“Über die Desertion” – “Wir müssen in der Lage sein, einen Abwehrkrieg führen zu können”
Die Sorgen um die Stabilität in Europa sind nicht unbegründet. In den letzten Jahren hat sich die geopolitische Landschaft dramatisch verändert, was durch verschiedene Konflikte und Krisen verstärkt wurde. Die Zunahme an Militärausgaben in mehreren Ländern, gepaart mit einer verstärkten Rhetorik der Drohung, hat das Gefühl der Unsicherheit in der Bevölkerung wachsen lassen. Gleichzeitig haben vermehrte Migrationsbewegungen und wirtschaftliche Spannungen zu einer Fragmentierung der Gesellschaften geführt. Diese Entwicklungen schüren Ängste vor einem drohenden Krieg, während auch die politischen Entscheidungsträger vorwiegend mit Beschwichtigungen beschäftigt sind.
“Was meint der Verteidigungsminister mit “kriegstüchtig werden”?”
>>Staatsfunk Bayerischer Rundfunk<<
“Was meint der Verteidigungsminister mit “kriegstüchtig werden”? - Er fordert, dass sich Bundeswehr und Gesellschaft daran gewöhnen und vorbereiten. Was heißt das genau? … Es gebe eine Kriegsgefahr in Europa durch einen Aggressor. Und darauf seien die Menschen mental nicht eingestellt. “Wir müssen in der Lage sein, einen Abwehrkrieg führen zu können, damit wir es am Ende nicht müssen”, sagt … . Es gebe zwar keine Hinweise auf einen Angriff Russlands auf einen Nato-Partner. Wenn man aber erst mit der Vorbereitung beginne, wenn ein Angriff unmittelbar bevorsteht, wäre das zu spät, … .”
“Wir müssen in der Lage sein, einen Abwehrkrieg führen zu können”
Es wird gefordert, dass einerseits keine Anzeichen für einen bevorstehenden Angriff erkennbar sind, während andererseits Rüstungsmaßnahmen getroffen werden sollten, da ein Angriff unmittelbar bevorstehen könnte. Diese widersprüchlichen Aussagen scheinen die Glaubwürdigkeit zu untergraben. Dennoch können diese scheinbar gegensätzlichen Positionen durchaus einen Sinn ergeben. Würden die tatsächlichen Pläne bekannt, wäre eine massive Auswanderungswelle zu erwarten. Auch innerhalb der Europäischen Union ist ein Anstieg von Auswanderungsbewegungen festzustellen. Viele Menschen wählen den Schritt, ihre Heimatländer zu verlassen, da sie in einer unsicheren Umgebung ohne Zukunftsperspektiven leben möchten. Diese Entwicklungen sind häufig mit tief verwurzelten Ängsten vor Militarisierung und den Konsequenzen von Kriegen verknüpft, was wiederum erhebliche Auswirkungen auf die Demografie und die sozialen Strukturen innerhalb der Europäischen Union hat. An dieser Stelle sollte möglicherweise eine realistische Betrachtung der Kriegsgefahr erfolgen.
“Universität Regensburg sieht im Heer insgesamt nur einen Kampftruppenbestand von 24 000 Soldaten”
>>Angezählt von Markus Preiß (Buch) <<
“Der Politikwissenschaftler und Oberst der Reserve Martin Sebald von der Universität Regensburg sieht im Heer insgesamt nur einen Kampftruppenbestand von 24 000 Soldaten. Das, so erklärt er in einem Gespräch den Kollegen des Bayerischen Rundfunks, entspreche nur einer »verstärkten Division«. »Deshalb sage ich, dass man damit im Grunde nicht mal den Bayerischen Wald verteidigen könnte.« Denn eine Division kümmere sich üblicherweise um einen »Gefechtsstreifenabschnitt« von 30 Kilometern. Der Bayerische Wald sei deutlich länger.”
Bundeswehr: “Im Grunde nicht mal den Bayerischen Wald verteidigen könnte”
Nur 24.000 Soldaten? Wie erklärt sich diese stark abweichende Zahl im Vergleich zur offiziellen Truppenstärke? Die Bundeswehr setzt sich nicht ausschließlich aus Soldaten zusammen, sondern umfasst auch zivile Mitarbeiter. Innerhalb der Streitkräfte sind zudem nicht alle für den Kampfeinsatz geeignet oder mit Aufgaben wie Logistik, Gesundheitsmanagement und Polizei – beziehungsweise Feldjäger – betraut. Diese Einheiten sind schlichtweg nicht für echte Kampfhandlungen vorgesehen, wodurch letztlich diese geringe Zahl übrig bleibt. Die Natur des Krieges erfordert jedoch eine andere Betrachtungsweise in Bezug auf die Zahlen.
“Bis Januar 1917 wurden 14,6 Millionen Männer eingezogen, von denen jedoch nur etwa 3,5 Millionen an der Front standen”
>>Ordnung und Gewalt von Stefan Plaggenborg (Buch) <<
“Bis Januar 1917 wurden 14,6 Millionen Männer eingezogen, von denen jedoch nur etwa 3,5 Millionen an der Front standen. Vor diesem Hintergrund lag die Ziffer der Kriegstoten hoch: Bis Dezember 1916 betrug die Zahl der Gefallenen 1,3 Millionen, zusätzlich starben 350 000 Soldaten an ihren Verwundungen; 2,4 Millionen Gefangene hatte der Kriegsgegner gemacht. Während der gesamten Dauer des Krieges dürften ca. 2,3 Millionen Soldaten gefallen, über 2,6 Millionen verwundet, 970 000 Soldaten an ihren Verwundungen gestorben, fast 5,1 Millionen in Gefangenschaft geraten und über 155 000 an Seuchen gestorben sein. Über die Desertion, die Anfang 1917 massiv einsetzte, liegen keine verlässlichen Angaben vor. Sie war aber von solchen Ausmaßen, dass Teile der Armee zusammenbrachen.”
“Über die Desertion, die Anfang 1917 massiv einsetzte, liegen keine verlässlichen Angaben vor”
Bis Januar 1917 wurden also im Summe 14,6 Millionen Männer einberufen, von denen jedoch lediglich rund 3,5 Millionen an der Front kämpften, was ein ähnliches Zahlenverhältnis aufzeigt. Über das Thema Desertion wird hingegen nur selten gesprochen. Auch der Erste Weltkrieg ist – im Gegensatz zu den Darstellungen in heutigen Geschichtsbüchern – keineswegs ohne Vorwarnung ausgebrochen. Das Wettrüsten in dieser Ära war sicherlich sehr deutlich wahrnehmbar. In diesem Zusammenhang gerät das Thema Fahnenflucht häufig in den Hintergrund.
“Abgängen waren 12 % reguläre Entlassungen, 15,4 % Todesfälle, 70,7 % Desertionen und 1,9 % Ausschlüsse durch Gerichtsprozess bzw. Hinrichtung”
>>Stände, Staat und Militär von Guy Thewes (Buch) <<
“Das Quellenmaterial ist zu bruchstückhaft, um eine repräsentative Statistik abzugeben. Dennoch kann es quantitative Anhaltspunkte liefern. In den fünf Monaten April, Juli und August 1734 sowie April und Mai 1735 gingen insgesamt 1.344 Mann ab. 1.171 Mann wurden neu angeworben. Von den Abgängen waren 12 % reguläre Entlassungen, 15,4 % Todesfälle, 70,7 % Desertionen und 1,9 % Ausschlüsse durch Gerichtsprozess bzw. Hinrichtung. Aus diesen Zahlen geht hervor, dass verhältnismäßig wenige Soldaten aus der Armee ausschieden, weil ihre Dienstzeit abgelaufen war oder weil ihnen aus einem bestimmten Grund ihr Abschied vorzeitig gewährt wurde. Lebenslang Verpflichtete konnten in der Regel nur entlassen werden, wenn sie einen als tauglich befundenen „Ersatzmann“ stellten. Die meisten Soldaten verließen illegal die Truppe. Fahnenflucht war bei Weitem die häufigste Abgangsursache. Unterschied man nach Waffengattung, so war in der Infanterie der Anteil an Deserteuren wesentlich höher als in der Kavallerie. Diese Befunde stimmen überein mit dem, was die Geschichtsschreibung für andere vergleichbare Armeen des 18. Jahrhunderts ermittelt hat. Desertion war ein zentrales Problem, ein „disfunktionales Strukturmerkmal“ der frühneuzeitlichen Söldnerheere.”
“Desertion war ein zentrales Problem, ein „disfunktionales Strukturmerkmal“ der frühneuzeitlichen Söldnerheere”
Die Bundeswehr selbst würde sich wahrscheinlich nicht als “Söldnerheer” bezeichnen, obwohl die Anzahl der Berufssoldaten im Vergleich relativ gering ist, während es jedoch eine Vielzahl von Soldaten mit verschiedenen Arten von Zeitverträgen gibt. Der Verdienst eines Soldaten wird als “Sold” bezeichnet, und der Unterschied zum traditionellen “Söldner” dürfte damit eher eine akademische Debatte darstellen. In Friedenszeiten können Soldaten die Bundeswehr relativ problemlos verlassen, weshalb Desertionen eher ein Randthema sind. Im Kriegsfall hingegen gestaltet sich die Situation ganz anders, und das Verlassen des Landes ist für viele Wehrpflichtige in zahlreichen Fällen schlichtweg unmöglich.