Maloche bis zum Tode ist ein schlechtes ökonomisches Rezept
„Wenn sich drei Ökonomen in der Bildzeitung zur Rente äußern, hat das selten etwas mit Ökonomie, sondern meist etwas mit interessensgeleiteter Politik zu tun. Anders kann man es nicht verstehen, wenn drei Ökonomen auf dem Rücken von Millionen abhängig Beschäftigten mit der Forderung nach einer Regelaltersgrenze jenseits der 67 Jahre die Inflation, staatliche Schulden und den Fachkräftemangel bekämpfen wollen“, erklärt Matthias W. Birkwald, renten- und alterssicherungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE.
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Birkwald weiter:
„Wer Fachkräfte halten will, darf sie nicht über eine höhere Regelaltersgrenze zum Arbeiten bis zum Umfallen zwingen, sondern muss für gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen gerade auch für die Älteren sorgen. Das ist die ureigenste Aufgabe der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die sie aber in der Breite besonders bei älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seit Jahren sträflich vernachlässigen. Die Ökonomen und die Bildzeitung sollten einfach mal ihre Schreibtische verlassen und in den Betrieben nach alters- und alternsgerechten Arbeitsplätzen suchen. Die gibt es, aber eben nicht genug, und sie sind vor Allem noch lange nicht der Normalfall. Teilzeitarbeitsplätze oder Wiedereinstiegsprogramme für gesundheitlich gehandicapte Menschen sind ebenfalls Mangelware.
Auch der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen sollte wissen, dass der Großteil der Rente und natürlich auch die Rente ab aktuell 64, die er immer noch Rente ab 63 nennt, nicht über Schulden, sondern über Beitragsgelder der Versicherten finanziert wird. Der Anteil der Bundeszuschüsse zur Rente an den Steuereinnahmen des Bundes ist von 42 Prozent im Jahr 2004 auf 37 Prozent im Jahr 2021 gefallen und wird nach der mittleren Finanzplanung des Bundes bis 2025 sogar auf 34 Prozent fallen. Die Rente belastet also die Steuerkasse nicht mehr, sondern weniger. Das ist die Wahrheit.
Dass die Inflation aktuell gerade nicht von zu hohen Löhnen, sondern explodierenden Energiepreisen getrieben wird, müsste auch ein Ökonom mitbekommen haben. Das Renteneintrittsalter sollte nicht erhöht, sondern im Gegenteil wieder auf 65 Jahre gesenkt werden. Das wäre fair, und es ist auch finanzierbar. Derzeit haben wir mit 18,6 Prozent den niedrigsten Rentenbeitragssatz seit 20 Jahren. Wenn man die Rente erst ab 67 zurücknähme, müsste der Beitrag für die Rentenversicherung nur um 0,5 Prozentpunkte erhöht werden. DIE LINKE hat ausgerechnet, was das jemanden kostet, der oder die den aktuellen durchschnittlichen Bruttolohn von 3.241,75 Euro verdient: Es wären gerade einmal 8,10 Euro pro Monat, die diese Person netto weniger hätte. Den gleichen Betrag müsste der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin zusätzlich in die Rentenkasse zahlen. Für 8,10 Euro erhält man auf dem Oktoberfest nicht mal eine Maß Bier und in Köln eine sehr überschaubare Anzahl Kölsch. Ich habe noch keinen einzigen Menschen getroffen, der wegen eines solchen Betrags zwei Jahre länger arbeiten wollte. Hinzu kommt: Viele Beschäftigte mit Knochenjobs, die eine körperlich oder psychisch harte Arbeit haben, schaffen es schon heute nicht mal bis zum 60. Lebensjahr. Ich will hier nur drei Beispiele nennen: Das durchschnittliche Berufsaustrittsalter beträgt bei Bauberufen 57,6 Jahre, in der Kunststoffverarbeitung 58,7 Jahre und bei Hilfsarbeitern 59,1 Jahre.
Für diese Menschen sollte gelten: Wer 40 Jahre lang gearbeitet hat, sollte ab 60 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen dürfen. Wir brauchen zuerst eine andere Arbeitskultur, so dass Unternehmen viel mehr Ältere einstellen, altersgerechte Stellen anbieten und alternsgerechte Arbeitsplätze mit Tätigkeiten, die Menschen ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen bis zum Rentenalter ausüben können. Wir brauchen Arbeitszeitverkürzungen und eine bessere Prävention.“