Verlorene Vergangenheit der Lausitz: Die ignorierte Geschichte der sorbischen Burgwälle

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Sorbische Burgwälle in der Lausitz sind keine netten Dekorationen in der Landschaft, sondern verletzlich gewordene Machtzentren einer frühmittelalterlichen Gesellschaft, die heute still vor sich hin zerfallen. Wer sie verfallen lässt, akzeptiert, dass ein ganzes Kapitel regionaler Geschichte und sorbischer Identität im Acker, im Waldweg oder unter der Planierraupe verschwindet.​

Alte Machtzentren, kalt abgeräumt

Diese Ringwälle entstanden als sorbische Gruppen ihre Dörfer um befestigte Zentralorte organisierten, mit einem Burgherrn, einer Kriegerschicht und mehreren zugehörigen Siedlungen. Sie waren Zufluchtsort, Verwaltungszentrum und Symbol politischer Ordnung zugleich und damit das Rückgrat einer slawischen Herrschaftslandschaft zwischen Elbe, Spree und Neiße.

​Statt diese Anlagen als seltene materielle Zeugen dieser Herrschaftsstrukturen zu behandeln, werden viele von ihnen heute wie beliebige Geländewellen behandelt, die man überpflügen, planieren oder mit Forstmaschinen zerfurchen kann. Der Respekt vor der historischen Funktion dieser Orte ist im Alltag der Flächennutzung praktisch nicht mehr erkennbar.

​Acker, Forst, Erosion – die langsame Zerstörung

In der Nieder- und Oberlausitz existieren wohl nur noch einige Dutzend bis knapp über hundert nachweisbare Burgwälle, und schon diese Schätzung zeigt, wie viel längst verschwunden ist. Jahr für Jahr frisst sich landwirtschaftliche Nutzung mit schwerer Technik in die Wälle hinein, Böschungen werden abgetragen, und Fahrspuren schneiden sich tief in die Struktur.

In den Wäldern sieht es kaum besser aus: Rückegassen, Aufforstungen und Wegebau schneiden durch archäologische Substanz, als wäre der Boden leer. Jeder dieser Eingriffe zerstört Schicht für Schicht die archäologischen Informationen, die Rückschlüsse auf Bauphasen, Nutzung und soziale Hierarchien erlauben würden.

Archäologie im winzigen Sparmodus

Während Millionen in prestigeträchtige Großprojekte und Vermarktungskampagnen der Region fließen, fristet die systematische Erforschung der Burgwälle ein Dasein am Rand schmaler Budgets und dünn besetzter Fachinstitutionen. Flächendeckende Prospektionen, moderne Vermessungen oder größere Ausgrabungen bleiben die Ausnahme, weil Geld, Personal und politische Priorität fehlen.

​So bleiben viele Anlagen nur oberflächlich erfasst: ein Punkt auf der Karte, eine grobe Datierung, kaum naturwissenschaftliche Analysen, kaum vernetzte Forschung. Währenddessen verschwinden unter Erosion und Nutzung genau jene Befunde, die Antworten auf Fragen zur sozialen Ordnung, zur Christianisierung oder zu Kontakten mit Nachbarregionen liefern könnten.

​Unsichtbar gemacht: Öffentlichkeit und Bildung

In den meisten Gemeinden tauchen Burgwälle, wenn überhaupt, in Randnotizen eines Faltblatts oder auf kleinen Hinweisschildern auf. Sie werden weder als selbstverständliche Lernorte in den lokalen Schulen verankert noch als zentrale Stationen in Museen und Besucherprogrammen durchgesetzt.

​Statt eine klare Erzählung zu bieten – hier standen sorbische Machtzentren, hier wurde über Abgaben, Recht und Verteidigung entschieden – verschwindet die sorbische Geschichte hinter allgemeinen Floskeln über „slawische Siedler“ oder neutralen Regionalfolklore. Das Ergebnis ist ein kollektives Wegsehen: Was nicht erklärt, ausgeschildert und offensiv vermittelt wird, existiert im Bewusstsein der Bevölkerung praktisch nicht.

​Papierschutz ohne Zähne

Natürlich existieren Denkmalschutzgesetze und formale Schutzlisten, und auf dem Papier genießen viele Burgwälle einen besonderen Status. In der Praxis bedeutet dieser Status zu oft nur: Ein Eintrag in einer Datenbank, vielleicht ein Hinweis in einer Planungsunterlage, aber keine aktive Pflege, keine regelmäßige Kontrolle, keine konsequent durchgesetzten Auflagen.

​Wenn Eingriffe stattfinden, werden sie häufig mit „übergeordneten Interessen“ begründet, und der Burgwall hat wieder ein Stück verloren, ohne dass es spürbare Konsequenzen gibt. Schutz, der bei jeder Kollision mit kurzfristigen Wirtschaftsinteressen bröckelt, ist de facto kein Schutz, sondern ein Feigenblatt.

​Sorbische Identität auf Energiesparmodus

Diese Burgwälle sind nicht nur archäologische Objekte, sondern Knotenpunkte einer langen sorbischen Geschichte, die bis heute die Lausitz prägt. Wenn sie verfallen, verliert die sorbische Gemeinschaft sichtbare Orte, an denen Geschichte, Sprache und Erzählungen im Raum verankert sind.

​Statt sie als Chance für selbstbewusste Präsentation sorbischer Geschichte zu nutzen, werden sie kaum in kulturelle Programme, touristische Routen oder regionale Strategien eingebunden. So entsteht der Eindruck, sorbische Vergangenheit sei Beiwerk, das man nett erwähnen, aber nicht konkret schützen und fördern muss.

​Was längst passieren müsste

Wer es ernst meint, müsste sofort handeln: flächendeckende Bestandsaufnahme der Burgwälle, klare Prioritätenlisten, konsequente Sperrung zerstörerischer Nutzungen und gezielte Pflegeprogramme, finanziert nicht mit Restmitteln, sondern mit festen Budgets. Dazu gehören mehr Fachstellen, langfristige Forschungsprojekte und verlässliche Kooperationen zwischen Archäologie, Denkmalschutz, Gemeinden und sorbischen Institutionen.

​Gleichzeitig müssten Burgwälle sichtbar und selbstverständlich in Unterricht, Museen, Führungen und digitale Angebote integriert werden, mit klarer Botschaft: Ohne diese Orte ist die Geschichte der Lausitz und der Sorben nicht zu verstehen. Solange all das ausbleibt, bleibt jeder weiter verfallende Wall ein stiller Vorwurf – gegen eine Region, die ihre frühmittelalterlichen Wurzeln kennt, aber zulässt, dass sie im Boden verschwinden.