“Punktesystem, das vom Staat betrieben wird” – “Anreize zur Verhaltensänderung verwirklichen”

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Volksgesundheit” – Ein Vokabel aus Zeit des NS-Regimes? Diese wird heutzutage nur von Extremisten und Ewiggestrigen genutzt? – Diese Gedanken sind keineswegs abwegig: Immerhin hat es zur NS-Zeit ein Amt für Volksgesundheit gegeben. Mehr noch: Die ganze NS-Rassentheorie wurde mit der vermeintlichen Wichtigkeit der Volksgesundheit begründet. Allerdings ist die Begrifflichkeit “Volksgesundheit” keineswegs zusammen mit dem NS-Reich untergegangen.

“Allgemeinheit soll von den vielfältigen sozialschädlichen Wirkungen des Drogenkonsums freigehalten werden”

>>Verteidigung in Betäubungsmittelsachen von Alexander Eberth, Eckhart Müller & Matthias Schütrumpf (Buch) <<

“Der BGH hat dazu ausgeführt, dass das Schutzgut der betäubungsmittelrechtlichen Strafnormen, anders als bei Tötungs- und Körperverletzungsdelikten, nicht in erster Linie das Leben und die Gesundheit des Einzelnen ist. Vielmehr ist auch das Universalrechtsgut der Volksgesundheit in den Schutzbereich des BtMG einbezogen. Die Allgemeinheit soll von den vielfältigen sozialschädlichen Wirkungen des Drogenkonsums freigehalten werden. Wegen der abstrakten Gefährlichkeit für dieses komplexe und universelle, nicht der Verfügung des Einzelnen unterliegende Rechtsgut sind die mannigfaltigen Formen des unerlaubten Umgangs mit Betäubungsmitteln unter Strafe gestellt.”

Moderne Rechtsprechung: Verloren zwischen “sozialschädlichen Wirkungen” & “Volksgesundheit”

Der Bundesgerichtshof findet sich mit seiner Ansicht in bester Gesellschaft unter seiner Richterschaft wieder: Auch das Bundesverfassungsgericht stellt die ganze Drogenpolitik auf die “Volksgesundheit” ab.

“Volksgesundheit” versus Grundgesetz – Hat das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ausgedient?

>>Bundesverfassungsgericht<<

“Das strafrechtliche Verbot der Abgabe von Cannabis sei geeignet und erforderlich, um die Volksgesundheit und damit die körperliche Unversehrtheit des einzelnen Bürgers zu schützen.”

“Volksgesundheit und damit die körperliche Unversehrtheit des einzelnen Bürgers zu schützen”

Es wird also vom “Volksgesundheit” und “sozialschädlichen Wirkungen” gesprochen. Sogar beim Duden ist eine interessante Definition über die “Volksgesundheit” zu lesen: Dort ist die “körperliche und geistige Gesundheit der gesamten Bevölkerung” in der Gegenwart gemeint. Mit dieser Definition lässt sich beinahe alles begründen. Die eigene Gesundheit und Lebensweise ist nicht mehr jeden selbst überlassen, sondern muss sich einer “übergeordneten Volksgesundheit” unterordnen. Und damit ist nur der Konsum oder Nicht-Konsum von Cannabis gemeint. Schon heutzutage bieten viele gesetzliche Krankenversicherungen eine Vielzahl von Bonusprogrammen an und diese geben mal schon die grobe Richtung in die vermutete Zukunft vor.

Soziales Gesundheitspunktesystem: “Viele Krankenkassen bieten Bonusprogramme an”

>>Krankenkassen.de<<

“Viele Krankenkassen bieten Bonusprogramme an, um die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen zu fördern oder zur Fitness ihrer Versicherten beizutragen. Bei einigen Krankenkasse erhalten die Versicherten Geldprämien dafür, dass sie sich um ihre Gesundheit kümmern. Der Nachweis zur Teilnahme an entsprechenden Maßnahmen erfolgt oft durch ein Bonusheft. Mögliche Bonuskriterien sind:

  • medizinische Präventionsmaßnahmen
  • Nachweis sportlicher Betätigung durch ein Sportabzeichen
  • Mitgliedschaft in einem Sport- oder Fitnessclub
  • Vermeidung von Übergewicht
  • Zahnvorsorge
  • Verzicht auf Nikotinkonsum”

Soziales Gesundheitspunktesystem: Nikotinkonsum – Zahnvorsorge – Übergewicht …

Selbstverständlich ließe sich diese Liste problemlos ausbauen: Denn bei genauer Betrachtung ist der Konsum von Alkohol genauso irgendwie schlecht. Sportarten wie Fallschirmspringen oder Klettern am Berg sind – im Sinne der Volksgesundheit – eigentlich auch gefährlich und völlig überflüssig. Auch Motorradfahren sollte man aus dem selben Gründen ebenfalls lieber lassen. Immerhin muss die “Volksgemeinschaft” für das Risiko von Unfällen und Behandlungskosten bürgen. Schließlich darf das übergeordnete Ziel der Volksgesundheit nicht aus dem Augen verloren werden: Es geht um die “körperliche und geistige Gesundheit der gesamten Bevölkerung” in der Gegenwart. Solch “edlen Ziel” kann natürliche ein Punktesystem für die gesamte Gesellschaft rechtfertigen.

“Punktesystem, das vom Staat betrieben wird” – “Anreize zur Verhaltensänderung verwirklichen”

>>Bundesministerium für Bildung und Forschung (PDF-Datei) <<

“Für bestimmte Verhaltensweisen können im Punktesystem, das vom Staat betrieben wird, Punkte gesammelt werden. Neben der sozialen Anerkennung ergeben sich durch das Punktesammeln auch Vorteile im Alltag (z. B. verkürzte Wartezeiten für bestimmte Studiengänge). Somit können Staat und politische Institutionen bestimmte Ziele über Anreize zur Verhaltensänderung verwirklichen und auch zukünftiges Verhalten genauer prognostizieren. Bürgerinnen und Bürger bringen in der Digital Liquid Democracy Themen auf die Agenda und stimmen über kritische Fragen ab. Unternehmen haben die Möglichkeit, an das Punktesystem anzudocken und die Daten nach vorheriger Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zu monetarisieren.”

“Unternehmen haben die Möglichkeit, an das Punktesystem anzudocken”

Das Themengebiet ist also keineswegs nur auf die Gesundheit beschränkt. Interessanterweise ist im Grundgesetz das “Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit” und “Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit” im selben Artikel geregelt. Allerdings wird man unter der “modernen Rechtsprechung” mit diesem Argumenten nicht allzu weit kommen. Vereinfacht: Konformes Verhalten wird belohnt und Nonkonformismus bestraft.

“Konformität trotzen und so mit Kreativität und abweichendem Verhalten Neuerungen und sozialen Wandel hervorbringen”

>>Göttinger Institut für Demokratieforschung<<

“Die seltsame Popularität des Nonkonformismus – Sie werden als Urheber von Innovationen und Paradigmenwechseln ausgemacht, die der Konformität trotzen und so mit Kreativität und abweichendem Verhalten Neuerungen und sozialen Wandel hervorbringen.”

“Punktesystem, das vom Staat betrieben wird” versus Nonkonformismus

Die allermeisten großen Denker und Erfinder der Vergangenheit lassen sich der Gruppe des Nonkonformismus zuordnen: Diese Analyse stellt keineswegs eine Neuigkeit dar, sondern sie kann weit zurückverfolgt werden.

“Deutsche Universität ist wohlmöglich das Letzte, was uns einfällt, wenn wir an Nonkonformismus denken”

>>Göttinger Institut für Demokratieforschung<<

“Hans Ulrich Gumbrecht versucht den Zusammenhang von wissenschaftlichen Außenseitern und Paradigmenwechseln zu ergründen. Er rekonstruiert die Umstände, unter denen Einstein, Heidegger oder Foucault von randständigen Nonkonformisten zu wirkungsmächtigen Wissenschaftlern aufsteigen konnten. Seine Bilanz für heute ist allerdings verheerend: Die inflationäre Ausrufung von turns in den Geisteswissenschaften diene vor allem der Drittmittelakquise und liefere kaum noch wirkliche Durchbrüche. Auch in anderen Artikeln dominiert ein kulturkritischer Ton. Jürgen Paul Schwindt beginnt seine Polemik über den Zustand der Universitäten mit wuchtigen Worten:

„Die deutsche Universität ist wohlmöglich das Letzte, was uns einfällt, wenn wir an Nonkonformismus denken. Auch seit längst absehbar ist, dass die Hochschule nicht mehr der privilegierte Ort des Geistes ist, betreibt sie mit renegatischem Eifer ihre Selbstabschaffung. Sie ist die unheimliche Maschine, die den von ihrem politischen Außen verordneten oder doch erwarteten Terror der Selbstsäuberung in heftigen Schüben immer neu entfacht.“

“Hochschule nicht mehr der privilegierte Ort des Geistes ist, betreibt sie mit renegatischem Eifer ihre Selbstabschaffung”

Doch genau jene Universitäten werden vermutlich das Punktesystem für positives gesellschaftliches Verhalten ausarbeiten. Nonkonformismus wird bestraft und die geistige “Selbstabschaffung” dürfte die Folge sein. Niemand sollte sich hier falschen Illusionen hingeben: Der Artikel des Göttinger Institut für Demokratieforschung ist mit der Überschrift “Die seltsame Popularität des Nonkonformismus” betitelt und dort wird vornehmlich die Popularität des Nonkonformismus beklagt.