Vom Geld- zur Naturalwirtschaft: “Gibst du mir Wandfarbe, bekommst du von mir Dachziegel”
Das Ende vom klassischen Geldes und der Beginn der Tausch- und Naturalwirtschaft? – Viel zu abwegig? Gute Beobachte werden sicherlich schon die Feststellung gemacht haben: Immer mehr Angebote bei Kleinanzeigen sind als sogenannte “Tauschgeschäfte” deklariert. Diese Form der Naturalleistungen – sprich “Gibst du mir Wandfarbe, bekommst du von mir Dachziegel” – waren schon zur früheren Zeit bekannt und sind nun wieder in Mode gekommen.
“Tauschgeschäfte (englisch Barter) haben Konjunktur”
“Tauschgeschäfte (englisch Barter) haben Konjunktur: Obwohl die früher übliche Naturalwirtschaft in modernen Gesellschaften weitgehend von der Geldwirtschaft verdrängt worden ist, verlangt niemand von Ihnen, Ihre Geschäfte mit Geldscheinen oder per Banküberweisung zu bezahlen. Tauschgeschäfte kommen nicht nur unter Freunden, Kollegen und Nachbarn vor. Auch kommerzielles Bartering ist verbreitet.”
“Tauschgeschäfte kommen nicht nur unter Freunden, Kollegen und Nachbarn vor” – “Auch kommerzielles Bartering ist verbreitet”
Die rechtlichen und steuerlichen Aspekte sollen mal hier ausgeklammert bleiben. Zwar ist klassisches “Geld” als gesetzliches Zahlungsmittel festgelegt, aber niemand ist gezwungen einen Handel auch tatsächlich abzuschließen. Natürlich geht diese Entwicklung mit der Inflation – und auch anderen wirtschaftlichen Dingen – einher. Denn die Ausweitung der Geldmenge und die Erhöhung der Steuer war schon im Römischen Reich bekannt.
Römisches Reich: “Kaiser Septimius Severus begann mit der Einziehung einer Naturalsteuer”
>>Römische Geschichte von Klaus Bringmann (Buch) <<
“Kaiser Septimius Severus begann mit der Einziehung einer Naturalsteuer, die für die Versorgung der Armee bestimmt war, Caracalla dehnte 212 das römische Bürgerrecht auf fast die gesamte Reichsbevölkerung aus, um den Personenkreis zu vergrößern, der die spezielle, römischen Bürgern auferlegte Erbschaftssteuer zu zahlen hatte. Vor allem wurde der Silbergehalt des Denars vermindert: von 85 auf 75 % durch Marc Aurel, auf 50 % durch Septimius Severus. Caracalla schuf eine neue Münze, einen Doppeldenar, dessen Silbergehalt praktisch um weitere 35 % vermindert war. Unter Gallienus enthielten die massenhaft geprägten Doppeldenare nur noch 2 % Silber. Dann wollte Kaiser Aurelian das Finanzmanöver Caracallas wiederholen, indem er eine Münze mit dünnem Silberüberzug prägen ließ, die 5 Denare wert sein sollte. Der Denar wurde so zu einer Kreditmünze entwertet.”
“Unter Gallienus enthielten die massenhaft geprägten Doppeldenare nur noch 2 % Silber”
Da das “Drucken von Geld” noch nicht erfunden war, wurde einfach der Edelmetallgehalt bei Münzen gesenkt: Als Folge machte sich Inflation – respektive Währungsverfall – breit. Der wirtschaftliche Zerfall des Römischen Reiches setzte also bereits viel früher ein.
Westrom: “Der Staat reagierte – wie oft in der Geschichte – auf finanzielle Lücken mit Zwangsmaßnahmen”
>>Rechtsgeschichte von Susanne Hähnchen (Buch) <<
“Für den Zerfall und Untergang des Westreiches sind verschiedene Faktoren verantwortlich gemacht worden. Eine monokausale Betrachtungsweise dürfte nicht angemessen sein. Mitursächlich war sicherlich die Überforderung der vorhandenen wirtschaftlichen Kräfte durch den wachsenden Militär- und Beamtenapparat, zumal es keine ins Gewicht fallende Fortentwicklung der Produktionstechnik gab. Der Staat reagierte – wie oft in der Geschichte – auf finanzielle Lücken mit Zwangsmaßnahmen, konnte den Niedergang aber nicht aufhalten, da er keine neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten schuf, sondern die bestehenden sogar eher einengte. Die ökonomische Entwicklung des Dominats ist gekennzeichnet durch Währungsverfall und Rückkehr zur Naturalwirtschaft. Beispielsweise der oströmische Kaiser Diokletian versuchte, dem Niedergang durch eine Reform der Besteuerung (z.T. in Naturalien!) und durch die Festsetzung von Höchstpreisen (das Höchstpreisedikt ist sehr aufschlussreich für das damalige Preisniveau) entgegenzuwirken, jedoch ohne nachhaltigen Erfolg. “
“Überforderung der vorhandenen wirtschaftlichen Kräfte durch den wachsenden Militär- und Beamtenapparat”
Als “Nebenfolge” der Inflation wird gerne übersehen: Nicht nur die Preise steigen, sondern allgemein die Akzeptanz des Geldes nimmt ab. Immer mehr Bereiche der Wirtschaft weichen auf Naturalwirtschaft aus. Sogar Steuerforderungen werden per “Naturalabgaben” beglichen.
“Erheblicher Teil aller Transaktionen des Staates erfolgte auf naturalwirtschaftlicher Grundlage”
>>Römische Geschichte von Klaus Bringmann (Buch) <<
“Die Folge dieser Geldverschlechterung, die mit einer Aufblähung der Geldmenge einherging, war ein starker Preisanstieg, die Entwertung aller hypothekarisch angelegten Gelder sowie der in Geld gezahlten Steuern und Gehälter. Denn um sich einen Vorteil zu verschaffen, hielt der Staat die Fiktion aufrecht, daß der Wert des schlechten neuen Geldes dem des guten alten entspreche. Da aber die Marktpreise stark anstiegen, war er zugleich genötigt, seinen Bedarf durch das Institut des Zwangsverkaufs, bei dem der vom Staat gezahlte Preis weit unter dem Marktwert der betreffenden Güter lag, sowie durch Naturalabgaben und Requirierungen zu decken. Die Bezahlung der Armee wurde so geregelt, daß die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Kleidung den Soldaten zu vorinflationären Preisen berechnet wurde und die verbleibenden Geldzahlungen zu einem großen Teil durch Naturalien abgegolten wurden. Die Folge war, daß der Inflationsdruck noch zusätzlich verstärkt wurde. Denn ein erheblicher Teil aller Transaktionen des Staates erfolgte auf naturalwirtschaftlicher Grundlage, und die stark angeschwollene Geldmenge stand einem zusätzlich reduzierten Warengebot gegenüber. Der Geldwirtschaft wurde schwerer Schaden zugefügt, und eine Rückentwicklung zu Formen der Naturalwirtschaft ist unverkennbar.”
“Folge dieser Geldverschlechterung, die mit einer Aufblähung der Geldmenge einherging, war ein starker Preisanstieg”
Da Preisbremsen – oder damals das Höchstpreisedikt – nicht wirklich funktionierten, griff man offen auf die Bezahlung in Form von Naturalien zurück. Selbstverständlich griff diese Wirtschaftskrise auf ganz andere Bereiche über.
“Krisenprozeß erreichte in den fünfziger und sechziger Jahren des 3. Jahrhunderts n. Chr. seinen Höhepunkt”
>>Geschichte der römischen Kaiserzeit von Karl Christ (Buch) <<
“Der Krisenprozeß erreichte in den fünfziger und sechziger Jahren des 3. Jahrhunderts n. Chr. seinen Höhepunkt. In der „Zeit der dreißig Tyrannen“ drohte die Einheit des Imperiums zu zerbrechen. „Sonderreiche“ spalteten sich ab, die Regionalisierung der Defensive wurde vorherrschend, der Staat konnte sich nur noch mit den härtesten Zwangsmaßnahmen behaupten. Der Wirtschaftsraum löste sich in kleinere Zellen auf, der Rückfall in die Naturalwirtschaft war offensichtlich.”
Römisches Reich: “Wirtschaftsraum löste sich in kleinere Zellen auf, der Rückfall in die Naturalwirtschaft war offensichtlich”
Diese “Sonderreiche” hatten auf lange Sicht keinen Bestand, aber indirekt sah es ein klein wenig anders aus. Das Fränkisches Reich – als Teil des Römischen Reiches – konnte sich eine gewisse Eigenständigkeit bewahren und so jenen Untergang des Weströmischen Reiches überleben. Allerdings machte es später genau da wirtschaftlich weiter, wo das Weströmischen Reich aufgehört hat zu existieren. Zwar wird Karl der Große von vielen Historikern gelobt, aber die archäologischen Funde spiegeln diese Einschätzung mitnichten wider.
Frühes Mittelalter: “Naturalwirtschaft weithin Vorrang hat, ja gegenüber der Antike exponentiell zugenommen hat”
>>Karl der Große von Rolf Bergmeier (Buch) <<
” … gerade die Münzen, das weitgehende Fehlen wertvoller Goldmünzen, das Übergewicht kleiner Münzen, die regional orientierte, auf Warentausch angelegte Bauernwirtschaft und zentrale Kapitularien belegen, dass die Naturalwirtschaft weithin Vorrang hat, ja gegenüber der Antike exponentiell zugenommen hat. Im Übrigen sind Münzfunde im Vergleich mit makroökonomischen Daten und Fakten, wie volkswirtschaftliches Potenzial, Exportströme, Kapitalflüsse, Kreditverhalten, Handelszentren, politisches Klima, Kriegsperioden etc., für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der fränkischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eher nachrangig. … Und Münzfunde in den ostdeutschen Bundesländern können keine Auskunft geben, in welchem Umfang in der DDR Naturalleistungen in Form von »Gibst du mir Wandfarbe, bekommst du von mir Dachziegel« erbracht worden sind und ob die DDR trotz großer Umlaufmengen an Geld langsam dem wirtschaftlichen Tod entgegendämmerte.”
“Umfang in der DDR Naturalleistungen” – “Gibst du mir Wandfarbe, bekommst du von mir Dachziegel”
Der Vergleich mit der DDR-Wirtschaft ist sicherlich zutreffend. Auch zu dieser Zeit wurde viel in Form von Naturalwirtschaft gehandelt. Da die Preise staatlich festgesetzt waren, konnte nicht einfach ein “anderer Preis” ausgehandelt werden. Auch heutzutage sind die verschiedenen Preisbremsen – oder andere Begrifflichkeiten – mit drakonischen Strafen bewährt. Der damaliger DDR-Wirtschaftsminister hat die Hintergründe recht anschaulich dargelegt.
“Stalinistische Auffassung von der Planwirtschaft als Naturalwirtschaft” – “Man brauche nur die Produktion der erforderlichen Erzeugnisse anzuweisen”
>>Um jeden Preis: Im Spannungsfeld zweier Systeme von Günter Mittag (Buch) <<
“Erst 1979 wurde ich erneut in den Staatsrat berufen und 1984 zum stellvertretenden Vorsitzenden des Staatsrates gewählt. All das hing damit zusammen, dass es doch recht weit verbreitetes Unverständnis für die Erfordernisse der Leitung ökonomischer Prozesse gab. Dazu trug die stalinistische Auffassung von der Planwirtschaft als Naturalwirtschaft bei, nach der man von der Annahme ausging, man brauche nur die Produktion der erforderlichen Erzeugnisse anzuweisen. Ökonomie wurde auf Ideologie reduziert. Kampagnen und Wettbewerbe sollten Vorrang vor exakter Leitung und echtem ökonomischem Interesse haben. Da die Ideologie den Vorrang in der Politik der Partei hatte, wurde ihr auch die Wirtschaft untergeordnet. Wer etwas von Ideologie verstand, glaubte auch, von Wirtschaft etwas zu verstehen. So kam es dazu, dass es mit dem VIII. Parteitag unter der Losung »die Wirtschaft ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck« aufgegeben wurde, in die der Wirtschaft eigenen Gesetzmäßigkeiten einzudringen, ihr eine eigenständige und primäre Rolle in der gesellschaftlichen Entwicklung zuzuerkennen. So wurden dann die entscheidenden Prämissen für die ökonomische Entwicklung auf dem VIII. Parteitag von einigen Journalisten, Agitatoren und Propagandisten formuliert – wenn man so will: von Amateuren auf ökonomischen Gebiet. Es waren die, die am Ergebnis, am Verbrauch, aber nicht an Leistung interessiert waren. Etwas »in die Läden geschafft zu haben«, auch wenn es Importe waren, ließ sich gut im eigenen politischen Interesse »verkaufen«.
“
“Ideologie den Vorrang in der Politik” – “Wer etwas von Ideologie verstand, glaubte auch, von Wirtschaft etwas zu verstehen”
Obwohl dieser Text ist eigentlich auf die DDR-Wirtschaft bezogen ist, hört er sich erstaunlich aktuell an. Letztlich lässt sich aus der Geschichte lernen: Die wirtschaftliche Entwicklung lässt sich kaum aufhalten und man sollte sich lieber an andere Beizahlungsmethoden gewöhnen. – Überspitzt: “Gibst du mir Wandfarbe, bekommst du von mir Dachziegel”