“Zeichensetzung sozialer Unterschiede” – Verloren zwischen Fleischsteuer & Mülltonnentauern
Containern & Fleischsteuer – “Die Geschichte des Fleisches ist wegen der größeren Anschaulichkeit besser als die des Brotes für die Zeichensetzung sozialer Unterschiede geeignet.” – Der letzte Satz ist nicht auf die Gegenwart, sondern auf eine Analyse der mittelalterlichen Essgewohnheiten bezogen. Mit der künstlichen Verteuerung von Lebensmitteln wird also erneut ein (ur)altes Gesellschaftsbild in die Gegenwart katapultiert.
Mittelalter: “Fleischnahrung als Ausdruck sozialer Distinktion” – “Fleischgenuß als Zeichen sozialen Aufstiegs”
>>Essen und Trinken im Mittelalter von Ernst Schubert (Buch) <<
“Fleischnahrung als Ausdruck sozialer Distinktion – Fleischgenuß als Zeichen sozialen Aufstiegs in zwei unterschiedlichen Kommentaren der Zeit um 1300 – Die Fleischarmut im Spiegel von Tagelöhnerordnungen – Versorgung im Spital: Fleischgerichte und der Unterschied zwischen Herren- und Unterpfründen … Viel Wert wurde im Mittelalter darauf gelegt, soziale Unterschiede in der Kleidung zur Geltung zu bringen. … Die Geschichte des Fleisches ist wegen der größeren Anschaulichkeit besser als die des Brotes für die Zeichensetzung sozialer Unterschiede geeignet. Deshalb wird schon Ende des 13.Jahrhunderts der sogenannte „Seifrid Helbling“ ein österreichisches Landesgesetz Herzog LeopoldsV. erfinden, das dem Bauern nur Selchfleisch erlaubt, ansonsten aber den Fleischgenuß untersagt haben soll. … Die Unterschiede der Speisezettel zwischen Herren- und Unterpfründen zeigen sich vor allem darin, daß es bei ersteren dreimal in der Woche Fleisch gibt, bei den Armenpfründen ein- bis höchstens zweimal, und dann natürlich das wesentlich billigere Kesselfleisch oder Innereien, während bei den Herrenpfründen Gebackenes und Gesottenes, aufwendig mit Butterschmalz zubereitet, auf den Tisch kommt.”
Mittelalter: “Unterschiede der Speisezettel zwischen Herren- und Unterpfründen”
Mitteilalter: Die soziale Unterschiede zeichnen sich also nicht nur in der recht unfreien Wahl der Kleidung, sondern auch bei der Ernährung ab. Diese Gesellschaftsform hat lange Zeit als überwunden gegolten, aber nun taucht sie in andere Form erneut wieder auf.
“Forscher fordern Fleischsteuer: Wird der Sonntagsbraten zum Luxus?”
“Forscher fordern Fleischsteuer: Wird der Sonntagsbraten zum Luxus? – Hinzu kommen Folgekosten für das Gesundheitssystem. Sie entstehen etwa durch übermäßigen Fleischkonsum. Aber auch schon ein mäßiger Konsum erhöht nach Forschungsergebnissen der WHO das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes.”
“Folgekosten für das Gesundheitssystem” – “Sie entstehen etwa durch übermäßigen Fleischkonsum”
Eine Fleischsteuer mit der Gesundheit begründen? – Diese Gedanken muten recht abenteuerlich an. Zumal Lebensmittel ohnehin schon zigmal besteuert werden: Aussaat, Ernte, Transport, Herstellung, Verarbeitung, Gehälter und noch viel mehr: Bei jeden Schritt fallen immer wieder erneut Steuern, Gebühren und Abgaben an. Schlussendlich ist noch nicht mal das Endprodukt selbst im Laden steuerfrei.
Steuern auf Lebensmittel: Wie hoch fällt der staatliche Anteil am Lebensmittelpreis aus?
Am Ende bleibt die Frage übrig: Wie hoch fällt der staatliche Anteil am Lebensmittelpreis aus? – Wirklich seriöse Zahlen sind hierzu kaum auffindbar. Doch indirekte Folgen sind sehr wohl auszumachen: Die Mangelernährung ist sehr wohl sichtbar, womit jedes gesundheitliche Argument für eine zusätzliche Fleischsteuer recht absurd anmutet.
Mangelernährung und die gesundheitlichen Folgen
Mangelernährung – Viele Menschen sind krank, weil sie sich keine ausgewogene Ernährung finanziell leisten können. Zugleich die Lebenswirklichkeit viele Menschen einfach ausgeblendet wird.
“Weil sie kaum Geld hat” – “Wie sie zum Containern kam”
>>Schamland – Die Armut mitten unter uns von Stefan Selke (Buch) <<
“Sie öffnet mir verdutzt die Tür, da sie unseren Termin völlig vergessen hat, reagiert aber gelassen und macht uns erst mal einen doppelten Espresso. Dann berichtet sie, wie sie zum Containern kam. In Berlin möchte sie ein Aufbaustudium machen. Weil sie kaum Geld hat, praktiziert sie Couch-Surfing – im Moment lebt sie fast umsonst in einer Wohngemeinschaft.”
“Weil sie kaum Geld hat, praktiziert sie Couch-Surfing”
Ein Leben zwischen Couch-Surfing und Containern: Die berühmte soziale Hängematte hat in vielen Fällen nicht nur große Löcher, sondern deren letzte Fetzen sind teilweise einfach im Laufe der Zeit fortgeflogen. Studenten können meist nicht mal Hartz IV geltend machen. Längst hat die Lebensform des “Containerns” breite gesellschaftliche Schichten erfasst.
“Draußen ist es dunkel, und die zwei Kühlschränke müssen noch gefüllt werden”
>>Apokalypse jetzt! von Greta Taubert (Buch) <<
“Draußen ist es dunkel, und die zwei Kühlschränke müssen noch gefüllt werden. Sie wollen containern gehen, also in den Müllcontainern hinter Supermärkten nach essbaren Lebensmitteln stöbern. »Man findet dort wirklich alles, was man zum Leben braucht«, sagt Fabian. Selbst das Geschirr, den Mixer, die Thermoskannen und die Hygieneartikel im Bad haben sie dort herausgezogen. »Es ist eine nie versiegende Quelle. Alles, was du im Laden kaufen kannst, kannst du auch dahinter in der Tonne finden.«
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“Es ist eine nie versiegende Quelle. Alles, was du im Laden kaufen kannst, kannst du auch dahinter in der Tonne finden”
Nur muss die Kehrseite der Medaille betrachtet werden: Wenn genügend Menschen diesen Beispiel folgen, dann wird es irgendwann keinen Supermarkt und auch die dahinter stehende Tonne nicht mehr geben. Außerdem wird der strafrechtliche Aspekt gerne übersehen.
“Rentner nimmt Kaffee aus Supermarkt-Müll mit und wird dafür verurteilt”
“Rentner nimmt Kaffee aus Supermarkt-Müll mit und wird dafür verurteilt – Ein 76-Jähriger in Köln dachte sich nichts dabei, als er 35 Packungen Kaffee aus der Mülltonne eines Supermarkts mitnahm. Nun musste er sich deshalb vor Gericht verantworten – und wurde auch verurteilt.”
Unfreiwilliger Berufswunsch im Alter: “Mülltonnentaucher” – Verurteilt wegen verdorbener Lebensmittel
Rentner, Studenten, Arbeitslose und Geringverdiener finden sich am Ende des Tages in der selben sozialen Schicht zusammen und das Mülltonnentauchen hat sich längst zum Massenphänomen entwickelt. Natürlich kann mal lang und breit über das Containerns streiten. Aber im weiten Teilen hat der Staat durch geringe Sozialleistungen und hohe Steuern diese Realität selbst erschaffen. Letztendlich wird – wie im Mittelalter – viel “für die Zeichensetzung sozialer Unterschiede” getan, obwohl – laut Gesetz – das soziale Existenzminimum steuerfrei gestellt ist.