“Erkannte die Bedeutung dieses Gespräches natürlich” – Bestünden alternierende wirtschaftliche Modelle zur Deindustrialisierung?

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In den Diskussionen zwischen Ost und West wird häufig der Begriff des Kolonialismus verwendet. Ist diese Bezeichnung wirklich passend? Es wird die These vertreten, dass der Osten als eine Art “Kolonie” betrachtet wird. Die wirtschaftliche Deindustrialisierung nach der Wiedervereinigung und die geplante Beendigung der Kohleverstromung werfen wichtige Fragen auf.

“Immer wieder taucht in den Debatten zwischen Ost und West das Wort vom Kolonialismus auf”

>>Zeit<<

“Immer wieder taucht in den Debatten zwischen Ost und West das Wort vom Kolonialismus auf. Ist das wirklich so unangemessen? Es gibt im Zusammenhang mit der deutschen Einheit wohl kaum eine Frage, die so stark polarisiert, wie jene, ob die Wiedervereinigung im Kern ein kolonialer Akt gewesen sei.”

“Ob die Wiedervereinigung im Kern ein kolonialer Akt gewesen sei”

Dennoch wird in offiziellen Dokumenten nicht explizit von einer Wiedervereinigung gesprochen, sondern lediglich von einem Beitrittsgebiet. Auch bei einigen Gerichtsentscheidungen ergeben sich Zweifel.

“Als “Minus-Ossi” abqualifiziert”

>>taz<<

“Ossis sind keine Ethnie – Geklagt hatte Gabriela S., die sich in Stuttgart erfolglos um eine Stelle als Bilanzbuchhalterin beworben hatte. Auf dem zurückgesandten Lebenslauf war mit Tinte ein Minuszeichen notiert, daneben stand der Begriff “Ossi”. Die 49jährige, die aus Berlin-Lichtenberg stammt, aber schon seit 1988 im Schwäbischen lebt, war geschockt. Sie stehe zwar zu ihrer Ossi-Herkunft, wolle aber nicht als “Minus-Ossi” abqualifiziert werden.”

“Sie stehe zwar zu ihrer Ossi-Herkunft, wolle aber nicht als “Minus-Ossi” abqualifiziert werden”

Es stellt sich natürlich die Frage, ob bei der Bezeichnung “Minus-Wessi” der selbe Richter ebenso geurteilt hätte? Auch sonst zeichnet sich ein frappierend gleiches Bild ab. Bei Berichterstattungen über den Osten wurden oft negative Assoziationen hervorgehoben. Bekannt sind uns alle die Berichte über Nazis, Doping und die Stasi. Diese haben dazu geführt, dass sich in vielen Köpfen ein einseitiges und verzerrtes Bild vom Osten verfestigt hat.

“Wir alle kennen die Berichte über Nazis, Doping und die Stasi”

>>Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland<<

“Wenn die Medien über den Osten berichteten, dann allzu oft mit negativen Assoziationen. Wir alle kennen die Berichte über Nazis, Doping und die Stasi. Sie haben dazu beigetragen, dass sich in vielen Köpfen ein einseitiges und verzerrtes Bild vom Osten festgesetzt hat.”

“Wenn die Medien über den Osten berichteten, dann allzu oft mit negativen Assoziationen”

Der “Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland” ist ein offizielles Amt, das offensichtlich dem Bundeskanzleramt zugeordnet ist. Ein ähnlicher Beauftragter für Westdeutschland existiert nicht. Dies lässt sich anhand einiger Zitate noch deutlicher verdeutlichen.

“Drohenden »Gefahr der Ver-Ostung« der BRD” – “Eine von westdeutschen Beamten geführte »Kolonisten-Bewegung« zu begegnen”

>>Der Osten – eine westdeutsche Erfindung von Dirk Oschmann (Buch) <<

“Um den Kontrast sofort anschaulich zu machen, zitiere ich zunächst den Juristen und Publizisten Arnulf Baring, der 1991 in einem Gespräch mit dem Verleger Wolf Jobst Siedler die Ostdeutschen so beschrieb:

»Das Regime hat fast ein halbes Jahrhundert die Menschen verzwergt, ihre Erziehung, ihre Ausbildung verhunzt. Jeder sollte nur noch ein hirnloses Rädchen im Getriebe sein, ein willenloser Gehilfe. Ob sich heute einer dort Jurist nennt oder Ökonom, Pädagoge, Psychologe, Soziologe, selbst Arzt oder Ingenieur, das ist völlig egal. Sein Wissen ist auf weite Strecken völlig unbrauchbar. […] viele Menschen sind wegen ihrer fehlenden Fachkenntnisse nicht weiter verwendbar. Sie haben einfach nichts gelernt, was sie in eine freie Marktgesellschaft einbringen könnten.«

Offenbar für Aussagen wie diese hat Baring 2004 den Europäischen Kulturpreis für Politik und 2011 das Große Bundesverdienstkreuz erhalten. Der drohenden »Gefahr der Ver-Ostung« der BRD sei nur, so wiederum lässt Siedler sich vernehmen, durch eine von westdeutschen Beamten geführte »Kolonisten-Bewegung« zu begegnen:

»Im Grunde müßte eine neue Ost-Siedlung stattfinden.«

“Kolonisten-Bewegung” – “Im Grunde müßte eine neue Ost-Siedlung stattfinden”

Das gleiche Denkmuster war auch bei den wirtschaftlichen Auswirkungen der Wiedervereinigung zu beobachten. Die Behauptung, dass die Treuhandanstalt damals völliges Neuland betreten habe, ist keineswegs zutreffend. Bereits etwa 50 Jahre vor der Wiedervereinigung hatte es eine “Haupttreuhandstelle Ost” gegeben.

“Der Forschungsbeirat konnte dabei auf Erfahrungen aus der Hitlerzeit zurückgreifen”

>>Heise.de<<

“Der Forschungsbeirat konnte dabei auf Erfahrungen aus der Hitlerzeit zurückgreifen. Im März 1938 war Österreich annektiert worden. Und ab September 1939 begann die Zerstückelung Polens und die Annexion seiner westlichen Provinzen. … Zu den etablierten Maßnahmen gehörte immer eine Währungsunion. Dabei wurde die Währung des Gebiets, das übernommen werden sollte, kurz vor ihrer Liquidation noch einmal künstlich aufgewertet, “um das annektierte Territorium schlagartig von seinen ökonomischen Außenbeziehungen abzutrennen und seine Kapital- und Warenmärkte für einen radikalen Durchdringungsprozess seitens der Unternehmen der Annexionsmacht zu öffnen”.

“Währung des Gebiets, das übernommen werden sollte, kurz vor ihrer Liquidation noch einmal künstlich aufgewertet”

Die Aktivitäten der ehemaligen “Haupttreuhandstelle Ost” sind umfassend dokumentiert. Es gab klare Vorschriften darüber, wie mit den konfiszierten Vermögenswerten umzugehen war.

“Verwaltung sämtlicher beschlagnahmter Vermögen im von deutschen Truppen besetzten ehemaligen polnischen Staat gedacht”

>>Das “Ahnenerbe” der SS 1935-1945 – Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches von Michael H. Kater (Buch) <<

“Die Haupttreuhandstelle Ost (HTO) war durch einen „nur für den inneren Dienstgebrauch bestimmten Erlaß” Hermann Görings in dessen Eigenschaft als Beauftragter für den Vierjahresplan und Vorsitzender des Reichsverteidigungsausschusses am 19. Oktober 1939 ins Leben gerufen und am 1. November durch eine „Bekanntmachung” öffentlich bestätigt worden. Die Aufgabe dieser HTO war es, das von militärischen, zivilen und anderen Dienststellen bereits beschlagnahmte polnische Privat- und Staatseigentum, einschließlich des jüdischen, wie auch noch zu beschlagnahmenden Besitz an Grundstücken, Betrieben usw. einheitlich zu betreuen und verwalten. Dabei war erst an eine Verwaltung sämtlicher beschlagnahmter Vermögen im von deutschen Truppen besetzten ehemaligen polnischen Staat gedacht, am 15. November aber wurde für das Generalgouvernement eine besondere Treuhandstelle vorgesehen, die der HTO nicht unterstand, während die HTO selbst nur für die eingegliederten Ostgebiete gültig war. Hier mischte sich nun der Reichsführer-SS Heinrich Himmler ein: er war gerade „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums” (RKF) geworden und fühlte sich in seinem Zuständigkeitsbereich durch die Bildung der HTO „beeinträchtigt”.

“Haupttreuhandstelle Ost” –  “Beschlagnahmenden Besitz an Grundstücken, Betrieben usw. einheitlich zu betreuen und verwalten”

Zwar ist ein “Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland” in Amt und Würden, aber für die Aufarbeitung der Wiedervereinigung setzt dieser sich wohl kaum ein. Bis heute sind Vergleiche mit dieser Zeit sind nach wie vor rechtlich heikel, weshalb von Privatpersonen keine umfassende Aufarbeitung erwartet werden kann. Trotzdem sprechen die damaligen Aussagen irgendwie für sich selbst.

“So übernahm die Treuhand am 1. Juli 1990 mehr als 7800 Einzelbetriebe mit vier Millionen Beschäftigten”

>>Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert von Ulrich Herbert (Buch) <<

“So übernahm die Treuhand am 1. Juli 1990 mehr als 7800 Einzelbetriebe mit vier Millionen Beschäftigten. Ihr wurden zudem Grundflächen übereignet, die insgesamt etwa die Hälfte des Territoriums der DDR ausmachten. Die Treuhand sollte nun die Betriebe vorrangig privatisieren, gegebenenfalls bei der notwendigen Sanierung helfen und, sollten sich einzelne Unternehmen dennoch als nicht marktfähig erweisen, zur Not auch stilllegen. Ursprünglich hatte die Treuhand mit einem enormen Privatisierungsgewinn gerechnet – «der ganze Salat ist 600 Milliarden wert», hatte Rohwedder im Herbst 1990 geschätzt.”

“Ursprünglich hatte die Treuhand mit einem enormen Privatisierungsgewinn gerechnet”

der ganze Salat ist 600 Milliarden wert” – Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ist wohl davon auszugehen, dass ein wirtschaftlicher Wiederaufbau wohl niemals vorgesehen war. Letztlich stellt sich ebenso die Frage: Ob es eine andere Alternative gegeben hätte? – Und die gab es.

“China sei bereit, sehr schnell aktiv zu werden; Lin könne kurzfristig nach Ost-Berlin reisen”

>>Welt<<

“China sei bereit, sehr schnell aktiv zu werden; Lin könne kurzfristig nach Ost-Berlin reisen. Er erbitte aber vor der nächsten Sitzung des Zentralkomitees der chinesischen KP Anfang November 1989 die „Meinung DDR“. Botschafter Berthold, sicher einer der führenden Fernostexperten des DDR-Außenministeriums und seit 1982 auf Posten in Peking, erkannte die Bedeutung dieses Gespräches natürlich. Er verfasste seinen Bericht und schickte ihn als Blitztelegramm direkt an „Genosse Egon Krenz“, das am 27. Oktober 1989 bald nach 14 Uhr die DDR-Botschaft in Peking verließ.”

“Führenden Fernostexperten des DDR-Außenministeriums” – “Erkannte die Bedeutung dieses Gespräches natürlich”

Im Gegensatz zu irgendwelchen westdeutschen Versprechen von “blühenden Landschaften” hat China sein Land tatsächlich aufgebaut. Insbesondere im Zuge des angedachten Kohleausstiegs und der noch immer gravierenden wirtschaftlichen Folgen der Wiedervereinigung wäre auch heutzutage Fachkompetenz angesagt.