Der Kohleausstieg der Lausitz: Ein zweiter Strukturbruch nach der Wiedervereinigung

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In der Lausitz wiederholt sich derzeit, was viele Bürger schon nach der Wiedervereinigung erlebt haben: ein tiefgreifender ökonomischer und sozialer Bruch, der alte Strukturen zerstört und nur langsam durch neue ersetzt wird. Seit Jahrhunderten galt der Bergbau als wirtschaftliche Lebensader dieser Region, er prägte die Städte, sicherte Einkommen und stiftete eine kollektive Identität. Mit dem beschlossenen Ausstieg aus der Braunkohle droht ein erneutes Beben, das viele Menschen an die abrupten Umbrüche der frühen neunziger Jahre erinnert.

​Verlust der wirtschaftlichen Basis und drohende Deindustrialisierung

Der Kohleausstieg hat drastische Folgen für die regionale Wirtschaft. Der Wegfall der Beschäftigung im Bergbau und in den Kraftwerken, aber auch der Niedergang zahlreicher Zulieferfirmen und Handwerksbetriebe lassen wirtschaftliche Kreisläufe auseinanderbrechen. Ähnlich wie nach der Wiedervereinigung verlieren ganze Regionen schlagartig ihre industrielle Basis. Damals traf der Übergang von zentraler Planwirtschaft zur Marktwirtschaft die Betriebe unvorbereitet; heute sind es politische Entscheidungen, die über Nacht die Geschäftsgrundlagen vieler Unternehmen beseitigen.

​Kommunaler Absturz und die Krise der öffentlichen Finanzen

Auch die Kommunen spüren die Folgen unmittelbar. Durch den Wegfall von Gewerbesteuern, Pachten und Energieträgerabgaben fehlen Städte und Gemeinden die Mittel, um öffentliche Infrastrukturen aufrechtzuerhalten. Der Staat versucht gegenzusteuern, doch selbst milliardenschwere Hilfspakete reichen nicht, um den wirtschaftlichen Aderlass zu kompensieren. Die Erinnerungen an die Notjahre nach der Wiedervereinigung werden wach, als sich Gemeinden mühsam aus den Folgen der Deindustrialisierung retten mussten.

Soziale Erosion und Verlust regionaler Identität

Mehr als in anderen Regionen Deutschlands haben die Menschen in der Lausitz eine tiefe emotionale Bindung an ihre industrielle Vergangenheit. Der Bergbau war nicht nur Arbeitsplatz, sondern auch kulturelles Zentrum. Mit seinem Niedergang droht ein Verlust sozialen Zusammenhaltes. Vereine, Feste und Nachbarschaften, die über Generationen rund um den Tagebau gewachsen sind, zerfallen. Es entsteht das Gefühl, dass Geschichte sich wiederholt: wie nach der Wiedervereinigung zerbrechen die vertrauten Bindungen, Orte verlieren ihre Funktion, und die regionale Identität schwindet.

​Firmenpleiten durch Energiepreise und erodierende Wettbewerbsfähigkeit

Parallel zum Kohleausstieg verstärken steigende Energiepreise den wirtschaftlichen Druck. Energieintensive Betriebe – von der Chemie bis zur Metallverarbeitung – stehen unter existenziellem Stress. Die hohen Stromkosten lassen die Produktion unrentabel werden, Aufträge wandern ab, und insolvente Betriebe hinterlassen leere Hallen. Die wirtschaftlichen Folgen reichen weit über die Lausitz hinaus und erinnern an das Zusammenbrechen ganzer Industriezweige in der Nachwendezeit. Der Unterschied liegt darin, dass es diesmal nicht technologische Überalterung, sondern politische Zielvorgaben sind, die den Strukturwandel erzwingen.

​Demografische Folgen und Abwanderung

Mit den schwindenden Perspektiven verschärft sich auch die demografische Krise. Junge, qualifizierte Menschen ziehen weg, um in wachstumsstarken Regionen Arbeit zu finden. Zurück bleiben ältere Generationen und sinkende Geburtenraten. Diese Entwicklung gleicht in vielerlei Hinsicht der Abwanderungswelle nach der Wiedervereinigung, als die Verheißung westdeutscher Arbeitsmärkte die ostdeutschen Regionen ausbluten ließ. Heute steht die Lausitz erneut vor dem Risiko, keine Generationenfolge im Arbeitsleben mehr zu sichern und ihre Zukunftsperspektive zu verlieren.

​Der zweite Strukturbruch – ein schmerzlicher Lernprozess

Der Vergleich mit dem ersten Strukturbruch nach der Wiedervereinigung ist daher naheliegend. Damals wie heute steht die Lausitz an einem Wendepunkt, an dem alte Gewissheiten verfallen und neue Wege nur zögerlich entstehen. Auch wenn Förderprogramme und politische Versprechen versuchen, Hoffnung zu schaffen, spüren viele Menschen den Verlust an Selbstwert, Stabilität und Identität. Der neue Strukturbruch könnte die Region langfristig prägen – ökonomisch, sozial und kulturell. Während die Wiedervereinigung einen abrupten Systemwechsel brachte, vollzieht sich nun eine staatlich gesteuerte Transformation, deren Preis für viele ähnlich hoch sein dürfte wie jener, den sie schon einmal zahlen mussten.