“Antifiskalischen Bürgerkrieg”- Warum hochtrabende Berühmtheiten zwischen Brutto- und Nettosteuerzahlern nicht unterscheiden können?
Brutto mit Netto verwechselt und deshalb zum “antifiskalischen Bürgerkrieg” aufrufen? Besonders das nötige Wissen zur Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettosteuerzahlern ist heutzutage kaum noch vorhanden. Mittlerweile hat es sogar akademische Kreise erreicht und die bauen ganze umstrittene ökonomische Vorstellung darauf auf. Hört sich nach einer unglaubwürdigen Geschichte an? – Vielleicht aber auch nicht: Denn die Originalzitate lassen wenig Spielraum zur Interpretation übrig.
Diät-Empfänger als Bruttosteuerzahler? – “Und ich zahle daraus nicht nur Steuern, ich kaufe davon auch jeden Tag ein”
“Der Twitter-Nutzer Michael Johansen fragte … deshalb am Donnerstag nach der Rechtfertigung des Gehaltes, was „durchaus interessant“ sei. Denn „ich zum Beispiel arbeite im Einzelhandel und finanziere damit einen Teil ihrer Diäten.“ … Antwort: „Und ich zahle daraus nicht nur Steuern, ich kaufe davon auch jeden Tag ein. Wer finanziert jetzt wen?“
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“Ich zum Beispiel arbeite im Einzelhandel und finanziere damit einen Teil ihrer Diäten”
Ob hier wirklich der Unterschied zwischen Brutto- und Nettosteuerzahlern bekannt sei? Doch diese kurze Einlassung stellt kein bedauerlicher Einzelfall, sondern vielmehr eine tiefere innere Überzeugung dar. Eine riesige Gruppe an Menschen wird entweder direkt oder indirekt großzügig vom Staat finanziert. Kurzum: Ihr Einkommen wird aus Steuern oder staatlichen Abgaben finanziert. Doch sicherlich nicht wenige von ihnen sehen es völlig anders: Denn aus ihrer Perspektive sehen sie sich selbst nicht als Transfernehmer an, sondern sie selbst werden ganz schlimm durch Steuern ausgebeutet.
“Antifiskalischen Bürgerkrieg”- Warum geben sich Beamte eigentlich als Bruttosteuerzahler aus?
>>Sabotage von Jakop Augstein (Buch) <<
“Sloterdijk war auf die Idee gekommen, dass tatsächlich eine Ausbeutung stattfindet. Aber, und das ist wirklich mal was Neues, die Armen sind die Ausbeuter: »An der neuen politischen Front stoßen zwei finanzpolitische Großgruppen aufeinander: hier die Transfermassengeber, die aufgrund von unhintergehbaren Steuerpflichten die Kassen füllen, dort die Transfermassennehmer, die aufgrund von festgelegten Rechtsansprüchen die Kassen leeren.« Sloterdijk hat nämlich festgestellt, dass die »voll ausgebauten Steuerstaaten« jedes Jahr »die Hälfte aller Wirtschaftserfolge ihrer produktiven Schichten für den Fiskus« reklamieren, »ohne dass die Betroffenen zu der plausibelsten Reaktion darauf, dem antifiskalischen Bürgerkrieg, ihre Zuflucht nehmen«. Ein solcher Bürgerkrieg – man erinnert sich auch an den Aufruf Arnulf Barings aus dem Jahr 2002: »Bürger auf die Barrikaden« – wäre nach dieser Lesart also durchaus gerechtfertigt.”
“Jedes Jahr »die Hälfte aller Wirtschaftserfolge ihrer produktiven Schichten für den Fiskus« reklamieren”
“Antifiskalischen Bürgerkrieg” – Mit solche radikalen Äußerungen hätte jeder andere Normalbürger längst Besuch vom Staatsschutz bekommen. Allerdings sollte die Vita der Person zu denken geben.
“Sloterdijk” – “Als Rektor der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe ist er Beamter”
>>Hurra, wir dürfen zahlen von Ulrike Herrmann (Buch) <<
“Sloterdijk schließt von sich auf andere. Dieser Tunnelblick ist immer gefährlich. Als Rektor der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe ist er Beamter – und also nicht damit belastet, in die Rentenkassen oder in die Arbeitslosenversicherung einzuzahlen. Für die meisten Bürger sind aber die Sozialabgaben die eigentliche Bürde. Selbst die Ärmeren werden nicht geschont. Bei einem alleinstehenden Geringverdiener machen Steuern und Sozialabgaben inzwischen 47,3 Prozent der Arbeitskosten aus, wie die OECD ermittelt hat.”
“Für die meisten Bürger sind aber die Sozialabgaben die eigentliche Bürde” – “Selbst die Ärmeren werden nicht geschont”
Vereinfacht: Selbst üppige Alimentationsleistungen des Staates beziehen und dann in seiner Beamtenstube über einem “antifiskalischen Bürgerkrieg” philosophieren? Dieser Tunnelblick eines Beamten ist eigentlich wenig verwunderlich, da es mit der Welt eines Arbeitnehmers nicht viel zu tun hat.
“Insgesamt besteht mehr als die Hälfte des effektiven Gesamteinkommens eines Beamten aus steuerfreien Alimentationsleistungen”
>>Beamte – Was die Adeligen von heute wirklich verdienen von Torsten Ermel (Buch) <<
“Insgesamt besteht mehr als die Hälfte des effektiven Gesamteinkommens eines Beamten aus steuerfreien Alimentationsleistungen. Und dieses »Schatteneinkommen« ist nicht nur steuerfrei, es unterliegt auch nicht dem Progressionsvorbehalt. Es erhöht also nicht, wie z. B. im Falle von Krankengeld oder Elterngeld, die Steuerlast für die wirklich steuerpflichtigen Einnahmen.”
Beamte: “Und dieses »Schatteneinkommen« ist nicht nur steuerfrei, es unterliegt auch nicht dem Progressionsvorbehalt”
Hintergrund: Zum hohen Grundeinkommen eines Beamten kommen zahlreiche “Zuschläge” oben drauf und diese werden manchmal als “Schatteneinkommen” zusammengefasst. Es fallen für Beamte also nicht nur die Sozialabgaben weg, sondern es werden zusätzliche Alimentationsleistungen gezahlt. Aus so einer komfortablen Situtation kann man dann über “revolutionäre Ideen” wunderbar nachdenken und diese geben sie völlig ungeniert zu Protokoll.
Sozialleistungen: “Umwandlung in Geschenke” – “So wird die allgemeine Wohlfahrt zu einer Frage des Charakters”
>>Gute-Macht-Geschichten von Daniel Baumann & Stephan Hebel (Buch) <<
“Sloterdijks Vorschlag: »Die einzige Macht, die der Plünderung der Zukunft Widerstand leisten könnte, hätte eine sozialpsychologische Neuerfindung der >Gesellschaft< zur Voraussetzung. Sie wäre nicht weniger als eine Revolution der gebenden Hand. Sie führte zur Abschaffung der Zwangssteuern und zu deren Umwandlung in Geschenke an die Allgemeinheit – ohne dass der öffentliche Bereich deswegen verarmen müsste.« So wird die allgemeine Wohlfahrt zu einer Frage des Charakters.”
“Umwandlung in Geschenke an die Allgemeinheit – ohne dass der öffentliche Bereich deswegen verarmen müsste”
In seiner Gedankenwelt sollen die Sozialleistungen radikal gekürzt werden, während seine eigene gesellschaftliche Schicht hiervon selbstverständlich ausgeklammert bleibt.
“Der Staat streift seine Samthandschuhe ab”
>>Der Staat streift seine Samthandschuhe ab von Peter Sloterdijk (Buch) <<
“Reflexhaft wurde unterstellt, man (genauer: die neoliberale Frivolität) wolle die Steuern abschaffen und sie durch sporadische wohlgemeinte Geschenke seitens narzißtischer Wohlhabender an den Staat ersetzen. Dies freilich hieß, die Rechnung ohne die Ambivalenz der Gabe zu machen, zudem die steuertheoretischen Implikationen von Marcel Mauss’ Gabentheorie zu verkennen. Wenn, wie der große Gelehrte gezeigt hat, die Gabe die Basis aller Ökonomien ist, alle Ökonomie (sofern sie nicht auf Plünderung regrediert) aber auf der Doppelnatur der Gabe als freies Geschenk und als Verpflichtung zur Erwiderung beruht, so liegt auf der Hand, daß auch jeder verpflichtend zu entrichtenden Steuer zugleich ein Gabencharakter zukommt.”
“Gabe als freies Geschenk und als Verpflichtung zur Erwiderung beruht”
Damit es nicht so auffällt, ist es in langen unverständlichen Sätzen gekleidet. Dieser Sozialdarwinismus stellt bestimmt keine Neuigkeit dar, sondern reicht bis mindestens in die NS-Zeit zurück. Dessen Vordenker lassen sich sogar im 19. Jahrhundert verorten. Vereinfacht: Im Endeffekt soll die Unterschicht weniger erhalten, während die Oberschicht ihre Privilegien ausbaut. Und Sozialleistungen sollen nur noch in Form einer “Gabe als freies Geschenk” bestehen. Das dürfte vermutlich viele Beamte als Sachbearbeiter von Sozialanträgen freuen. Peter Sloterdijk soll hier nur mal als exemplarisches Beispiel – unter vielen vergleichbaren Theoretikern – aufgeführt werden.