Streikverbot und der Wettlauf in der Abwärtsspirale: Gefangen zwischen Lohn- & Sozialkürzungen

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Die Arbeitsverweigerung als Straftat? Zwar ist das Streikrecht im Artikel 9 des Grundgesetzes verankert, aber im Laufe der Zeit in der Praxis mehr zu einer Art von “Kann-Vorschrift” mutiert. Die langfristigen Folgen dieser Entwicklung können weit über teils kleinliche Lohnforderung hinausreichen. Aber wie sieht das Demonstrationsrecht in der Praxis aus?

“Erlaubt sind nur ortsfeste Demonstrationen mit maximal zehn Teilnehmenden”

>>Welt<<

“Die Polizei stoppe Demonstrationszüge, stelle Identitäten fest und nehme Ordnungswidrigkeitsanzeigen auf. … Erlaubt sind nur ortsfeste Demonstrationen mit maximal zehn Teilnehmenden.”

“Die Polizei stoppe Demonstrationszüge, stelle Identitäten fest und nehme Ordnungswidrigkeitsanzeigen auf”

Das Versammlungsrecht des Grundgesetzes ist zu einer Form von Versammlungsordnung zusammengeschrumpft. Ohne Anmeldung ist jede Art von Demonstration ohnehin verboten.

“Streikrecht schützt Arbeitnehmer” – “Wenn sie an einem legitimen Streik teilnehmen”

>>Advocard<<

“Das Streikrecht schützt Arbeitnehmer vor Sanktionen durch den Arbeitgeber, wenn sie an einem legitimen Streik teilnehmen. Streiken darf dabei fast jeder, doch die Auswirkungen sind individuell sehr unterschiedlich. Für alle verboten ist die Teilnahme an sogenannten “wilden Streiks”. … Streiken darf fast jeder, da das Streikrecht im Grundgesetz verankert ist (Artikel 9 Abs. 3 GG). Verboten ist lediglich die Teilnahme an “wilden Streiks”, die nicht die Kriterien der Rechtmäßigkeit erfüllen.”

“Verboten” – “Teilnahme an “wilden Streiks”, die nicht die Kriterien der Rechtmäßigkeit erfüllen”

Die Tücke ist wie so häufig im Detail verborgen. Die Behörden können sehr strenge Auflagen für Demonstrationszüge verhängen und die Höhe der Bußgelder können manchen Menschen leicht die wirtschaftliche Existenz kosten. Wer will unter solchen Voraussetzungen überhaupt noch demonstrieren? Zudem können die Forderungen von Demonstranten einfach ignoriert werden. Allgemeinen ist das Demonstrationsrecht eher ein schwaches Recht, weil sich damit keine verbindlichen Forderungen – anders als bei der Direkten Demokratie – durchsetzen lassen. Trotzdem lassen sich gewisse Missstände bei Arbeitsbedingungen immer weniger kaschieren.

“Der Personalmangel in der Pflege ist seit langem ein Problem”

>>Redaktionsnetzwerk Deutschland<<

“Der Personalmangel in der Pflege ist seit langem ein Problem. … Ein neues Gesetz soll Krankenhäusern eine ausreichende Anzahl an Arbeitskräften vorschreiben.”

“Gesetz soll Krankenhäusern eine ausreichende Anzahl an Arbeitskräften vorschreiben”

Dieses Problem dürfte auf viele Berufszweige zutreffen. Schlechte Arbeitsbedingungen und häufig wird ein Armutslohn gezahlt. Die teils strenge Auflagen für Demonstrationszüge tun das Übrige dazu bei. Die Armutsbetroffenheit nimmt immer mehr zu.

“Unter dem Hashtag #IchbinArmutsbetroffen schildern Menschen mit finanziellen Problemen ihr Leben”

>>Welt<<

“Unter dem Hashtag #IchbinArmutsbetroffen schildern Menschen mit finanziellen Problemen ihr Leben – und stellen gängige Klischees von vermeintlich faulen Arbeitslosen in der sozialen Hängematte infrage. Politische Antworten aber bleiben aus.”

“Gängige Klischees von vermeintlich faulen Arbeitslosen in der sozialen Hängematte” 

Unter solchen Bedingungen nimmt die Arbeitsverweigerung als Straftat eine greifbare Gestalt an. Doch anstatt gegen zu steuern, soll einfach das sozialkulturelle Existenzminimumin minimiert werden: Tatsächlich ist das Existenzminimum schon seit längerer Zeit in der Abwärtsspirale gefangen. Die Masche ist dabei immer dieselbe.

“Für viele Arbeitnehmer würde sich der Job einfach nicht mehr lohnen”

>>Merkel<<

“Für viele Arbeitnehmer würde sich der Job einfach nicht mehr lohnen. Die steigenden Energiepreise setzen besonders Geringverdienern zu – da würde auch die Erhöhung des Mindestlohns … nicht helfen, findet die Jobcenter-Mitarbeiterin.”

Wettlauf in der Abwärtsspirale: Zwischen Lohn- & Sozialkürzungen

Arbeit lohnt sich nicht mehr und deswegen müsse die Grundsicherung gekürzt werden: Dann pendeln sich die Löhne auf den nun neuen niedrigen Niveau ein und erneut taucht das Phänomen “dass sich Arbeit nicht mehr lohne” auf. Diese Entwicklung ist aber nicht erst seit Hartz IV bekannt, sondern bereits im Mittelalter zeichnete sich eine durchaus vergleichbare Situation ab.

Mittelalter: “Verschlechterung der Situation” – “Agrarlöhne einfach eingefroren” – “Hungersnot viele Bauern selbst heimsuchte”

>>Der Schwarze Tod in Europa von Klaus Bergdolt (Buch) <<

“Der Hinweis von De Mussis, daß «Städte, Weiler, Felder, Haine, Wege und alle Gewässer» von Räubern bedroht waren und sich überall Kriminalität ausbreitete, signalisierte die Verschlechterung der Situation ebenso wie die Tatsache, daß die erwähnte Hungersnot viele Bauern selbst heimsuchte. … Landarbeiter, die vor kurzem noch Forderungen gestellt hatten, waren plötzlich arbeitslos, d.h. vom Hungertod bedroht. Aber auch Bauern, die nicht entlassen wurden, erwartete auf Grund von Höchstlohntaxen ein Leben am Rande des Existenzminimums. So wurden im Gebiet von Mantua alle Agrarlöhne einfach eingefroren. Florenz drohte bei Arbeitsverweigerung oder Nichtzahlung von Pachtzinsen mit schweren Strafen. Jeder Landpächter blieb per Gesetz an die Scholle gebunden. Hundert Gulden Strafe drohten demjenigen, der floh, fünfzig Gulden dem Podestà oder Capitano del popolo, der das Gesetz nicht anwandte. Man versuchte, die landwirtschaftliche Krise auf dem Rücken der Pächter beizulegen, die nach einer 1352 erlassenen Vorschrift fünfzig Prozent ihrer Jahreserträge – ungeachtet ihrer katastrophalen Einkommenslage – an die Landeigentümer bzw. den Staat abliefern mußten. Die Kontrolle oblag den Aufsehern von Orsanmichele, wo man einen Getreidespeicher unterhielt.”

“Bauern, die nicht entlassen wurden, erwartete auf Grund von Höchstlohntaxen ein Leben am Rande des Existenzminimums”

Strafen für Arbeitsverweigerung stellen also keine echte Neuigkeit dar. Auch das Menschen mit oder ohne Arbeit am Rande des Existenzminimums lebten war schon damals bekannt. Weder die hohen Steuern noch die dahinter liegende größere wirtschaftliche Misere wollten die damaligen Entscheidungsträger zur Kenntnis nehmen. Etwas vergleichbares hat sich auch im Gulag-System – inklusive der Kriminalität – in der Sowjetunion zugetragen.

Gulag-System unter Stalin: “Wahrscheinlichkeit größer, durch einen Messerstich als durch Hunger und Krankheit zu sterben”

>>Stalin – Eine Biographie von Klaus Kellmann (Buch) << 

“Es ist wenig überraschend, dass sich hier rivalisierende Häftlingsbanden bildeten, bereit zum Widerstand, geeint in einer Art ‚Solidarität der Verlorenen‘, zerstritten aber, was die Führungsrolle im Lager betraf. 1951 gingen wegen Arbeitsverweigerung im gesamten Gulag eine Million Arbeitstage verloren, und die Unruhen in den so genannten Sonderlagern häuften sich. Inzwischen war dort die Wahrscheinlichkeit größer, durch einen Messerstich als durch Hunger und Krankheit zu sterben. Auf einer im März 1952 in Moskau stattfindenden Konferenz hieß es unumwunden: „In manchen Lagern sind einige Gruppen bereits dabei, die internen Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen.“ Alle – außer Stalin – erkannten, „dass die Lager verschwenderisch, korrupt und unproduktiv, kurz, ein aufwändiges Verlustgeschäft waren“.Immer schwieriger wurde es, die tufta, die gefälschten Bilanzen, zu durchschauen, an denen offensichtlich einzelne Rädelsführer mitwirkten.”

Gulag-System unter Stalin: “De Lager verschwenderisch, korrupt und unproduktiv, kurz, ein aufwändiges Verlustgeschäft waren” 

Natürlich haben die Häftlinge für ihre Arbeit keinen Lohn erhalten: Trotzdem ist es ein wirtschaftlicher Fehlschlag gewesen. Weder die Sicherheit innerhalb dieser Lager, noch nicht mal die Ernährung konnte sicher gestellt werden.