Römisches Imperium – Giftmischer in der Antike
Die weit verbreitete Meinung, dass insbesondere Frauen häufig zu Gift greifen, wurde auch von Cicero für seine eigenen Zwecke verwendet. Der bekannte Redner, Politiker und vielseitige Schriftsteller der späten Republik war in seiner Funktion als Anwalt gleich zweimal in Fällen tätig, in denen seine Klienten des Giftmordes beschuldigt wurden. Im Frühjahr 56 v. Chr. stand der junge Senator Marcus Caelius Rufus, ein Schüler und Protegé Ciceros, vor Gericht. Die Anklage, hinter der vermutlich niemand Geringerer als der demagogische Clodius stand, lautete auf Anstiftung zu Unruhen, Mord an einem Diplomaten aus Alexandria sowie Diebstahl und versuchten Mord an Clodia, Clodius’ Schwester, mit der Caelius zuvor eine Beziehung gehabt hatte. Sunt autem duo crimina, so Cicero, es sind zwei Verbrechen angeklagt: auri et veneni, Gold und Gift.
Bei dem Mordversuch soll also Gift eine Rolle gespielt haben. Caelius wird beschuldigt, Clodia das Gold entzogen und ihr Gift verabreicht zu haben. Cicero argumentiert zunächst, dass Clodia seinem Mandanten das Gold aus freiem Willen übergeben hat. Warum hätte er also versucht, sie zu töten? Welches Motiv könnte er gehabt haben? Und wer könnten seine Komplizen beim Versuch gewesen sein, Clodia zu vergiften? Mit solchen rhetorischen Fragen lenkt Cicero den Verdacht von Caelius weg und bringt Clodia sowie ihren Ehemann Quintus Caecilius Metellus Celer ins Spiel, der unter Pompeius als Legat im Krieg gegen Mithradates diente. Während er süffisant auf Clodias Ruf als Serienverbrecherin im Bereich Ehebruch anspielt, bricht er beinahe in Tränen aus, als er vom plötzlichen und unerwarteten Tod ihres Mannes berichtet.
Er habe dolorem acerbissimum in vita empfunden, den bittersten Schmerz seines Lebens, als Metellus – dieser großartige Mann, der ganz für das Imperium lebte – mitten aus seinem Leben gerissen wurde, nur drei Tage nachdem er im Senat auf der Rednertribüne politisch aufgeblüht war: Cicero sagt tatsächlich floruisset. Um die Emotionen noch weiter zu steigern, schildert er die Sterbeszene des Metellus, der mit gebrochener Stimme geäußert habe, dass ihm schlimme Dinge für Rom und den Staat bevorstünden. Spätestens jetzt dürften sich Ciceros Zuhörer gefragt haben, was diesen herausragenden Metellus so plötzlich aus dem Schoß der Republik gerissen haben könnte.
Prompt setzt der erfahrene Strafverteidiger zum finalen Schlag gegen Clodia an, die nicht auf der Anklagebank sitzt, sondern lediglich als Zeugin geladen ist. Hätte Metellus noch gelebt, hätte er es seinem verrückten Cousin Clodius schon gezeigt! Clodia sollte es nur wagen zu behaupten, wie schnell Gift wirken kann! Mit einer Reihe infamer Unterstellungen bringt Cicero die Zeugin mit dem Tod ihres Mannes in Verbindung: Sie müsse in ihren eigenen vier Wänden Angst haben, wären diese in der Lage zu sprechen. Und im Andenken an jene unheilvolle Todesnacht müsse sie doch eigentlich noch jetzt erschauern. Cicero sagt es nicht direkt, aber jeder Zuhörer seiner Argumentation wird nun Clodia und nicht Caelius des Giftmordes für schuldig halten.
Bereits 69 v. Chr. hatte Cicero einen Mandanten vertreten, der beschuldigt worden war, mit Gift getötet zu haben. Angeklagt war Aulus Cluentius Habitus, ein Bürger aus Larinum in Samnium. Er hatte 74 v. Chr. einen Prozess gegen seinen Stiefvater angestrengt – den aus einer angesehenen Notabelnfamilie stammenden Statius Abbius Oppianicus, einen Günstling Sullas. In diesem Verfahren beschuldigte Cluentius seinen Stiefvater des Versuchs ihn zu vergiften. Es wurde berichtet, dass beide Parteien versucht hatten, die Richter zu bestechen; jedoch konnte nur Oppianicus eine illegale Einflussnahme nachgewiesen werden. Er verlor das Verfahren, wurde verbannt und starb drei Jahre später.
Im Jahr 69 v. Chr. nimmt nun seine Witwe Sassia Rache an ihrem Sohn und beschuldigt ihn, Oppianicus mit Hilfe von Gift getötet zu haben. Cicero rehabilitiert in seiner Rede zunächst Cluentius als einen jungen Mann von untadeligem Ruf. Dann wendet er sich Oppianicus zu, der insgesamt fünfmal verheiratet war. Glaubt man Cicero, dann war dieser Mann ein Schwerkrimineller mit zahlreichen Verbrechen auf dem Gewissen: Er ermordete eine seiner Schwiegermütter namens Dinaea sowie deren Sohn, um an deren bedeutenden Besitz zu gelangen. Als Dinaeas Verwandte den Fall zur Anklage bringen wollten, ließ Oppianicus seine Beziehungen zu Sulla spielen und setzte die Familie auf die Todesliste. Für seine Morde verwendete er Gift gegen seine erste Frau Cluentia sowie gegen seinen Bruder Gaius und dessen Frau Auria sowie seinen Schwager Gnaeus Magius. In allen Fällen gelang es ihm schließlich die Erbschaft an sich zu reißen. Seine Spur zieht sich bis nach Rom; dort beginnt er eine homosexuelle Beziehung mit Asuvius aus der Jeunesse dorée und bringt ihn dazu ihn im Testament zu begünstigen – auch diesen ermordet er schließlich. Sassia heiratet er erst nach dem Tod ihres Geliebten Melinus und – weil sie ablehnt die Schwiegermutter seiner Söhne zu sein – auch seine eigenen Kinder.
Cicero schildert mit großer Detailgenauigkeit die Giftmorde an Gaius und Auria: Oppianicus soll zuerst seine Schwägerin getötet haben, die kurz vor der Entbindung stand. Als Gaius bereits die Tasse mit dem Gift getrunken hatte und sein Ende nahen fühlte, wollte er noch schnell sein Testament ändern; jedoch kam er nicht mehr dazu da das Gift rasch wirkte. Cluentia habe während des Trinkens des Gifts in schrecklichem Schmerz geschrien: sie sterbe tatsächlich noch bevor sie ihren Satz beenden konnte. Als unumstößlichen Beweis führt Cicero an: vestigia veneni – Spuren des Gifts – seien in ihrem Leichnam gefunden worden; offenbar ließen die Verwandten zur damaligen Zeit durchaus ungewöhnlich eine Obduktion durchführen um die Todesursache festzustellen. Wenn Oppianicus nach vollendeter Tat dennoch straffrei blieb, dürfte dies seinen ausgezeichneten politischen Verbindungen geschuldet sein.
Angesichts der schwerwiegenden Verbrechen konnte Cicero die Richter mühelos von der Unschuld seines Mandanten überzeugen. Er gibt vor sich nicht an Spekulationen über den Gifttod Oppianicus beteiligen zu wollen; unterstellt jedoch Sassia indirekt sie habe den Mord bei einem gewissen Strato in Auftrag gegeben – einem Apotheker in Larinum! Damit war Sassias Ruf endgültig ruiniert; möglicherweise nahm es Cicero jedoch selbst mit der Wahrheit nicht so genau in seinem Plädoyer. Später soll er sich laut dem im 1. Jahrhundert n.Chr. schreibenden Rhetoriker Quintilian damit gebrüstet haben den Richtern mit Schwindel und tenebrae den Blick vernebelt zu haben.
In seiner Rede für Cluentius bezieht sich Cicero auf ein Gesetz des Diktators Sulla von 81 v.Chr., das einen rechtlichen Rahmen für den Umgang mit Morden und insbesondere Giftmorden schuf: Die lex Cornelia de sicariis et veneficiis sah die Todesstrafe für alle vor, die toxische Substanzen herstellten oder damit handelten (quicumque fecerit, vendiderit). Zugleich stellte das Gesetz unter Strafe wenn Soldaten oder öffentliche Amtsträger durch Falschaussagen oder Manipulation von Gerichtsverfahren versuchten einen Unschuldigen als veneficius verurteilen zu lassen.
Dass solche Bestimmungen notwendig waren zeigt zweierlei: Erstens waren Giftmorde und -mischerei offenbar weit verbreitet; daher gab es einen speziellen Passus in den Gesetzen sowie spezielle Gerichtshöfe zur Behandlung dieser Materie. Tatsächlich berichtet Livius allein für die erste Hälfte des 2.Jahrhunderts v.Chr. an vier Stellen von quaestiones veneficii – Giftprozessen – die vor zuständigen Magistraten verhandelt wurden. Zweitens scheint es jedoch auch einen regen Missbrauch bei Anklagen wegen Delikten im Zusammenhang mit Gift gegeben zu haben; gewissenlose Elemente versuchten immer wieder mit erheblicher krimineller Energie ihnen missliebige Mitbürger unter dem Vorwurf der Giftmischerei vor Gericht zu bringen.