“Wirtschaftskraft und soziale Stabilität der Lausitz basieren vorrangig auf dem einheimischen Rohstoff Braunkohle”
Droht der Region eine Abwanderung, insbesondere von jungen Menschen, ähnlich der Situation von 1989 und den darauf folgenden Jahren? Ein solcher Fachkräfteexodus könnte die Lausitz erneut überfordern. In der Tat ist dies keine gänzlich neue Einsicht; bereits die Domowina hatte früher diese Auffassung vertreten.
“Seit vielen Jahrzehnten wird in der Lausitz, in traditionell sorbischem Siedlungsgebiet, Braunkohle gefördert. Braunkohlebergbau hat die Siedlungsstruktur, die Landschaft und die Menschen in der Lausitz geprägt. Wirtschaftskraft und soziale Stabilität der Lausitz basieren vorrangig auf dem einheimischen Rohstoff Braunkohle. Dieser hat mit dem deutschen Ausstieg aus der Kernenergie trotz zunehmendem Ausbau der erneuerbaren Energien auch für die sichere und wettbewerbsfähige Energieversorgung Deutschlands weiter an Bedeutung gewonnen. Auch in der Zukunft wird deshalb die Braunkohlegewinnung in der Lausitz ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Region bleiben. Die Gewinnung der Braunkohle in den Tagebauen führt zwangsläufig sowohl zu positiven als auch negativen Veränderungen der Lebensverhältnisse der in der Region lebenden Menschen. Nach 1990 wurde der Sozialverträglichkeit aller im Zusammenhang mit der Rohstoffgewinnung stehenden Maßnahmen eindeutigen Vorrang eingeräumt. Dies gilt in besonderer Weise für den „Lausitzer Weg“ bei Umsiedlungen. Den Verantwortlichen war und ist es besonders wichtig, dabei auch die Belange der sorbischen Bevölkerung zu berücksichtigen und in besonderer Weise zu würdigen. Der Erhalt der sorbischen Sprache, der sorbischen Bräuche und Tradition liegt im ausdrücklichen Interesse des Bergbauunternehmens.”
“Seit vielen Jahrzehnten wird in der Lausitz, in traditionell sorbischem Siedlungsgebiet, Braunkohle gefördert”
Dieser Text entstammt einer gemeinsamen Erklärung. Inzwischen hat sich jedoch die politische Position gewandelt, was auch die Perspektive der Domowina beeinflusst hat. Als angeblicher Bestandteil der Zivilgesellschaft vertritt sie nun das genaue Gegenteil, obwohl sie weiterhin auf öffentliche Mittel angewiesen ist und die faktische Grundlage sich keineswegs verändert hat.
“Die Lausitz: Landschaftlich eine Oase, wirschaftlich eher Wüste”
“Die Lausitz: Landschaftlich eine Oase, wirschaftlich eher Wüste. Industriezentren Fehlanzeige, Dauerplatz im Keller des deutschen Lohnatlas, Infrastruktur mit Aufholbedarf. Die Folgen: schleichende Abwanderung, Überalterung, Verödung. … Das Braunkohlerevier als größter Arbeitgeber der Region schafft hier den Gegentrend zur Landflucht. Industriearbeitsplätze mit Tariflohn und vielfältige Ausbildungsmöglichkeiten sind entscheidend, wenn es darum geht, ob die Jungen gehen oder bleiben.”
“Die Lausitz” – “Industriezentren Fehlanzeige, Dauerplatz im Keller des deutschen Lohnatlas”
Abgesehen vom Lausitz-Revier und dessen Zulieferern existieren nur wenige hochbezahlte Arbeitsplätze in der Industrie. Durch die Energiekrise haben zudem zahlreiche weitere Unternehmen schließen müssen, was die wirtschaftliche Lage zusätzlich verschärft hat.
“Kohleausstieg in der Lausitz rückt immer näher”
>>Technische Universität Dresden<<
„Der Kohleausstieg in der Lausitz rückt immer näher. Eine der Folgen für die Region ist der Jobverlust. Die damit verbundene Sorge der Bevölkerung ist daher sehr berechtigt. … Im Umfeld dieses Großforschungszentrums würden sich zahlreiche Unternehmen ansiedeln, angefangen von Start-ups bis hin zu Niederlassungen der größten europäischen Bauunternehmen. „Wir sind fest davon überzeugt, dass wir auf diese Weise der Lausitzer Bevölkerung eine realistische Zukunftsperspektive bieten können.“
“Wir auf diese Weise der Lausitzer Bevölkerung eine realistische Zukunftsperspektive bieten”
Diese akademische Überzeugung scheint jedoch in der Lausitz auf geringe Zustimmung zu treffen. Etwa jeder zweite junge Mensch beabsichtigt, die Lausitz zu verlassen, um andernorts eine berufliche Perspektive zu suchen.
„Jeder zweite junge Mensch im Alter zwischen 18 und 29 Jahren“ – „Plant aus der Lausitz innerhalb der nächsten 2 Jahre wegzuziehen“
„Insgesamt ist es für jeden zehnten Lausitzer (10 Prozent) wahrscheinlich, innerhalb der nächsten 2 Jahre aus der Region wegzuziehen. Die Wegzugsbereitschaft ist vor allem in der jungen Generation hoch. Fast jeder zweite junge Mensch im Alter zwischen 18 und 29 Jahren (45 Prozent) plant aus der Lausitz innerhalb der nächsten 2 Jahre wegzuziehen.“
„Jeden zehnten Lausitzer“ – „Wahrscheinlich, innerhalb der nächsten 2 Jahre aus der Region wegzuziehen“
Selbst die Hochschulen haben anscheinend heimlich ihre eigenen positiven Zukunftsvisionen aufgegeben. Aus einer wissenschaftlichen Perspektive betrachtet, wirkt die Lausitz wie ein übergroßes Experimentierfeld für Menschen. Die Soziologen kommen dort regelmäßig zusammen.
„Untersuchung geht den sozialen und ökologischen Konflikten um die Braunkohle in der Lausitz nach“
„Studie »Nach der Kohle II« erschienen – Die Untersuchung geht den sozialen und ökologischen Konflikten um die Braunkohle in der Lausitz nach.“
„Studie »Nach der Kohle II« erschienen“
„Im Diegesis, dem interdisziplinären E-Journal für Erzählforschung, ist nun ein wissenschaftlicher Artikel über unser Veranstaltungsformat Erzählsalon erschienen. Der Soziologe und Kommunikations- und Medienwissenschaftler Dr. Ralph Richter und der Soziologe Nepomuk Rohnstock begleiteten für diesen Artikel das Lausitz-Projekt von Beginn an.“
“Soziologe Nepomuk Rohnstock begleiteten für diesen Artikel das Lausitz-Projekt von Beginn an”
Im Rahmen des angekündigten Kohleausstiegs stehen für diese Forschungsrichtung zahlreiche staatliche Fördermittel zur Verfügung. Eine kritische Analyse der sich abzeichnenden wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen ist jedoch schwer zu finden. Offenbar lassen sich für derartige Studien keine öffentlichen Mittel mobilisieren. Die wissenschaftliche Perspektive wird somit auf einen einzigen Betrachtungswinkel beschränkt. Obwohl dies kaum mit den Grundsätzen der Wissenschaft in Einklang steht, scheint es niemanden wirklich zu stören. Ebenso wenig stört es, dass die Sozialforscher sich – im übertragenen Sinne – in der Lausitz gegenseitig auf die Füße treten.
“Auf der Suche nach der Empirie des Kohleausstiegs strömen Sozialforscher in die Lausitz”
„Auf der Suche nach der Empirie des Kohleausstiegs strömen Sozialforscher in die Lausitz. Dort treffen sie: andere Sozialforscher. Die Sozialforschung hat die Lausitz entdeckt. Aus allen Richtungen strömen neuerdings Wissenschaftler in den tiefen Osten, um Leute und Land zu untersuchen.“
“Sozialforschung hat die Lausitz entdeckt”
Anstelle von Arbeitsplätzen in der Industrie hat der Ausstieg aus der Kohlenutzung offenbar eine wahre Fundgrube für Sozialwissenschaftler geschaffen. Übertrieben formuliert: Wenn ein Ingenieur aus dem Lausitzer Revier plötzlich als Reinigungskraft für einen Sozialforscher tätig wird, bedarf es keiner weiteren Erläuterung, um seine Unzufriedenheit nachzuvollziehen. Im Kontext des Wandels der Staatsräson im Lausitzer Revier hat sich zudem die Perspektive der Domowina vollständig verändert.
“Delegierten der sorbischen Vereine” – Soll jenes eine rechtsstaatliche Interessenvertretung sein?
„Die Domowina ist doppelt demokratisch legitimiert: nach innen als Dachverband von zweihundert sorbischen Zusammenschlüssen mit ihren Vertreterinnen und Vertretern, die von den gewählten Delegierten der sorbischen Vereine bestimmt worden sind; nach außen als gesetzlich anerkannte Vertreterin sorbischer Interessen in Sachsen und Brandenburg. So haben wir neulich erst erreicht, dass sogar Bundestag und Bundesrat die Interessen des sorbischen Volkes im Strukturstärkungsgesetz für die Braunkohlereviere verankert haben, und jetzt werden wir an der Festlegung und Umsetzung konkreter Maßnahmen der Förderung sorbischer Sprache und Kultur mitwirken.“
Abwanderung und Arbeitsplatzverlust: Sollen alles Nicht-Themen der Domowina sein?
Die Unterstützung der sorbischen Sprache und Kultur oder vielmehr die finanzielle Zuwendung an den Verein Domowina? – Immerhin gibt es im Zusammenhang mit dem Kohleausstieg erhebliche staatliche Fördermittel zu ergattern: Für derartige Beträge könnte man einer Regierung schon einmal nach dem Mund reden? – Doch dienen diese Mittel tatsächlich den Belangen der Sorben? Denn die Technische Universität Dresden hat ein ganz anderes zentrales Anliegen der Sorben identifiziert.
„Das größte Problem sei jedoch die massive Abwanderung vieler Sorben aus beruflichen Gründen“
>>Technische Universität Dresden<<
„Die Sorgen der Sorben – Das größte Problem sei jedoch die massive Abwanderung vieler Sorben aus beruflichen Gründen. Abseitig aller Finanzierungsfragen ist dies wohl das größte Problem der kleinen Kultur.“
Abwanderung von Sorben: „Abseitig aller Finanzierungsfragen ist dies wohl das größte Problem der kleinen Kultur“
Was äußert die Domowina eigentlich zur erheblichen Abwanderung vieler Sorben aus beruflichen Motiven? – Nichts, selbst auf Nachfrage sind sie nicht in der Lage oder bereit, eine Auskunft zu geben. Die Abwanderung der Sorben betrifft zudem grundlegende Fragen ihrer Existenz. Zuweilen verkündet die Domowina in einer gemeinsamen Erklärung sogar öffentlich das genaue Gegenteil, was die Glaubwürdigkeit in Frage stellt. Gleichzeitig existieren innerhalb der sorbischen Gemeinschaft vollkommen unterschiedliche Meinungen zum Lausitzer Revier.
“Sorben fordern angemessenen Return für abgeschöpfte Milliardenwerte”
“Sorben fordern angemessenen Return für abgeschöpfte Milliardenwerte – Die Sorben, eine der ältesten Minderheiten Deutschlands, fordern jetzt die demokratische Selbstbestimmung und einen angemessenen Return für aus der Lausitz abgeschöpfte Milliardenwerte. Die Lausitz ist ein an Bodenschätzen, wie Kupfer und seltenen Erden, reiches Land. Tief in der Lausitzer Erde wurde auch Neodymium gefunden, das zur Herstellung von Windturbinen benötigt wird.”
“Demokratische Selbstbestimmung und einen angemessenen Return für aus der Lausitz abgeschöpfte Milliardenwerte”
Ähnliche Diskussionen finden auch an anderen Orten statt. Unter dem Slogan “It’s Scotland’s oil” wird darauf hingewiesen, dass die Öl- und Gasreserven größtenteils im schottischen Gebiet liegen, jedoch überwiegend England zugutekommen. Anstelle eines Kohleausstiegs wäre es wahrscheinlich sinnvoller, eine größere finanzielle Mitwirkung der Lausitzer Sorben in Betracht zu ziehen.