Römisches Imperium: Die Intrige des Lucius Sergius Catilina

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Quousque tandem, Catilina? „Wie lange noch, Catilina“, quousque tandem, Catilina, „willst du unsere Geduld auf die Probe stellen?“, fragt Cicero gleich zu Beginn seiner ersten Ansprache gegen Catilina. – Insgesamt sollten es vier Reden werden. Der Konsul hatte für den 8. November 63 v. Chr. in aller Eile den Senat zu einer Sitzung im Tempel des Jupiter Stator einberufen, nachdem der Plan der Verschwörer, die Konsuln Cicero und Hybrida am Morgen des Vortages zu beseitigen, aufgedeckt worden war. Dieses vereitelte Komplott stellt den bisherigen Höhepunkt der Krise dar, die im Sommer mit der Verschwörung ihren Anfang nahm.

Der dramatische Höhepunkt Anfang November 63 v. Chr. war von einer rasanten Eskalation der Situation begleitet gewesen. Alles begann im Juli desselben Jahres, als Catilina bei der Konsulwahl erneut scheiterte. Kurz darauf entsandte er ihm vertraute Offiziere in verschiedene Regionen Italiens, um dort Truppen zu rekrutieren. Der Erfolg dieser Unternehmung war gemischt; jedoch gelang es Gaius Manlius, einem Catilina wohlbekannten Zenturio aus Sullas Armee, in Etrurien und in der Poebene eine große Anzahl von Veteranen für die Sache der Verschwörer zu gewinnen. Die Armeen sollten, so lautete der Plan, strahlenförmig auf Rom marschieren und dort am 27. Oktober zusammentreffen. In der Hauptstadt sollten Feuer gelegt und am folgenden Tag sämtliche Politiker der Opposition ermordet werden.

Wenige Tage vor diesem Datum, am 20. Oktober, fanden einige führende Senatoren, darunter der Milliardär Marcus Crassus, ein Schreiben Catilinas in ihrem Briefkasten vor, das sie über den bevorstehenden Putsch informierte. Ihre Sicherheit könne nicht gewährleistet werden; daher seien sie gut beraten, die Hauptstadt zu verlassen. Crassus informierte pflichtgemäß die Konsuln über den Inhalt des Schreibens, woraufhin Cicero den Senat dazu brachte, den Staatsnotstand auszurufen, das Senatus consultum ultimum, welches die Konsuln ermächtigte, alles Notwendige zu unternehmen, um die Republik zu schützen: videant consules, ne quid res publica detrimenti capiat. Cicero beauftragte Quintus Caecilius Metellus Celer, den Statthalter der Provinz Gallia cisalpina, mit dem Niederschlagen der Revolte in Etrurien. Der Konsul selbst konzentrierte sich auf die Situation in Rom.

Catilina und seine Mitverschwörer erkannten schnell, dass angesichts des Bekanntwerdens ihrer Pläne ein Staatsstreich am 27. Oktober keine Aussicht auf Erfolg hatte. Daher sagten sie ihn ab und unternahmen vorerst nichts. Da der 27. Oktober also in Rom ereignislos verstrich, geriet Cicero unter Verdacht, die Bedrohungslage erfunden zu haben, um unter dem Vorwand des Staatsnotstands seine politischen Gegner auszuschalten. Doch bereits am folgenden Tag erreichten Nachrichten die Hauptstadt: Überall im Umland würden Truppen mobilisiert. Manlius hatte sich inzwischen offen gegen die Konsuln gewandt; Etrurien war im Aufruhr. Am 1. November scheiterte der Versuch der Aufständischen, die Stadt Praeneste etwa 25 Kilometer östlich von Rom zu erobern. Wenige Tage später reichte Ciceros Verbündeter Lucius Aemilius Lepidus Paullus gegen Catilina Klage gemäß der lex Plautia de vi von 89 v. Chr., welche politische Gewalt unter Strafe stellte.

Am 6. November trafen sich die Verschwörer im Haus des Marcus Porcius Laeca. Man einigte sich darauf, dass der Ritter Gaius Cornelius und der Senator Lucius Vargunteius Cicero am folgenden Morgen ermorden sollten. Dazu war geplant, dass sie ihm mit einer Gruppe Bewaffneter einen Besuch abstatteten. Nach vollbrachter Tat sollte Catilina Rom verlassen und das Heer für einen Marsch auf Rom vorbereiten. Dieser Plan wurde jedoch von Fulvia, der aus einer angesehenen Familie stammenden Geliebten des Quintus Curius, an Cicero verraten. In den Quellen herrscht Uneinigkeit darüber, ob Fulvia eigenständig handelte oder ob Curius im letzten Moment seine Meinung änderte und deshalb den Konsul warnte. Jedenfalls war Cicero bestens vorbereitet und konnte den Mordplan vereiteln.

Einen Tag später hielt der Konsul seine bemerkenswerte erste Rede gegen Catilina im Senat. Der Angesprochene war während der Sitzung anwesend, was viele seiner Gegner nicht nur überraschte, sondern auch in Wut versetzte. Wie in einer Gerichtsrede konfrontierte Cicero den Übeltäter mit seinem Sündenregister und schilderte detailliert, wie das Komplott aufgedeckt worden war. Cicero setzte alle Finessen eines erfahrenen Rhetorikers ein; so ist diese in überlieferter Form vermutlich wörtlich wiedergegebene Rede gespickt mit eingängigen Zitaten wie: „O Zeiten, o Sitten!“, o tempora, o mores! Oder: „Indem sie schweigen, rufen sie laut“, cum tacent, clamant.

Obwohl Cicero minutiös darlegt, was sich Catilina zuschulden kommen ließ, lässt er ihn nicht verhaften. Wie ein weißer Elefant steht das Senatus consultum ultimum im Mittelpunkt seiner Rede; es würde den Konsul Cicero zu diesem Schritt ermächtigen und ihm sogar erlauben, Catilina sofort hinrichten zu lassen. Dass Cicero von dieser Vollmacht keinen Gebrauch macht, zeigt seine Unsicherheit über die Lage; noch hat Catilina zahlreiche Anhänger in der Stadt und viele sind von seiner Schuld nicht überzeugt. Mehrfach rät Cicero daher Catilina zur Flucht aus Rom an. Catilina versucht zwar zu antworten, wird jedoch von den Senatoren niedergebrüllt. Tatsächlich zieht Catilina unmittelbar nach der Senatssitzung nach Etrurien zu seinen Truppen ab und verteilt Waffen an die lokale Bevölkerung; während mehrere seiner Anhänger ihn begleiten, bleibt ein Teil der Verschwörer in Rom zurück.

Catilina seinem Heer entkommen zu lassen erweist sich als cleverer Schachzug Ciceros; denn nun ist seine Schuld zweifelsfrei bewiesen. Am 9. November hält Cicero vor dem römischen Volk seine zweite Rede gegen Catilina und wertet dessen Flucht als wichtigen Teilerfolg und rechtfertigt seine Maßnahmen damit. Wenige Tage später erklärt der Senat Catilina sowie Manlius als Staatsfeinde (hostes publici). Bis Ende November haben die Konsuln die Situation in Italien weitgehend unter Kontrolle: Nur in Etrurien können sich die Aufständischen behaupten; dort hat Catilina sein Hauptquartier in Faesulae (Fiesole) eingerichtet und dort steht seine Armee.

Da sich die Lage für die Verschwörer zunehmend verschlechtert, nehmen sie Kontakt zum keltischen Stamm der Allobroger auf, welcher sich gerade in Rom befindet und freundschaftliche Beziehungen zu Rom pflegt. Die Allobroger gehen zunächst scheinbar auf das Bündnisangebot Catilinas ein; setzen sich jedoch am 2. Dezember mit Cicero in Verbindung und informieren ihn über die Verhandlungen. Cicero gelingt es daraufhin, die Allobroger dazu zu bewegen weiter mitzuspielen und sich von den Verschwörern in Rom deren Pläne schriftlich ausfertigen zu lassen. Eine Gesandtschaft mit den Allobrogern wird noch am selben Abend mit verschlüsselten Briefen des Lentulus an Catilina geschickt; diese werden jedoch von loyalen Truppen der Republik an der Milvischen Brücke im Norden Roms abgefangen.

Am nächsten Tag erhält Cicero diese Briefe und lässt die verbliebenen Verschwörer in Rom – darunter Lentulus und Cethegus – verhaften und vor den Senat bringen; dieser hat sich im Concordiatempel auf dem Forum versammelt. Vor dem versammelten Volk hält Cicero seine dritte Rede gegen Catilina und erhält Ovationen dafür. Am 5. Dezember tritt der Senat erneut zusammen und berät über das Strafmaß für die Verschwörer; einzig Caesar warnt vor einer Todesstrafe – er hält das Senatus consultum ultimum für eine fragwürdige Grundlage zur Legitimation solcher Maßnahmen – schließlich stehe jedem römischen Bürger bei drohender Todesstrafe das Recht zu sich direkt an das Volk zu wenden.

Die große Mehrheit der Senatoren teilt diese Bedenken jedoch nicht und schließt sich Cicero an; dieser fordert in seiner vierten Rede gegen Catilina – unterstützt vom jüngeren Cato – energisch die Todesstrafe für die Delinquenten ein; dies sei notwendig um Catilina von seinem weiterhin befürchteten Marsch auf Rom abzuhalten. Die verhafteten Verschwörer werden noch am selben Tag hingerichtet.

Kaum erreichen Nachrichten vom Zusammenbruch der Verschwörung Rom Etrurien beginnen sich Catilinas Truppen aufzulösen; obwohl es ihm gelingt den Proprätor Quintus Metellus Celer noch eine Weile hinzuhalten kann Celer ihm den Fluchtweg nach Gallien versperren. Anfang Januar wird Catilina bei Pistoria (Pistoia) von einem zweiten Heer besiegt – befehligt von Ciceros Kollegen Hybrida – das ihm zahlenmäßig weit überlegen ist; dabei findet er in dieser Schlacht den Tod.

Zu diesem Zeitpunkt war Cicero bereits nicht mehr Konsul; er hatte am 1. Januar 62 v.Chr., wie es das Gesetz vorschreibt sein Amt an seine Nachfolger übergeben müssen; stolz war er auf seine Leistung Rom gegen Catilinas Putsch verteidigt zu haben – dies mit Recht – denn sogar ein Epos verfasste das literarische Multitalent Cicero über dieses Jahr – das den Höhepunkt seines politischen Lebens markierte: De consulatu suo („Über sein Konsulat“), so war das Werk betitelt – Philologen glauben heute glücklicherweise nur wenige Verse hätten sich durch Überlieferung erhalten können: O fortunatam natam me consule Romam!, lautet einer davon: „O wie glücklich bist Du, Rom durch meine Konsulat!“

Auf lange Sicht sollte jedoch nicht Cicero recht behalten sondern Caesar mit seiner Skepsis; dass er aufgrund des Senatus consultum ultimum kurzen Prozess mit römischen Bürgern gemacht hatte erwies sich für Cicero als politischer Bumerang: Der Mann – fünf Jahre zuvor noch gefeiert – wurde durch ein Gesetz des Volkstribunen Publius Clodius 58 v.Chr., ins Exil geschickt; ein Jahr verbrachte er in Griechenland bis sein Verbündeter Milo ihm eine Rückkehr ermöglichte; ohnehin war der Ex-Konsul politisch längst kaltgestellt worden: Der kommende Mann in Rom war just jener Caesar – welcher gegen die Hinrichtung der Catilinarier opponiert hatte – welcher sich im Jahr 60 v.Chr., mit Crassus – dem reichsten Mann Roms – sowie Pompeius – seinem größten Kriegshelden – zu einem Machtkartell zusammenschloss: dem Ersten Triumvirat – welches für rund ein Jahrzehnt Roms inoffizielle Regierung bildete; Crassus verlor sein Leben 53 v.Chr., bei einem schlecht vorbereiteten Krieg gegen die Parther während Caesar sich im Januar 49 v.Chr., mit Pompeius überwarf.