Studenten & Prostitution: “So wird jeder Monat zum Überlebenstraining” – “Ignorante Unverständnis der wohlhabenden gutbürgerlichen Schichten”
Schon mal etwas von “Toolkit for student sexwork” gehört? – Damit wollte eine englische Universität Leicester den Einstieg in die Prostitution für Studenten verbessern. Eine zutiefst rührende soziale Geste. – Oder, etwa doch nicht? Wie sieht es eigentlich hierzulande mit der Studienfinanzierung aus? Der Anspruch auf Bafög ist in der Praxis nur noch ein Schatten seiner selbst und alle anderen sozialen Leistungen – wie Stipendien – sind sogenannte Kannleistungen oder – wie Hatz IV – faktisch nicht beantragbar. Was also tun, wenn der Kühlschrank leer ist?
“Nebenjob als Prostituierte” – “Immer wenn der Kühlschrank leer war, ging Studentin Laura im Internet auf Kundensuche”
“Immer wenn der Kühlschrank leer war, ging Studentin Laura im Internet auf Kundensuche: Die 19-jährige Französin erzählt von ihrem Nebenjob als Prostituierte.- Laura ist Prostituierte. Und Studentin. 18 Jahre alt, zweites Semester Sprachwissenschaften, Italienisch, Spanisch. Ihre Mutter ist Krankenschwester, ihr Vater Arbeiter. Doch die Eltern verdienen zu wenig, um ihre Tochter zu unterstützen – aber zu viel für eine staatliche Studienbeihilfe. So wird jeder Monat zum Überlebenstraining.”
“So wird jeder Monat zum Überlebenstraining”
Urbanes Überlebenstraining außerhalb der Universität oder Hochschule stellt augenscheinlich für viele Studenten eine Lebenswirklichkeit dar. Sicherlich trifft es nicht nur auf Studenten aus Frankreich zu. Die einschlägigen “Kundensuchportale” deuten offenkundig genau in diese Richtung hin. Auch ansonsten ist das soziale Netz für Studenten kaum vorhanden. Die staatlichen Leistungen für Studenten wurden über die Jahre entweder zusammengestrichen oder die Inflation hat diese Arbeit übernommen. Doch eigentlich sollte die rechtliche Lage ganz anders aussehen.
“Menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG”
>>Deutscher Bundestag (PDF-Datei) <<
“Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG um fasst neben dem physischen auch das sogenannte soziokulturelle Existenzminimum. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erstreckt sich der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch „nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit […], als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischem Leben um fasst, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen […].”
“Gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie”
Das Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums macht – theoretisch – auch für Studenten keine Ausnahme. Irrwitzigerweiser stellt der Inlandsgeheimdienst verschiedene Bürgern nach, welche das Grundgesetz abschaffen wollen: Offensichtlich haben die Beamten dort, noch nicht mal das eigene Grundgesetz gelesen und wissen nicht mal was die Sozialbehörden so eigentlich tun. Tatsächlich sind mehr und mehr Tendenzen zu erkennen, die schon aus der Vergangenheit bekannt waren.
“Drang, sich gesellschaftlich, moralisch und räumlich abzusetzen von dem, was man als Bodensatz der Gesellschaft ansah”
>>Heimsuchung von Bernd Ingmar Gutberlet (Buch) <<
“Galt noch um 1800 Barmherzigkeit den Armen gegenüber als selbstverständlich, verschob sich die Wahrnehmung von Armut in dem Maße, wie sie unübersehbar zunahm. Im Vordergrund standen plötzlich der ungesunde Lebenswandel und die sittlichen Verfehlungen der armen Schichten: Trunksucht, sexuelle Ausschweifungen, uneheliche Geburten, Kriminalität. Vermehrt wurde auch die Klage geführt, die »unteren Schichten« besäßen in unerträglichem Ausmaß die Frechheit, Armenfürsorge und kostenlose Krankenbehandlung zu »erheucheln«, dabei lagen die steigenden Zahlen am wachsenden Anteil Armer und am zunehmenden Ausmaß ihrer Verelendung. … Das ignorante Unverständnis der wohlhabenden gutbürgerlichen Schichten für die Lebensumstände derer, die diesen Wohlstand mit ihrer Hände Arbeit schufen, wuchs ebenso wie der Drang, sich gesellschaftlich, moralisch und räumlich abzusetzen von dem, was man als Bodensatz der Gesellschaft ansah. … Es kam zu immer mehr Elendsprostitution, Alkoholismus, sexueller Enthemmung, Bettelei und Kleinkriminalität, zu allgemeiner Verrohung.”
“Ignorante Unverständnis der wohlhabenden gutbürgerlichen Schichten für die Lebensumstände derer, die diesen Wohlstand mit ihrer Hände Arbeit schufen”
Schon im 19. Jahrhundert hat man sich Schrittweise aus der sozialen Verantwortung verabschiedet und im selben Maße die Folgeerscheinungen der Armut beklagt. Vergleichbare Tendenzen sind auch heutzutage zu beobachten. Teilweise lässt es sich an konkreten Gesetzen, Urteilen und Personen – wie Ramona J.– festmachen. Ramona J. wurde schon mehrfachen wegen illegaler Prostitution verurteilt.
“Das hat sie mir sogar gesagt, dass sie weiter anschaffen geht, auch um die Geldstrafen zu bezahlen”
>>Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich – Folgen Die neue Klassenjustiz von Ronen Steinke (Buch) <<
“Schon ein halbes Dutzend Mal haben sich die beiden Frauen im Gerichtssaal gegenübergesessen. Dann schauen sich Ramona J. und die Richterin an, und die Richterin sieht sich gezwungen zu handeln. Und weil sie der Meinung ist, dass eine Gefängnisstrafe für Ramona J. unverhältnismäßig hart wäre, gibt sie der Angeklagten jedes Mal: eine Geldstrafe. Womit die Probleme von vorn beginnen. »Der Angeklagten wird gestattet, die Geldstrafe in monatlichen Raten zu bezahlen«, schrieb die Richterin in ihrem jüngsten Urteil. Was sie nicht schrieb, war, woher Ramona J. dieses Geld nehmen sollte, … . Aber wahrscheinlich konnte sie es sich denken. Man sieht sich bestimmt bald wieder. »Das hat sie mir sogar gesagt, dass sie weiter anschaffen geht, auch um die Geldstrafen zu bezahlen«, so berichtete die Richterin, … .”
Prostitution für die Justizkasse: “Woher Ramona J. dieses Geld nehmen sollte” – “Wahrscheinlich konnte sie es sich denken”
Bei manchen Zeitgenossen wird diese Gerichtsepisode einiges an Verwunderung auslösen. Immerhin wurde im Jahr 2002 die Prostitution legalisiert: Doch Gesetzgeber und Justiz haben sich einige Hintertüren offengelassen, was sich auch an anderen Beispielen zeigt.
“Prostitution im ganzen Stadtgebiet laut einer Verordnung des Freistaats verboten”
“Der Puff im Nachbarhaus Mitten in einer Siedlung wird in Bautzen ein Bordell betrieben. Die Behörden ermitteln, … . Der Vermieter findet’s ganz normal. … In Altrattwitz war die Welt bis vor Kurzem in Ordnung. Akkurat geschnittene Rasenfläche, gepflegte Blumenbeete, gestutzte Hecken. … Er solle sich nicht so haben, das sei doch was ganz Normales. Doch das ist es in Bautzen eben nicht. Weil die Kreisstadt weniger als 50.000 Einwohner hat, ist die Prostitution im ganzen Stadtgebiet laut einer Verordnung des Freistaats verboten, teilt … vom Ordnungsamt mit.”
Prostitution im Rotlichtviertel: Zwischen Drogen, Unterweltgrößen und blutigen Revierkriegen
Prostitution ist in Wirklichkeit eben eher halb legal und darf nur an ganz bestimmten Plätzen betrieben werden: Genau dort fangen die Probleme an: Diese teilweise als “Rotlichtviertel” verschrienen Gegenden stellen kein ungefährliches Pflaster dar: Diese Revierkriege in der Unterwelt werden teilweise sogar blutig ausgetragen. Deshalb wurde Ramona J. auch veruteilt, weil sie außerhalb des Sperrgebietes aufgegriffen wurde.
“Geschäft der Prostituierten in bestimmte Stadtzonen verbannt”
>>Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich – Folgen Die neue Klassenjustiz von Ronen Steinke (Buch) <<
“Moment, ist Prostitution nicht längst legal? Doch, eigentlich schon. Politik und Justiz sind sich 2002 eigentlich einig geworden: Eine Frau, die sich prostituiert, ist der Gesellschaft keine Rechenschaft schuldig. Sie tut niemandem etwas zuleide (außer vielleicht sich selbst, wenn man das so sehen möchte). Mehr noch: Sie tut nicht einmal etwas Sittenwidriges. Prostitution ist in Deutschland eine erlaubte Tätigkeit. Aber ganz gleichgültig ist es dem Staat weiterhin nicht. Das Prinzip heißt: Aus den Augen, aus dem Sinn. Genau wie das Glücksspiel ist auch das anrüchige Geschäft der Prostituierten in bestimmte Stadtzonen verbannt. Das Bundesland Hamburg und einige weitere Länder haben deshalb Verordnungen erlassen – Sperrgebietsverordnungen. So gilt in Hamburg-St. Pauli: Prostitution erlaubt. In Hamburg-St. Georg dagegen: Prostitution verboten. Und wenn ein Mensch auf der falschen Seite dieser Grenze sexuelle Dienste anbietet, dann kann der Staat mit der alten, unverminderten Härte eines Paragrafen 184f des Strafgesetzbuchs daherkommen: »Wer ein durch Rechtsverordnung erlassenes Verbot, der Prostitution an bestimmten Orten überhaupt oder zu bestimmten Tageszeiten nachzugehen, beharrlich zuwiderhandelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bestraft.«”
“Paragrafen 184f des Strafgesetzbuchs” – “Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bestraft”
Im allgemeinen kann sich die Justiz durch diese Strafen ihre stets klamme Kasse aufbessern. Das man dadurch der kriminellen Unterwelt genauso einem finanziellen Vorteil verschafft; Darüber sieht man gerne hinweg. – Oder anders mit anderen Worten ausgedrückt: “Das ignorante Unverständnis der wohlhabenden gutbürgerlichen Schichten für die Lebensumstände derer, die diesen Wohlstand mit ihrer Hände Arbeit schufen, wuchs ebenso wie der Drang, sich gesellschaftlich, moralisch und räumlich abzusetzen von dem, was man als Bodensatz der Gesellschaft ansah.”
“Ignorante Unverständnis der wohlhabenden gutbürgerlichen Schichten für die Lebensumstände derer, die diesen Wohlstand mit ihrer Hände Arbeit schufen”
Genauso wird die soziale Komponente ausgeblendet. Von einer wirklichen Freiheit kann man bei vielen Prostituiert nicht wirklich sprechen. Die Finanzierung eines Studiums an einer Universität oder die schlichte soziale Not treibt insbesondere viele Frauen in die Prostitution hinein. Plötzlich kommt das Thema sich irgendwie dazu Überwinden auf: Viele keine Wahl und greifen – in ihrer Not – zu Drogen, Alkohol oder Medikamente und geraten so in die Drogensucht hinein. Der Fall Ramona J. kann dafür als Beispiel genommen werden.