Augustus, Tiberius und ihre Feldherren: Menschen und Schicksal
Screenshot youtube.comWer waren eigentlich Augustus, Tiberius und die Feldherren Drusus und Germanicus jenseits ihrer glanzvollen Titel? Über Augustus lässt sich zumindest ein Bild skizzieren, wenn man seine Jugendjahre betrachtet: Die Zeit zwischen seinem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahr ist bereits reich an politischer Raffinesse und persönlichem Ehrgeiz. Er erreichte ein hohes Alter von sechsundsiebzig Jahren und starb, wie es sich viele wünschten, ruhig und ohne großes Leiden, beinahe als hätte das Schicksal selbst für einen sanften Abgang gesorgt.
Herkunft und Eigenart des Tiberius
Was aber für ein Mensch war Tiberius tatsächlich, wozu war er fähig, und wie prägte ihn seine Abstammung? Tiberius entstammte einem der ältesten römischen Familienzweige, auf den jeder Ahnenforscher voller Stolz geblickt hätte. Die Claudier, seine Vorfahren, kamen einst aus einer kleinen sabinischen Stadt ins noch junge Rom und sammelten über die Jahrhunderte beachtliche Erfolge: Dutzende Konsulate, Diktaturen, diverse Censorate und zahlreiche Triumphzüge. Ihr Einfluss und ihre Taten waren legendär und prägten Rom entscheidend.Der Vater des Tiberius zeigte Rückgrat, als er nach der Ermordung Caesars nicht wie andere Senatoren die Begnadigung der Attentäter forderte, sondern gar deren Belohnung verlangte. Später musste er seine Frau Livia, gerade Mutter seines Sohnes und erneut schwanger, an Augustus abtreten. Diese Praxis wurde beinahe zur Normalität, denn auch Nero, einer der Nachfolger, bediente sich später solcher Methoden. Die Söhne des Tiberius, Tiberius II. und Drusus, wurden zu den wichtigsten Feldherren des Augustus, besonders während der Kämpfe in Germanien. Tiberius II., der spätere Kaiser, teilte das Schicksal seines Vaters: Augustus’ Tochter Julia warf ein Auge auf ihn, obwohl er mit Agrippina glücklich verheiratet und Vater war. Doch die politischen Interessen des Augustus verlangten die Scheidung – Tiberius musste Julia heiraten, deren Verhalten noch lange für Unruhe sorgen sollte.
Charakter und Schicksalsglaube
Es geht hier weniger darum, das Leben des Tiberius lückenlos nachzuzeichnen, als vielmehr seinem Charakter nachzuspüren. Charakter formt das Schicksal, nicht als starrer Ablauf, sondern als individuelle Ausformung der Umstände, in denen man lebt. Tiberius war sich seiner Herkunft als Claudier überdeutlich bewusst. Schon als Kind prophezeite ihm der Astrologe Scribonius eine große Zukunft – Herrscher würde er werden, aber ohne die äußeren Zeichen eines Königs. Genau das entsprach dem neuen Prinzipat, das Augustus geschaffen hatte. Für den Astrologen war das Risiko gering, denn in so einflussreichen Familien war eine Karriere fast vorprogrammiert. Auch andere Omen fehlten nicht: Altäre, die wie von Zauberhand bei Feldzügen aufloderten, goldene Würfel mit Höchstzahlen, Adler auf dem Haus und weitere Zeichen wurden als günstige Vorboten gedeutet. Später, vor der berühmten Schlacht bei Idistaviso, erschienen gleich acht Adler – ein weiteres Zeichen, das mit Bedeutung aufgeladen wurde.
Die Macht der Zeichen und Prophezeiungen
Als Tiberius sich nach Rom zurückberief, nachdem er seine scheinbare Verbannung beendet hatte, und kurz davor war, seinen Astrologen ins Meer zu werfen, erschien das ersehnte Schiff mit der Botschaft seiner Rückkehr – ein Moment, der wie von den Göttern inszeniert schien. Doch wie viel Substanz steckt wirklich in solchen Vorhersagen? Für viele sind sie nicht mehr als literarische Ausschmückungen, wie sie noch Jahrhunderte später in Lebensbeschreibungen berühmter Männer üblich waren. Heute würde man von Rückschaufehlern sprechen: Die Erzählung wird den späteren Erfolg in die Wiege legen. Tatsächlich ist der Wert solcher Prophezeiungen fragwürdig; oft werden sie erst im Nachhinein passend gemacht oder einfach vergessen, wenn sie sich nicht bewahrheiten.
Manipulation und Inszenierung von Vorzeichen
Auch die berühmten Zeichen und Orakel waren keineswegs immer magisch: Altäre konnten von Helfern entzündet, Würfel mit ungleicher Gewichtsverteilung manipuliert werden. Die Orakelpriester waren Profis darin, ihre Weissagungen so zu verpacken, dass sie nie falsch lagen. Wer auf jahrhundertelange Erfahrung aufbaut, weiß, wie man Aussagen so allgemein hält, dass sie nachträglich immer passend erscheinen. Goldene Würfel, die ins Wasser geworfen werden, lassen sich leicht so gestalten, dass die gewünschte Zahl oben liegt – zumal niemand vorab ihre Beschaffenheit prüfte. Solche Inszenierungen beeindruckten die Mächtigen, nicht aber das einfache Volk, denn Zeichen gelten immer nur für jene, die sie deuten wollen.
Schicksalsbewusstsein und Sensibilität
In früheren Zeiten war das Bewusstsein für Schicksal und Zeichen ausgeprägter. Träume galten als Botschaften, die wahr werden konnten – wie bei Caesars Frau Calpurnia oder Kriemhild im Nibelungenlied. Wer längere Zeit fernab der Zivilisation lebt, in Einsamkeit oder Gefahr, entwickelt oft wieder diese Sensibilität für Zusammenhänge und Vorahnungen. Schicksal erscheint dann als umfassender Zusammenhang, der Menschen, Zeiten und Orte miteinander verknüpft und die Wahrnehmung für das Wesentliche schärft.
Das „Heil“ und die Verpflichtung zur Größe
Das sogenannte „Heil“ war für diese Geschlechter mehr als nur Einbildung oder Zufall. Es war Ausdruck eines Menschentyps, der seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten voll entfaltet hat – getragen von ererbter Disziplin, langer Tradition und dem Anspruch, das Beste aus sich herauszuholen. Für die Angehörigen solcher Familien gab es kaum eine andere Wahl, als das Gesetz und den Sinn des eignen Geschlechts zu erfüllen – sei es als König, Feldherr oder Kaiser. Ob es einen Ausweg aus diesem zwanghaften Streben nach Größe gab, hing stets von der gesellschaftlichen Prägung und dem Druck des jeweiligen Gemeinwesens ab.
Überlebensdruck und fehlende Toleranz
Die germanische Gesellschaft, geprägt von einem hohen Maß an Unsicherheit und ständiger Bedrohung, hätte vermutlich keinerlei Platz für Menschen geboten, die sich nicht einfügten oder aus der Gemeinschaft ausscherten. Da tatsächlich jeder Einzelne auf die Unterstützung der anderen angewiesen war, hätte sich niemand leisten können, Nachsicht gegenüber jenen zu zeigen, die den geforderten Leistungen nicht gerecht wurden. Ob eine Gesellschaft auf die Beiträge ihrer Mitglieder angewiesen ist oder sich Nachlässigkeit erlauben kann, ist nicht etwa nur eine Frage der Großzügigkeit, wie es heute häufig angenommen wird, sondern wird maßgeblich von den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen bestimmt.
Dekadenz und Konsequenzen
Hätte sich die germanische Führungsschicht jene Exzesse erlaubt, die in der römischen Oberschicht längst alltäglich waren, wäre das Schicksal eines germanischen Stammes rasch besiegelt gewesen. Das wohlhabende Rom konnte sich Dekadenz leisten. Sittenstrenge, Zusammenhalt und Eigenverantwortung sind also kein Zeichen eines überlegenen Menschentyps, sondern das Resultat kultureller Entwicklung und Anpassung. Ob es gefällt oder nicht: Je weiter eine Gesellschaft fortschreitet, desto mehr verfeinert sich ihre Technik, soziale Strukturen werden komplexer, das Überlebensrisiko sinkt, und individuelle Freiheiten nehmen zu – allerdings auf Kosten von Verantwortungsgefühl und Sittenstrenge.
Ein genauerer Blick auf Tiberius
Wenn wir nun die Persönlichkeit Tiberius’ näher betrachten, den erbitterten Gegner der germanischen Freiheitskämpfer, zeigt sich, wie wenig es bringt, diesen nach den Maßstäben germanischer Moral als durch und durch verdorbenen Römer einfach als Gegenbild zu idealisierten germanischen Helden darzustellen. Es dauerte schließlich nur wenige Jahrhunderte, bis eine germanisch-fränkische Oberschicht ähnliche Höhen von Macht und Luxus erklommen hatte.
Machtübernahme und Grausamkeit
Die erste Amtshandlung Tiberius’ nach Augustus’ Tod bestand in der Beseitigung eines potentiellen Rivalen, noch bevor das Ableben des Augustus und die Machtübernahme Tiberius’ bekannt wurden. Nach einer letzten Unterredung mit seinem Nachfolger soll Augustus vor den lauschenden Kammerdienern ausgerufen haben, dass Rom nun ein schlimmes Schicksal bevorstehe. Andererseits wird Augustus das Kalkül zugeschrieben, ein solcher Nachfolger lasse den eigenen Ruhm heller strahlen. Für Römer war der Nachruhm die wahre Form des Fortlebens. Die letzten elf Jahre seiner Herrschaft verbrachte Tiberius auf Capri, einer Insel, die ihm vor allem wegen ihrer Abgeschiedenheit gefiel – ein einzig zugänglicher, schmaler Landungsplatz, sonst ringsum steile Felsen und tiefes Meer.
Rückzug nach Capri und Herrschaft der Angst
Tacitus, der in seinen Annalen vorgibt, ohne Hass oder Parteilichkeit zu berichten, nennt als wahren Grund für die Flucht ins felsige Paradies Tiberius’ Wunsch, seine Grausamkeiten und Ausschweifungen im Verborgenen ausleben zu können. Mit Sueton muss man feststellen: Die Aufzählung einzelner Schandtaten würde zu weit führen, es reicht, die Muster der Verbrechen beispielhaft anzuführen. Hinrichtungen gehörten zum Alltag, selbst an Feiertagen wurde gemordet, ja sogar am Neujahrstag. Ganze Familien wurden ausgelöscht, und ein Edikt verbot es den Hinterbliebenen, zu trauern. Denunzianten wurden großzügig belohnt, und jedem wurde geglaubt. Tiberius fand Gefallen nicht allein am Töten, sondern auch am Verurteilen und an der Inszenierung von Angst.
Verfolgung, Folter und Perversion
Es genügte, dass Dichter in ihren Werken Anspielungen machten oder historische Figuren lobten, die gegen das Kaisertum gestanden hatten, um des Hochverrats bezichtigt zu werden. Viele Angeklagte versuchten noch während der Gerichtsverhandlung, sich das Leben zu nehmen, um den Grausamkeiten zu entgehen, doch selbst Verletzte wurden ins Gefängnis geschleift, bis das Todesurteil vollstreckt war. Niemand entkam dem brutalen Schicksal, das Hinabstoßen und das Schleifen der Leichen waren an der Tagesordnung. Bis zu zwanzig Menschen, darunter Frauen und Kinder, wurden an einem Tag gefoltert und hingerichtet. Da Jungfrauen nicht erdrosselt werden durften, wurden sie vor ihrer Ermordung vergewaltigt, um angeblich religiöse Vorschriften zu erfüllen.
Willkür und Vertuschung
Bei der Verfolgung eines besonderen Verbrechens verfiel Tiberius in einen Blutrausch und ließ jeden, der ihm begegnete, foltern oder töten. Selbst ein eingeladener Gast fiel den Folterknechten zum Opfer, und als der Irrtum entdeckt wurde, wurde auch er ermordet, um den Vorfall zu vertuschen. Die Stätte, an der die Misshandelten ins Meer gestürzt und von Matrosen mit Stangen erschlagen wurden, kann man heute noch besichtigen.
Grausamkeit als Charakterzug
Die weiteren Grausamkeiten, die Sueton schildert, zu wiederholen, erübrigt sich. War das alles Alterswahnsinn? Kaum, denn Grausamkeit war schon in jungen Jahren Tiberius’ Markenzeichen – und im Übrigen keine Seltenheit. Das Bild vom Menschen, das zwischendurch versöhnlicher erschien, muss korrigiert werden: Seit der Mensch die Wahl zwischen Gut und Böse hat, entscheidet er sich für beides. Psychische Anomalien sind eine Ausrede, denn es gibt Geisteskranke, die nicht töten, Gesunde, die töten, und viele, die beides weder tun noch erleben. Was sollte der Maßstab für Geisteskrankheit bei Gewalt sein? Wer dabei war, selbst Hand anlegte? Dann müssten alle Täter in den KZs geisteskrank gewesen sein, selbst jene, die aus der Haut Ermordeter Lampenschirme fertigten.
Grausamkeit und Geschichte
In den zahllosen Kriegen der jüngsten Vergangenheit wirkten weit mehr als nur ein Tiberius, Caligula, Nero oder Caracalla. Und dennoch war Tiberius, wie man kaum glauben möchte, ein genialer Stratege und fähiger Soldatenführer. Er regierte nüchtern und effizient, reformierte das Verwaltungssystem zur besseren Ausbeutung der Provinzen. Sein Ende kam im Bett, doch unter zweifelhaften Umständen.
Letzte Stunden und Tod
Tacitus beschreibt seine letzten Stunden: Der Körper verweigerte den Dienst, doch sein Geist blieb wachsam und verschlagen. In seinem Haus auf Misenum wollte ein Arzt, Charikles, ihm ehrerbietig die Hand schütteln, tastete aber heimlich den Puls, was Tiberius sofort durchschaut haben soll. Charikles sagte Tiberius’ Tod in zwei Tagen voraus und die Umgebung traf alle Vorbereitungen. Am 16. März 37 n. Chr. setzte Atemnot ein; Caligula wurde bereits zum Kaiser beglückwünscht. Doch Tiberius kam zu sich, verlangte nach Dienern und Speisen, und plötzlich war alles Mitleid wieder da. Caligula musste erneut auf den Tod warten. Schließlich gab Marco dem Befehl, Tiberius durch erstickende Gewänder zu töten und das Zimmer zu verlassen. Mancherorts heißt es, Caligula habe schon vorher Gift eingesetzt.
Nachhall und Recht
So fand Tiberius im achtundsiebzigsten Jahr seines Lebens sein Ende. Die Nachricht seines Todes versetzte Rom in einen Freudentaumel, mit dem Ruf: „In den Tiber mit Tiberius!“ Manche wollten seinen Leichnam über die Stufen des Kapitols schleifen – wie es mit Hingerichteten geschah. Der Grund lag darin, dass der Tod zu spät bekannt wurde und in der Zwischenzeit die Zehntagesfrist für einige Delinquenten abgelaufen war, die sonst hätten begnadigt werden können. Doch der Gesetzesvollzug ging vor, und so wurden diese Menschen ermordet und ihre Leichen auf die Stufen geworfen. Das berühmte „Fiat justitia, et pereat mundus“ stammt allerdings nicht von den Römern, sondern von Kaiser Ferdinand I., dem Nachfolger eines Herrschers, in dessen Reich das Recht immer wieder unterging.

















