Jugendstrafrecht & Wahlrecht für Minderjährige: “Kinder ab einem Alter von 15 Jahren in den Bedarfsgemeinschaften schon als voll erwerbsfähig einzustufen”

Screenshot youtube.com Screenshot youtube.com

Beim Jugendstrafrecht und Wahlrecht für Minderjährige kochen regelmäßig die Gemüter hoch. Meist schwingt dabei die Frage der gesellschaftlichen Teilhabe und deren Maßstäbe mit. Gerade in der Juristerei gibt es aber noch ein ganz anderes – inoffizielles – Strafrecht, was augenscheinlich noch viel mildere Urteile als im Jugendstrafrecht fällt.

“Keine Aberkennung des Ruhegehalts trotz Verurteilung wegen Untreue”

>>Haufe<<

“Keine Aberkennung des Ruhegehalts trotz Verurteilung wegen Untreue – Der ehemaliger Kommunalpolitiker war vom Landgericht Saarbrücken wegen Vorteilsannahme in vier Fällen und wegen Untreue zu einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen verurteilt worden.”

“Keine Aberkennung des Ruhegehalt” – “Untreue zu einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen verurteilt worden”

>>Haufe<<

“Bewährungsstrafe für Beamten nach Veruntreuung – Ein Beamter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) überwies sich insgesamt eine Summe von fast 34.000 Euro. … Das Amtsgericht verurteilte den Beamten wegen Untreue zu einer Gefängnisstrafe von 1,5 Jahren auf Bewährung. Das Landgericht ließ hingegen Milde walten und reduzierte die Gefängnisstrafe auf elf Monate.”

“Bewährungsstrafe für Beamten nach Veruntreuung” – “Summe von fast 34.000 Euro”

Der weitere Verlauf des Verfahrens war nicht herauszubekommen: Tatsächlich stehen die Chancen aber sehr gut, dass der Beamte seinen Dienst weiter verrichten darf, weil die Strafe unter Jahr geblieben ist. Es ließen sich problemlos noch mehr milde Urteile aufzeigen. Ganz anders sehen die Konsequenzen hingegen für Nicht-Beamte aus.

„Fristlose Kündigung wegen zwei Pfandbons von 1,30 Euro“

>>n-tv<<

„Der Fall „Emmely“ – Ihr Fall – eine fristlose Kündigung wegen zwei Pfandbons von 1,30 Euro – hatte 2008 bundesweit für Schlagzeilen gesorgt.“

Überstundenbetrug eines Polizisten versus Pfandbons einer Kassiererin

Die “Spaltung” ist also weniger am Jugendstrafrecht, sondern wohl eher an ganz anderen Kriterien festzumachen. Für solche teils krassen Unterschiede in der Rechtsprechung werden dann verschiedene dürftige Erklärversuche angeführt. Meist läuft es darauf hinaus, dass in genau diesen speziellen (Einzel-)Fall ganz besondere Umstände geherrscht haben sollen. Auf der anderen Seite werden die realen Gegebenheiten der Unterschicht nur selten berücksichtigt.

“Das kann so weit gehen, dass sie nicht nur die besseren Anwälte haben, sondern das Recht selbst für sie gemacht scheint”

>>Die gespaltene Gesellschaft von Jürgen Kaube & André Kieserling (Buch) <<

“Kritisch, so die Vorstellung, wird es vor allem dann, wenn die Spaltung mit ungleich verteilten Ressourcen einhergeht. Wenn sich also beispielsweise die Gesellschaft in eine stabile Ober- und eine stabile Unterschicht spaltet. Dabei geht es nicht nur um den Gegensatz von Reich und Arm, die Höhe und Art von Einkommen. Die Reichen, oder sagen wir: die Reicheren haben auch die höhere Lebenserwartung, die besseren Ärzte, die besseren Kontakte in die Politik und mehr Nachhilfelehrer. Sie sind nicht nur einfach reicher, sie haben mehr Handlungsmöglichkeiten. Das kann so weit gehen, dass sie nicht nur die besseren Anwälte haben, sondern das Recht selbst für sie gemacht scheint. Der berühmte Sarkasmus von Anatole France, die Armen hätten dasselbe Recht wie die Reichen, unter Brücken zu nächtigen, spricht diese Vermutung von Klassenjustiz aus.”

“Sarkasmus von Anatole France” – “Armen hätten dasselbe Recht wie die Reichen, unter Brücken zu nächtigen, spricht diese Vermutung von Klassenjustiz aus”

Besonders im Jugendstrafrecht stellt das Thema Anwalt fast schon ein eigenständiges Kapitel für ein Buch dar. Da Jugendliche oder Kinder nur eingeschränkt geschäftsfähig sind, können diese nicht so ohne weiteres einen Rechtsanwalt beauftragen. Zusätzlich: Ein adäquater Rechtsbeistand kostet nun mal Geld und aller spätestens bei der Bezahlung sind die Grenzen der vermeintlichen Selbstständigkeit von Jugendlichen erreicht. Ein wichtiges Thema von erheblicher Relevanz: Denn die vermeintlichen unselbständigen Jugendlichen können zu langjährigen Freiheitsstrafenbis zu zehn Jahre – verurteilt werden. Mit der – informellen – ungeschriebenen Regelung des Beamtenstrafrechts wären Jugendliche besser dran gewesen. Auch beim Thema Steuern wird zwischen Jugendlichen und Erwachsenen kein Unterschied gemacht.

Steuerpflicht für Minderjährige: “Sie können aber auch selbstständig oder gewerblich tätig sein”

>>Finanzämter des Landes Brandenburg<<

“Sie sind Schülerin oder Schüler bzw. Studentin oder Student und möchten in den Schul- bzw. Semesterferien oder während des Schuljahres/Semesters „jobben“. … Grundsätzlich können Sie als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis stehen und dabei Einkünfte aus einer nichtselbstständigen Tätigkeit erzielen. Sie können aber auch selbstständig oder gewerblich tätig sein.”

Steuerpflicht für Minderjährige: “Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis stehen”

Selbiges trifft auf Sozialabgaben zu. Sogar zur Bundeswehr können Jugendliche gehen. Innerhalb des Hartz-IV-Systems werden schon 15-Jährige wie kleine Erwachsene behandelt. Unter diesen Gesichtspunkten mutet die Begrenzung des Wahlalters schon recht skurril an.

“Laut Ansicht der Jobcenter sind Kinder ab einem Alter von 15 Jahren in den Bedarfsgemeinschaften schon als voll erwerbsfähig einzustufen”

>>Heimarbeit.de<<

“Mit nur 15 Jahren sollen die betroffenen Kinder nämlich schon teilweise die Schule abbrechen, um sich eine Arbeitsstelle oder eine Berufsausbildungsstätte zu suchen. … Die Kinder werden teilweise nämlich schon ab dem 15. Lebensjahr sanktioniert, wenn sie weiterhin das Gymnasium besuchen wollen. Derzeit werden einer ganzen Reihe von betroffenen Kindern Vorladungen geschickt, in denen sogenannte Rechtsfolgebelehrungen enthalten sind. In solchen werden die Kinder letztendlich aufgefordert, sich um eine Stelle zu bemühen. Also beispielsweise um eine Arbeitsstelle oder aber eine Ausbildungsstelle. … Laut Ansicht der Jobcenter sind Kinder ab einem Alter von 15 Jahren in den Bedarfsgemeinschaften schon als voll erwerbsfähig einzustufen.”

“Mit nur 15 Jahren sollen die betroffenen Kinder nämlich schon teilweise die Schule abbrechen, um sich eine Arbeitsstelle oder eine Berufsausbildungsstätte zu suchen”

Die staatlichen Fürsorgebemühungen mögen hierbei recht seltsam wirken. Jugendlich sollen nicht wählen dürfen, aber dafür Steuern und Sozialabgaben zahlen. Eigentlich ließe sich die Fähigkeit zu Wählen nicht wie bisher an das Alter, sondern an die Steuer koppeln: Nur Nettosteuerzahler hätten demnach das Recht am Wahlen teil zu nehmen und sich sich selbst zur Wahl stellen. Damit wären Staatsdiener außen vor, womit ein Interessenkonflikt vermieden wäre.

“Diener zweier Herren – Die Beamten, zu Abgeordneten gewählt”

>>Spiegel<<

“Diener zweier Herren – Die Beamten, zu Abgeordneten gewählt, schikken sich an, von Staatsdienern zu Staatslenkern zu avancieren. … Der Beamte, der zugleich Gesetzgeber ist, besoldet, befördert und pensioniert sich am Ende selbst; das Parlament, in dem die Bürokraten überhand nehmen, hört auf, die Bürokratie zu kontrollieren, nachdem es schon die Regierung nicht mehr kontrolliert. Der Trab der Beamten ins Parlament begann bereits in der Weimarer Republik.”

“Der Beamte, der zugleich Gesetzgeber ist, besoldet, befördert und pensioniert sich am Ende selbst”

Tatsächlich konnten in der Weimarer Republik keines alle zur Wahl gehen. Das passive und aktive und passive Wahlrecht war eingeschränkt.

“Wir hatten weder aktives noch passives Wahlrecht und wir interessierten uns auch nicht für Parteien”

>>Familie de Maizière von Andreas Schumann (Buch) <<

“Um die Reichswehr macht diese politische Entwicklung jedoch zunächst einen Bogen, auch weil deren Angehörige nicht wählen dürfen und die Reichswehrführung die NSDAP mit Skepsis betrachtet. Zudem gibt es einen Erlass, der Mitgliedern der Reichswehr den Besuch nationalsozialistischer Veranstaltungen verbietet. Nicht zuletzt Generaloberst Hans von Seeckt sorgt dafür, dass die Politik vor den Toren der Kasernen bleibt. »Wir waren dem Staat verpflichtet und sonst niemandem. Die ganze politische Entwicklung ging an uns vorbei. Wir hatten weder aktives noch passives Wahlrecht und wir interessierten uns auch nicht für Parteien«, bestätigt Peter von Butler, später General in der Bundeswehr und seinerzeit ebenfalls Offiziersanwärter, die damalige Situation in der Reichswehr.”

“Generaloberst Hans von Seeckt sorgt dafür, dass die Politik vor den Toren der Kasernen bleibt”

Im Endeffekt ist das Thema Kinder- und Jugendwahlrecht eher als Schönwetterdiskussion anzusehen. Der öffentliche Dienst ist in vielen Parlamenten überrepräsentiert und ist zeitgleich bei der Judikative und Exekutive vertreten. Das Prinzip der Gewaltenteilung kann somit kaum gewährleistet werden. Insbesondere das Mittel der Direkten Demokratie könnte hier einen Ausgleich schaffen.