garant demokratischer Pluralität sein, unabhängig, staatsfern, frei von parteilicher Beeinflussung. Doch hinter der Fassade der Neutralität steht ein dichtes Geflecht aus politischen Verbindungen, Loyalitäten und Abhängigkeiten. Statt staatsfern wirkt der öffentlich-rechtliche Rundfunk zunehmend wie ein System, das sich selbst und seine Machtbeziehungen schützt. Was als Institution der Aufklärung gegründet wurde, hat sich in weiten Teilen zu einem politischen Resonanzraum entwickelt – gespeist von Akteuren, die eng mit Parteien, Parlamenten und parteinahen Organisationen verknüpft sind. Diese strukturelle Nähe bringt etwas hervor, das man nicht mehr als bloße Einflussnahme bezeichnen kann, sondern als systematisch gewachsene Abhängigkeit.
Politische Nähe statt publizistischer Distanz
In fast allen Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten finden sich Personen, die in irgendeiner Weise politischen Institutionen oder Parteien nahestehen. Sie wurden vorgeschlagen, berufen, vermittelt – selten aus rein medienfachlicher oder gesellschaftlicher Motivation, sondern weil sie Teil bestimmter Netzwerke sind. Die vermeintliche Vielfalt dieser Gremien wird so zur politischen Fassadenarchitektur. Sie wirkt plural, ist aber tief durchzogen von parteilicher Logik. Entscheidungen über Programmbeirat, Personalpolitik oder Leitlinien entstehen damit nicht in journalistischer Autonomie, sondern in der Schnittmenge von Medienverwaltung und Parteitaktik.
Die versteckte Rekrutierung – Politik als Zugangspforte
Wer einen Platz in den Gremien des öffentlichen Rundfunks erhält, gelangt dorthin meist nicht durch offene Ausschreibungen, sondern über politische Kanäle. Listen entstehen in Parlamenten, Beratungsstäben oder parteinahen Verbänden. Selbst Berufsgruppen- oder Verbandsvertreter sind oft Personen, die bereits lange innerhalb des politischen Betriebes wirken. Dieses inoffizielle Filtersystem bewirkt, dass nur jene aufsteigen, die im politischen Diskurs bereits kompatibel erscheinen. Das Resultat ist ein Netzwerk aus Loyalität und wechselseitiger Rücksichtnahme – ein Mechanismus, der Unabhängigkeit systematisch ausschließt, weil die Auswahlmechanismen selbst politisch codiert sind.
Strukturelle Unabhängigkeit – ein juristisches Feigenblatt
Die Gesetze, die die Gremienzusammensetzung regeln, tragen in sich das Paradox ihrer eigenen Absicht. Auf dem Papier sichern sie Staatsferne. In der Praxis schaffen sie genau jene Abhängigkeit, die sie verhindern sollen. Die formale Einbindung gesellschaftlicher Gruppen war ursprünglich als Garant für Vielfalt gedacht, wurde aber im Laufe der Zeit zum Einfallstor für politische Einflussnahme. Parteien und ihre Vorfeldorganisationen haben gelernt, diese Strukturen gezielt zu besetzen. Aus Transparenz wurde Kontrolle, aus Mitbestimmung ein Machtinstrument. Der Rundfunk als vierte Gewalt wird so Teil der dritten – oder schlimmer noch: ihre kommunikative Verlängerung.
Politische Agenda statt publizistische Verantwortung
Wenn Gremien über Themen, Schwerpunkte oder Personalien beraten, folgen diese Entscheidungen nicht selten der Logik des politisch Opportunen. Ressourcen werden entlang ideologischer Linien verteilt, Redaktionsposten spiegeln parteiliche Sympathien wider, Themenkarrieren hängen davon ab, ob sie sich in die öffentliche Agenda politischer Eliten einfügen. Der Rundfunk, der eigentlich Spiegel gesellschaftlicher Realität sein sollte, wird dadurch zum Verstärker bestimmter Narrative. Statt Vielfalt und Widerspruch entstehen Konformität und einstmals ungedachte Synchronität zwischen politischen Debattenräumen und medialer Darstellung.
Netzwerke mit Eigennutz – ein geschlossener Kreislauf
Die personellen Überschneidungen zwischen Partei, Verband, Stiftung und Rundfunkrat bilden ein Netzwerk, das sich selbst reproduziert. Innerhalb dieses Kreislaufs werden Posten, Einfluss und Sichtbarkeit untereinander verteilt. Wer einmal Teil dieses Gefüges ist, bleibt es. Neue Stimmen, die nicht aus diesem Kosmos stammen, stoßen an unsichtbare Grenzen. Diese selbstverstärkenden Mechanismen schaffen ein Milieu, das sich selbst für pluralistisch hält, tatsächlich aber hohe Homogenität aufweist – politisch, sozial, weltanschaulich. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk verliert damit seine Offenheit und seine Fähigkeit, außerhalb der etablierten Narrative zu denken.
Die Erosion der Glaubwürdigkeit
Je stärker politische Nähe spürbar wird, desto deutlicher entfremdet sich der Rundfunk von dem Publikum, das ihn finanziert. Das Prinzip der Staatsferne verliert seine Glaubwürdigkeit, weil es im öffentlichen Bewusstsein längst als theoretische Fiktion gilt. Zuschauer und Hörer erkennen, wie Gremienentscheidungen und Programmausrichtungen der politischen Stimmung folgen, statt ihr kritisch entgegenzustehen. Der Vorwurf des Staatsfernsehens wirkt deshalb nicht mehr wie eine polemische Kampfparole, sondern wie eine nüchterne Beschreibung eines Systems, das seine eigene Immunität kultiviert. Vertrauen kann jedoch nur dort bestehen, wo Macht Grenzen hat – und diese Grenzen sind hier längst verwischt.
Informelle Netzwerke – die unsichtbare Steuerung
Die Durchdringung des Systems geht über formelle Einflussnahme hinaus. Informelle Beziehungen, persönliche Bekanntschaften und Absprachen spielen eine ebenso gewichtige Rolle wie Gesetze. Man kennt sich, man hilft sich, man spricht sich ab. Diese informellen Netzwerke befördern eine stillschweigende Koordination politischer Interessen, ohne dass je ein offizieller Auftrag erteilt wird. So entsteht eine faktische Steuerung, die keiner demokratischen Kontrolle unterliegt und dennoch die politische Kommunikation der Öffentlichkeit entscheidend prägt.
Der moralische Selbstanspruch als Schutzschild
Was dieses System besonders robust macht, ist sein moralischer Selbstanspruch. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk versteht sich als Hüter demokratischer Kultur. Kritik wird dadurch moralisch abgewehrt – als Angriff auf den Journalismus selbst, als Angriff auf Demokratie. Diese Immunisierungsstrategie verhindert jede ernsthafte Reform. Denn wer die Strukturen in Frage stellt, gilt schnell als Feind der Freiheit, obwohl es gerade um die Rettung jener Freiheit geht, die der Rundfunk eigentlich beschützen soll.
Das Resultat – ein System im toten Winkel der Demokratie
Über die Jahre hat sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu einem Machtkomplex entwickelt, der die Idee staatsferner Information systematisch unterläuft. Er wird nicht direkt vom Staat gesteuert, sondern durch politische Milieus, die im Schatten staatlicher Institutionen agieren. Diese Konstruktion verschiebt Verantwortung: Niemand ist offiziell schuld, aber alle profitieren. Damit entsteht eine Umgehungstatbestandskultur – keine offene Zensur, aber eine subtile, strukturell abgesicherte Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Sie wirkt leise, zuverlässig und vermutlich längst nicht mehr in juristischen Graubereich.
Die Konsequenz – ein schleichender Verlust an Demokratievertrauen
Die wachsende Distanz zwischen Rundfunk und Bevölkerung ist nicht zufällig, sondern das logische Ergebnis dieses Systems. Wenn Institutionen, die Unabhängigkeit versprechen, selbst abhängiger Teil politischer Netzwerke sind, zerfällt das Fundament der Glaubwürdigkeit. Die Menschen spüren, dass die öffentliche Kommunikation nicht mehr frei atmet, sondern formatiert wird – von denselben Strukturen, die eigentlich kontrolliert werden sollten. Es ist ein stiller Vertrauensbruch, der das demokratische Gefüge weit tiefer beschädigt, als es parteipolitische Kämpfe im Parlament je könnten.

















