Verkauf, Vermietung und Vernachlässigung von Bahnhöfen

Die Welle der Privatisierung erfasst ebenfalls die Bahnhofsgebäude: Die einst als »Kathedralen des Verkehrs« bezeichneten Bauwerke, die einen prägenden Einfluss auf das Stadtbild hatten, werden in gewisser Weise zu “Geschäftswelten mit Gleisanschluss” umgestaltet. Der symbolische und emotionale Wert von Bahnhofsgebäuden für die Stadtentwicklung sowie für das Schienensystem ist dabei nicht zu unterschätzen. Wenn die Fassaden dieser Gebäude abblättern, Bahnsteige von Schlaglöchern durchzogen sind und schlecht beleuchtete Durchgänge unangenehm riechen, schreckt dies selbst begeisterte Bahnfahrer ab, ganz zu schweigen von potenziellen Neukunden.
Trotz erheblicher öffentlicher Investitionen in die Renovierung der Bahnhofsanlagen ist keine Verbesserung für die Bahnhofsgebäude in Sicht. Obwohl Bahnhöfe weit mehr sind als nur Ankunfts-, Abfahrts- und Warteorte für Reisende, sondern auch als “Visitenkarten” der Städte sowie der Deutschen Bahn und des gesamten Bahnsystems fungieren, setzt sich das Phänomen des “Bahnhofssterbens” fort. Mit dem Fokus auf die Kapitalmarktfähigkeit fördert die Deutsche Bahn AG durch den (Aus-)Verkauf der Bahnhofsgebäude den Abbau des Anlagevermögens und damit eine Erhöhung der Eigenkapitalrendite.
In den letzten Jahrzehnten wurden etwa 1.700 Bahnhofsgebäude verkauft und mehrere Hundert geschlossen. Bereits für geringe Beträge können Kommunen, Privatpersonen oder Investoren verfallene oder in einem schlechten Zustand befindliche Bahnhofsgebäude erwerben. Die Dichte der Bahnhöfe ist inzwischen stark gesunken: Während sie Mitte der 1960er-Jahre in Westdeutschland noch bei 4,1 Kilometern lag, findet man entlang des seit 1994 um ein Drittel geschrumpften Schienennetzes nun nur noch alle sieben Kilometer ein Bahnhofsgebäude.
In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt sollen künftig lediglich etwa 39 Stationen samt Empfangsgebäude im Eigentum des Unternehmens verbleiben. An den übrigen Haltepunkten sollen lediglich Bahnsteige, Fahrkartenautomaten und Wartehäuschen zur Verfügung stehen. Eine Garantie dafür, dass die Erlöse aus den Verkäufen von Bahnhöfen und Liegenschaften in die Sanierung und Renovierung kleinerer und mittelgroßer Bahnhöfe investiert werden, fehlt. Es ist notwendig, dass auch in Mittweida, Monheim und Mönchengladbach die Bahnhöfe, Bahnsteige und Gleisanlagen modernisiert werden, um einen attraktiven Zugang zum Nahverkehr sowie eine zuverlässige Anbindung an den Fernverkehr zu gewährleisten.
Damit die “Kultur des Reisens”, welche das Transportmittel Bahn im Vergleich zum Straßen- und Luftverkehr charakterisiert, bereits in den Empfangshallen beginnen kann, müssten Bahnhöfe wieder aufgewertet werden – als essentielle Elemente der Reisekette, als Ausdruck unseres kulturellen Erbes und als beeindruckende Eingänge zu den Städten. In diesem Zusammenhang ist es kurzsichtig zu erkennen, dass künftig offensichtlich nur noch an 83 Bahnhöfen ein “personenbedienter Service” in Form von Fahrkartenschaltern vorgesehen ist. An allen anderen Standorten sollen Fahrgäste gezwungen sein, auf Fahrkartenautomaten zurückzugreifen, sofern sie sich nicht auf komplizierte Internet-Buchungsplattformen oder teure Telefon-Hotlines verlassen möchten. Dabei ist dem DB-Konzern offenbar bewusst, wie komplex der Kauf von Fahrkarten sein kann.
So bot das DB-Museum in Nürnberg zeitweise vierstündige Schulungen für Automaten an – verbunden mit dem Hinweis in einer Informationsbroschüre, dass es in den vergangenen Jahren eine hohe Nachfrage danach gegeben habe. Der Personalabbau betrifft somit nicht nur die Angestellten selbst. Der Verkauf oder die Schließung von Bahnhöfen hat auch soziale Konsequenzen: Unter dem Verlust gesellschaftlicher Solidarität zu Lasten von Obdachlosen wurden die während der Bundesbahnzeit eingerichteten Bahnhofsmissionen schrittweise aufgegeben; der private Betreiber McClean hat einen Exklusivvertrag mit der Deutschen Bahn für den Betrieb von Toiletten abgeschlossen, und private Sicherheitsdienste sorgen dafür, dass unerwünschte Besucher von den Fahrgästen nicht mehr wahrgenommen werden müssen – was typisch für Privatisierungen ist und einen bedeutenden Teil sozialer Realität ausblendet.