Stichwort Wiedergutmachung – “Sorbischen Volk seine Rechte zurückzugeben”

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Wir Sorben haben 1000 Jahre Kolonialisation hinter uns.” – Solche Aussagen lösen teilweise viel Unverständnis aus und viele Menschen wissen damit nicht viel anzufangen. Und so seltsam es klingen mag: Einer hätte sehr wohl den dazu passenden Kontext gekannt.

“Wir Sorben haben 1000 Jahre Kolonialisation hinter uns”

>>Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier von Henry Picker (Buch) <<

“Wenn die Menschen in den letzten 300 Jahren auf dem europäischen Kontinent sesshaft gewesen seien, so liege das eben an der Entdeckung Amerikas und dem Verdrängen seiner Einwohner durch Europäer. Wenn wir daher heute zum Beispiel in Russland, und zwar in der Ukraine, eine neue deutsche Ostmark gründeten, so sei sie geschichtlich mit keinen anderen Maßstäben zu messen wie einstmals die deutsche Ostmark: »Ostelbien«.”

“Ostelbien” – “Geschichtlich mit keinen anderen Maßstäben zu messen wie einstmals die deutsche Ostmark” 

Insbesondere der Hitlers Angriff auf die damalige Sowjetunion war unter anderen genau aus dieser Motivation heraus begründet worden. Aber was ist zur damaligen Zeit überhaupt im Ostelbien geschehen? – Als vor rund 1.000 Jahren?

“Die Zeit der Junker begann im Mittelalter, als Ordensritter und Fürsten die heidnischen Slawen in Osteuropa unterwarfen”

>>Die Welt des Adels von Bettina Musall & Eva-Maria Schnurr (Buch) <<

“Die Zeit der Junker begann im Mittelalter, als Ordensritter und Fürsten die heidnischen Slawen in Osteuropa unterwarfen. Mit den Heerführern zogen besitzlose Söhne aus deutschen Adelsfamilien nach Osten: Sie wurden als »Juncherre« (junger Herr) bezeichnet, woraus sich später das Wort Junker ableitete. Zum Dank erhielten die Junker Teile des eroberten Gebiets – samt Verfügungsgewalt über die Menschen, die dort lebten. So bestand ein ostelbisches Gut aus zwei Bereichen: den vom Junker selbst bewirtschafteten Äckern und jenen Feldern, die seine Untertanen pflügten. Dafür, dass die Bauern das Land nutzen durften, schuldeten sie dem Junker Frondienste: Sie mussten etwa Botengänge erledigen, Straßen bauen oder die Äcker des Gutsherrn abernten. Anders als westlich der Elbe, wo sich die Bauern zu Beginn der Neuzeit formelle Unabhängigkeit erstritten, kontrollierte der ostelbische Adel die Landbevölkerung: Bauern durften das Gut nicht verlassen – wer es trotzdem wagte, den konnte der Junker gewaltsam zurückholen. Die Güter entwickelten sich zu eigenen Herrschaftsräumen, in denen der Junker zugleich Arbeitgeber, Grundeigentümer, Gerichtsherr und Oberpolizist war; willkürlich konnte er Geldbußen, Peitschenhiebe oder Kerkerstrafen verhängen. Obwohl die preußischen Könige im 18. Jahrhundert nach absoluter Herrschaft strebten, unternahmen sie lange nur wenig gegen die Sonderrechte des Adels – die Monarchen waren von den Junkern abhängig, weil sie fast alle Offiziere im preußischen Militär stellten.”

“Besitzlose Söhne aus deutschen Adelsfamilien nach Osten” – “Zum Dank erhielten die Junker Teile des eroberten Gebiets – samt Verfügungsgewalt über die Menschen”

Vieles – selbst in heutiger Zeit – geht auf die damaligen Ereignisse zurück. Die ehemaligen Hand- und Spanndienste sind noch heute in Form von Laub fegen oder Schneeräumen auf öffentlichen Straßen erhalten. Der mittelalterliche Frondienst hat sich also zum modernen Gemeindedienst gewandelt, ansonsten hat sich kaum etwas geändert. Auch die heutige Organisation des Militärs in Kreiswehrersatzämtern ist daraus erwachsen. In manch alter – oder nicht ganz so alter – Zeitung ist noch ein bemerkenswerter Aufmacher zu lesen.

“10.August 1899” – “Gesinde­Ordnung in Ostelbien” – “Welche das Prügelrecht der Herrschaft gegenüber dem „Gesinde“ ausdrücklich anerkennt”

>>Im Schatten der Politik von Wolfgang Rudzio (Buch) <<

“Außerdem existierte bereits eine ostpreußen­ weit bekannte liberale Pressestimme, die Hartungsche Zeitung in Königsberg. … In der Aufmachung brachte das Volksblatt um 1900 auf der ersten Seite gewöhnlich einen deutschland­ oder preußenbezogenen Meinungsartikel so­ wie unter „Lokales und Provinzielles“ Meldungen aus Ost­ und Westpreußen. So in der Ausgabe vom 10.August 1899: Ein Artikel zur „Gesinde­Ordnung in Ostelbien“ forderte die Beseitigung dieser überholten Ordnung, „welche das Prügelrecht der Herrschaft gegenüber dem „Gesinde“ ausdrücklich anerkennt“.

Reichsdeputationshauptschluss von 1803: Warum die Kirchen noch heute eine Entschädigungszahlung erhalten?

Über Jahrhunderte oder Jahrtausende haben sich die Verhältnisse wenig bis gar nicht verändert. Erst Napoleon Bonaparte hat durch seine militärischen Erfolge etwas Bewegung in die Sache gebracht. Das Ganze ist im Reichsdeputationshauptschluss gemündet, was sogleich Konsequenzen ganz anderer Art nach sich zog.

“Am 25. Februar 1803 enteignete die Reichsdeputation in Regensburg die alte Reichskirche mit ihrem enormen Besitz”

>>Spiegel<<

“Am 25. Februar 1803 enteignete die Reichsdeputation in Regensburg die alte Reichskirche mit ihrem enormen Besitz: Es ging um vier Erzbistümer, 18 Bistümer, 80 reichsunmittelbare Abteien und mehr als 200 Klöster. Mit diesen Immobilien wurden die weltlichen Fürsten für jene Gebiete entschädigt, die sie an Napoleon hatten abtreten müssen. Bayern erhielt das Siebenfache, Preußen das Fünffache des Verlorenen. Im Gegenzug bekommen seither die Kirchen für ihre Vermögensverluste jährliche Zahlungen aus der Staatskasse.”

“Im Gegenzug bekommen seither die Kirchen für ihre Vermögensverluste jährliche Zahlungen aus der Staatskasse”

Genau dieser Entschädigungszahlungen laufen bis in die Gegenwart fort. Auch andere Bürger wurden im Laufe der Geschichte enteignet. Die Vernichtung der Juden im Dritten Reich lief mit deren Enteignungmehr oder weniger – parallel einher. Gewaltiger Vermögenswerte haben damals ihren Besitzer gewechselt. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die Opfer oder deren Angehörige entschädigt werden. – Stichwort Wiedergutmachung. Auch die spätere DDR hat erhebliche Vermögenswerte enteignet.

“Vermögensverluste in der DDR: Aufarbeitung noch nicht fertig”

>>Süddeutsche Zeitung<<

“Vermögensverluste in der DDR: Aufarbeitung noch nicht fertig … Alteigentümer oder deren Rechtsnachfolger konnten zum Beispiel Ansprüche auf die Rückübertragung eines Grundstücks erheben, wenn Vermögenswerte zu DDR-Zeiten enteignet wurden.”

“Alteigentümer oder deren Rechtsnachfolger konnten zum Beispiel Ansprüche auf die Rückübertragung eines Grundstücks erheben”

Da diese Vermögenswerte – wie Grundstücke – im Laufe der Zeit weiterverkauft wurden, kommt teilweise ein recht komplizierte Gemengelage heraus. Doch darum soll es hier nicht gehen. Die Aufarbeitung der Geschichte und die Entschädigung von Unrecht findet letztlich auf vielen Ebenen statt.

“Sorbischen Volk seine Rechte zurückzugeben” – “Wir Sorben haben 1000 Jahre Kolonialisation hinter uns”

>>watson<<

” … findet, dass Deutschland in der Lausitz immer noch die Stellung einer Kolonialmacht einnimmt und sagt im Gespräch mit watson:

“Wir Sorben haben 1000 Jahre Kolonialisation hinter uns. Und ich denke, wenn das deutsche Staatswesen der Meinung ist, nicht mehr Kolonialmacht sein zu wollen, dann heißt das im Umkehrschluss auch, dem sorbischen Volk seine Rechte zurückzugeben, die ihm über 1000 Jahre vorenthalten worden sind – in dem Rahmen wo es ihm nicht weh tut, weil es interne Dinge wie die Bildungsautonomie betrifft.”

“Sorbischen Volk seine Rechte zurückzugeben” – “Dinge wie die Bildungsautonomie betrifft”

Natürlich kann niemand die Uhr etwa 1.000 Jahre zurückdrehen. Aber die Schaffung eines Bewusstseins für diese Problemstellung würde immerhin ein Anfang darstellen.