“War da etwa jemand in der Wohnung?” – “Der Staat selbst als Hacker unterwegs ist, ist sehr umstritten”
Die heimliche Wohnungsdurchsuchung mit Staatstrojaner. Dabei hat der Staat die Befugnis, unbemerkt in Wohnungen einzudringen und Spionagesoftware auf Computern zu installieren. Diese Maßnahme wirft ernsthafte Fragen zur Vertrauenskrise zwischen Bürger und Staat auf. Wo liegt der Unterschied zum Vorgehen eines kriminellen Einbrechers?
“Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach Hause: Der Sessel scheint nicht genau da zu stehen, wo er immer steht”
“Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach Hause: Der Sessel scheint nicht genau da zu stehen, wo er immer steht. Und die Zahnbürste liegt links vom Zahnputzbecher statt wie üblich rechts davon. War da etwa jemand in der Wohnung? Bisher konnte man ausschließen, dass die Polizei heimlich die Wohnung durchsucht hat, denn das darf sie bisher nicht.”
“Bisher konnte man ausschließen, dass die Polizei heimlich die Wohnung durchsucht hat”
Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist hier nicht ausreichend gewährleistet. Solche heimlichen Wohnungseinbrüche und -durchsuchungen gehören nicht in eine Demokratie, in der Rechtsstaatlichkeit und individuelle Freiheit geschützt werden sollen. Sie gehören eher zum Repertoire von Staaten, die sich nicht an rechtsstaatliche Prinzipien halten.
“Der Staat selbst als Hacker unterwegs ist, ist sehr umstritten”
>>Nachts im Kanzleramt von Marietta Slomka (Buch) <<
“Von einem Staatstrojaner ist die Rede, wenn staatliche Geheimdienste und die Polizei damit Verdächtige beschatten. Dass der Staat selbst als Hacker unterwegs ist, ist sehr umstritten. Denn Staatstrojaner und andere Schnüffelinstrumente sind super, solange damit die wirklich Bösen bekämpft werden, wie Terroristen oder Mafiosi. Aber was, wenn sie in die falschen Hände geraten? Oder der Staat selbst den Boden der Verfassung verlässt und Lust hat, Oppositionspolitiker, Journalisten und normale Bürger ohne guten Grund zu bespitzeln?”
“Staat selbst den Boden der Verfassung verlässt und Lust hat, Oppositionspolitiker, Journalisten und normale Bürger ohne guten Grund zu bespitzeln”
In der Tat ist der Staatstrojaner mittlerweile ein fester Bestandteil der verfügbaren Werkzeuge geworden, und in der praktischen Anwendung sind kaum Grenzen für seinen Einsatz zu erkennen. Selbst Internetdienstanbieter sind verpflichtet, bei der Verbreitung dieses Staatstrojaners Unterstützung zu leisten. Vor diesem Hintergrund erscheint das Recht auf Vertraulichkeit und die Integrität von informationstechnischen Systemen wie eine schwache Erinnerung.
“Wussten Sie, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland heute 19 Geheimdienste haben?”
>>Kapitalschutz first von Markus Miller (Buch) <<
“Wussten Sie, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland heute 19 Geheimdienste haben? Das ist ein Fakt, der auch für unbescholtene Bürger zunehmend gravierende Folgen mit sich bringt. Diese Geheimdienste dürfen Sie überwachen und sogar hacken. Was sich auf den ersten Blick wie eine Verschwörungstheorie anhört, wurde am 10.6.2021 Realität. An diesem Tag nahm der Bundestag das Gesetz zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts an. Dieses Gesetz beinhaltet eine ganze Reihe an Maßnahmen, die es staatlichen Organen sogar erlaubt, Ihre Handys, Laptops, Computer zu hacken und zu überwachen. Internetprovider werden in Deutschland dazu verpflichtet mitzuhelfen, diesen Staatstrojaner zu verbreiten. Das neue Gesetz öffnet darüber hinaus auch die digitale Tür für eine präventive Überwachung der Menschen.”
“Die es staatlichen Organen sogar erlaubt, Ihre Handys, Laptops, Computer zu hacken und zu überwachen”
Es ist durchaus möglich, dass es noch zahlreiche weitere Geheimdienste gibt, da einige Institutionen fragwürdige Unterabteilungen eingerichtet haben, die in der Praxis wie Geheimdienste agieren. Zudem ist der Einsatz von Staatstrojanern wesentlich schneller verfügbar, als viele Menschen annehmen. Immer dann, wenn die Strafverfolgungsbehörden stagnieren und keine Fortschritte erzielen, greifen sie häufig auf Mittel zurück, die sehr bedenklich erscheinen. Dabei bleibt stets die Frage offen, wo die angeblich “erlaubte List” aufhört und wo die unzulässige Täuschung des Bürgers beginnt.
“In den Raum hineingehört werden, in dem sich das Gerät gerade befindet – auch ohne dass mit dem Handy gerade telefoniert werden muss”
>>Inside Strafverteidigung von Burkhard Benecken & Hans Reinhardt (Buch) <<
“Wenn der Staatstrojaner installiert ist (beispielsweise über eine infizierte E-Mail), werden die Nachrichten schon vor der Verschlüsselung abgegriffen und ausgeleitet. Die gesetzliche Grundlage der sogenannten Online-Durchsuchung in Deutschland ist § 100b StPO. Mit ganz bestimmter Überwachungssoftware kann sogar in den Raum hineingehört werden, in dem sich das Gerät gerade befindet – auch ohne dass mit dem Handy gerade telefoniert werden muss. … Immer wenn die Strafverfolgungsbehörden auf der Stelle treten und nicht weiterkommen, wird vielfach zu Mitteln gegriffen, die äußerst fragwürdig erscheinen. Es stellt sich dabei immer die Frage, wo die erlaubte List endet und die verbotene Täuschung bei der Jagd auf Verbrecher beginnt.”
“Wo die erlaubte List endet und die verbotene Täuschung bei der Jagd auf Verbrecher beginnt”
Es handelt sich hierbei nicht um “Verbrecher”, sondern um Bürger, für die eigentlich die Unschuldsvermutung gelten sollte. Bereits die gewählte Sprache verdeutlicht eindrucksvoll, wie gering der Respekt vor dem Recht geworden ist, und genau an diesem Punkt beginnt eine tiefgreifende Vertrauenskrise.
“Herrschaftswissen, dass ich nichts über den Staat wissen darf”
>>Bestseller Die große Vertrauenskrise von Sascha Lobo (Buch) <<
“Was die große Vertrauenskrise angeht, ist durch die staatlichen Überwachungsexzesse des 21. Jahrhunderts (von NSA über Staatstrojaner bis Vorratsdatenspeicherung) in Verbindung mit dem Prinzip Herrschaftswissen eine höchst destruktive Dissonanz entstanden: Überwachung bedeutet, dass der Staat von mir als Bürger*in alles wissen will, aber umgekehrt heißt Herrschaftswissen, dass ich nichts über den Staat wissen darf. Diese Bigotterie resultiert direkt aus dem Clash zwischen der von-Rochow’schen Untertanenverachtung und dem Informationsanspruch aufgeklärter liberaler Demokratien des 21. Jahrhunderts, in denen die Öffentlichkeit gerade durch das Netz die Mächtigen besser kontrollieren möchte, als sie es bisher zulassen. Eine Diskrepanz, die zum Vertrauensverlust beiträgt.”
“Eine Diskrepanz, die zum Vertrauensverlust beiträgt”
Wie gelange ich unauffällig in eine Wohnung? Oder, wie kann ich heimlich ein Schadprogramm auf einem Gerät installieren? Diese Fragen sind grundsätzlich solche, die in einem Rechtsstaat nicht aufgeworfen werden sollten, was selbstverständlich zu einem Verlust des Vertrauens führt.