Vermeintlich magische Rituale – Die juristische “Hexenverfolgung” in der Antike

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Es war im Rahmen der Machtlogik nur folgerichtig, dass seit der Ära Konstantins des Großen – der künftig als christlicher Herrscher auftrat – magische Praktiken in der römischen Welt mit besonderem Argwohn betrachtet und bestraft wurden. Konstantin sowie seine Nachfolger Constantius II., Valens, Valentinian I. und Theodosius I. haben die gesetzlichen Regelungen ausgeweitet und die Strafen verschärft. Allerdings war die Magie bereits viel früher ins Blickfeld der Juristen geraten. Die Zwölf Tafeln beinhalteten bereits Vorschriften gegen Schadenszauber. Auf den zwölf bronzenen Tafeln, die im Forum aufgestellt waren, wurde die erste schriftliche Sammlung von Gesetzen der Republik festgehalten, die von einer vom Senat eingesetzten Kommission aus zehn Mitgliedern in der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. erstellt wurde.

Die Tafel VIII befasste sich mit Fällen von Schadenszauber. Mit dem Tod wurde bestraft, «wer böse Lieder anstimmt» – qui malum carmen incantassit – also wer durch Zaubersprüche versuchte, anderen Schaden zuzufügen. Die Zwölf Tafeln schufen den notwendigen rechtlichen Rahmen für das Leben einer noch weitgehend agrarisch geprägten Gesellschaft. Magische Praktiken schienen vor allem dann problematisch, wenn sie mit landwirtschaftlichen Belangen in Verbindung standen. Auch die Todesstrafe drohte demjenigen, «wer Feldfrüchte heraussingt» – qui fruges excantassit – und «wer fremde Saat herüberlockt» – alienam segetem pellexeris – mit anderen Worten: wer versuchte, sich durch Magie die Ernte oder Aussaat seines Nachbarn anzueignen. Solchen Gesetzen lag die Überzeugung zugrunde, dass man durch das Aussprechen magischer Formeln seinen Mitmenschen Schaden zufügen konnte. Daher war es notwendig, entsprechende Rituale gesetzlich zu verbieten.

Den detaillierten Bericht über einen Prozess, der auf Grundlage des Gesetzes gegen das «Herüberlocken» fremder Aussaat geführt wurde, verdanken wir dem älteren Plinius. Demnach wurde im Jahr 191 v. Chr. der Freigelassene Gaius Furius Chresimus aufgrund dieses Gesetzes angeklagt, weil er auf seinem kleinen Feld einen deutlich höheren Ertrag erzielte als alle Nachbarn auf ihren wesentlich größeren Parzellen. Ankläger war der kurulische Ädil Spurius Postumius Albinus, ein Patrizier und späterer Konsul.

Die Gegenpartei war somit wirtschaftlich potenter und politisch einflussreicher als der beschuldigte Freigelassene. Zur Verhandlung auf dem Forum brachte Chresimus seine Arbeitskräfte, seine Gerätschaften und sein Vieh mit: gesunde, gut gekleidete Knechte und Mägde, solide gearbeitete Werkzeuge und wohlgenährte Ochsen. Den Richtern rief er sinngemäß zu: Das sind meine Zauberwerkzeuge, römische Bürger! Meine nächtliche Arbeit, mein Wachen und meinen Schweiß kann ich Euch allerdings nicht zeigen. Die Jury sprach den Bauern einstimmig frei.

Die Nachbarn, die Chresimus seinen Erfolg neiden, hätten ihn nicht mit der Anklage konfrontiert, er habe Saaten herübergelockt, wenn der Vorwurf des Schadenszaubers von vornherein unglaubwürdig gewesen wäre. Sie setzten darauf, dass die Geschworenen schwarze Magie für real hielten und Chresimus entsprechende Praktiken zutrauten. Der Angeklagte konnte jedoch die Jury von der Haltlosigkeit des Vorwurfs überzeugen und plausibel darlegen, dass sein Acker nicht durch Zauberei, sondern durch harte Arbeit und klug investiertes Geld so ertragreich war. So gelang es Chresimus, den Prozess gegen die Ankläger zu wenden und nachzuweisen, dass der Vorwurf der Magie für die neidischen Nachbarn lediglich ein Vorwand war, um den unerwünschten Konkurrenten loszuwerden.

Das Urteil spiegelt ein gesellschaftliches Klima in der späten Republik und frühen Kaiserzeit wider, das deutlich aufgeklärter war und in dem zumindest Intellektuelle Zaubersprüche und herübergesungene Feldfrüchte für Hokuspokus hielten, auch wenn der sprichwörtliche einfache Mann nach wie vor fest daran glauben mochte. Cicero nahm in seiner Schrift De natura deorum, «Über das Wesen der Götter», eine grundlegende Unterscheidung zwischen religio und superstitio vor.

Während sich religio grob mit «Religion» übersetzen lässt und sich auf das Ensemble traditionell heiliger Praktiken im Umgang mit den Göttern bezieht, umfasst superstitio «Aberglaube», alle möglichen Glaubensvorstellungen und Rituale zusammenfassen, die Cicero als Hirngespinste betrachtet. Religio sei durch Vernunft bestimmt, da es rational sei anzunehmen, dass die Welt durch göttliche Wesen geschaffen und geordnet worden sei. Superstitio hingegen «hat sich über die Völker ergossen, hat das Denken fast aller unterworfen und sich der Schwäche der Menschen bemächtigt». Sie sei nur dazu da, um den Menschen Angst einzujagen und müsse daher mit Stumpf und Stil ausgerottet werden. Cicero äußert es zwar nicht ausdrücklich, doch liegt es nahe anzunehmen, dass auch die im magischen Volksglauben verwurzelten Rituale für ihn in die Kategorie superstitio fallen würden. In seinen Naturales quaestiones widersprach Seneca energisch der Auffassung, dass Magie etwas bewirken könne.

Im vierten Buch seines Werkes über verschiedene Naturphänomene diskutiert er Wolken und in diesem Zusammenhang verschiedene Theorien darüber, wie Menschen den Zug der Wolken sowie damit zusammenhängend den Niederschlag beeinflussen könnten. Manche glauben fälschlicherweise, man könne sich in den Finger stechen und durch das Blut die Wolken umlenken. Seneca hält diesen Versuch für absurd: «Wie kann in so einem bisschen Blut eine solche Kraft stecken», fragt er sich: «dass sie in die Höhe steigt und die Wolken sie spüren?» Viel einleuchtender sei es zu sagen, dass all dies Lug und Trug sei – mendacium et fabula?

Dann bezieht sich der Philosoph ausdrücklich auf Tafel VIII des Zwölftafelgesetzes: Der von ihm leicht abgewandelte Satz „man solle aufpassen« – cavetur ‹ne quis alienos fructus excantassit› – gehöre zu einer unerfahrenen Antike – rudis antiquitas – in der die Menschen geglaubt hätten, man könne Wolken mit Gesängen herbei- oder fortzaubern. Dass dem nicht so sei, liege auf der Hand; denn nichts davon habe je Eingang in die Lehre einer Philosophenschule gefunden. Radikaler als alle anderen römischen Autoren vertritt Seneca eine evidenzbasierte Sichtweise auf die Welt.

Über Autorität zur Beschreibung und Erklärung der komplizierten Zusammenhänge in der Natur verfügen nicht die Vorfahren oder gar jeder beliebige Mensch; vielmehr sind es Wissenschaftler – in Senecas Worten: Philosophen. Das magische Weltbild der Ahnen hat abgedankt; mag es auch seinen Weg ins römische Rechtssystem gefunden haben durch das Zwölftafelgesetz. Es ist deshalb überraschend, dass Delikte im Zusammenhang mit magischen Praktiken gerade in Senecas Zeit – der frühen Kaiserzeit – wieder ins Rechtssystem zurückkehrten. Im Jahr 53 n.Chr. klagte Marcus Tarquitius Priscus – ein Günstling der Kaiserin Agrippina – seinen ehemaligen Chef Titius Statilius Taurus an; dieser war gerade aus der Provinz Africa nach Rom zurückgekehrt: Ihm wurde Amtsmissbrauch gegenüber den Provinzialen vorgeworfen.

Um den Vorwürfen mehr Gewicht zu verleihen, bezichtigte er ihn auch magischer Praktiken – magicae superstitiones. Die Anschuldigungen waren offensichtlich haltlos; Taurus konnte trotz guter Verbindungen seines Gegners mit einem Freispruch rechnen – so berichtet zumindest Tacitus. Dennoch nahm er sich das Leben aus Scham über diese Schande; zudem wurden seine Gärten konfisziert – auf die Agrippina bereits ein Auge geworfen hatte. Die Affäre hatte noch ein Nachspiel: Einige Jahre später wurde Priscus selbst wegen Repetundenvergehen verurteilt – sehr zur Freude jener Senatoren, die darin einen Akt der Gerechtigkeit gegenüber Taurus sahen.

Grundlage für die Anklage gegen Taurus war vermutlich ein Senatsbeschluss zur Ausweitung der Bestimmungen der lex Cornelia de sicariis et veneficis auf weitere Straftaten. Diese lex Cornelia war 81 v.Chr. von Sulla eingeführt worden und regelte die Bestrafung schwerer Verbrechen wie Meuchelmord, Giftmischerei sowie Brandstiftung einschließlich Versuchs- und Mittäterschaftsdelikten. Als Strafe waren Verbannung oder Tod vorgesehen – bei Sklaven grundsätzlich Todesstrafe. Der nicht datierte Senatsbeschluss ist jedoch in spätantiken Rechtssammlungen wie den Digesten erhalten geblieben;. Dieser sah vor, dass das gleiche Strafmaß auch für diejenigen gelten solle, die bösartige Rituale – mala Sacrificia – durchführen oder veranlassen würden.

Eine andere Quelle aus dem Bereich des Rechtswesens geht um 300 n.Chr., also etwa zur gleichen Zeit wie dieser Senatsbeschluss; sie erwähnt auch das Ritual von Fluchtafeln: Ans Kreuz geschlagen oder Tieren zum Fraß vorgeworfen werden sollen diejenigen – cruci suffiguntur oder bestiis obiciuntur –, die frevelhafte oder nächtliche Rituale – sacra impia nocturnave – durch Aussprechen von Zaubersprüchen – Obcantarent –, durch Fluchtafeln – Defigerent – oder durch Bindezauber – Obligarent – durchführen oder anordnen würden. Mit dem Senatsbeschluss wurde schwarze Magie den zuvor bei Sulla aufgeführten Kapitalverbrechen gleichgestellt, somit war nicht nur die durch das Zwölftafelgesetz geschaffene Rechtslage wiederhergestellt worden, sie wurde auch auf jede Art von Schadenszauber ausgeweitet.

Später kamen weitere Straftatbestände hinzu: Magier wurden lebendig verbrannt, wer in ihre Kunst eingeweiht war, wurde wilden Tieren vorgeworfen oder gekreuzigt. Besitzer magischer Literatur wurden verbannt und mussten mit Vermögenseinziehung rechnen. Gehörten sie zu den besseren Kreisen – Honestiores –, so waren sie weniger gefährdet als einfache Leute – Humiliores –, deren Besitz an einschlägigen Büchern oft mit Todesstrafe geahndet wurde. Zudem waren auch Wahrsager sowie Matematici (Astrologen) betroffen gewesen. Diese Unterscheidung zwischen Honestiores und Humiliores setzte sich im 2. Jahrhundert n.Chr. durch. Im gleichen Maße wie die Zahl römischer Bürger zunahm wurde auch das Prinzip der Rechtsgleichheit aufgegeben. Während Honestiores oft milder bestraft wurden, traf es einfache Bürger bei gleichem Delikt härter.