Viel Mythos: „Aufstieg durch Bildung“ – Warum der Flight Direktor für Raumfahrt das Möbelhaus putzen muss
„Aufstieg durch Bildung – Bildung eröffnet Perspektiven. Sie ermöglicht es jedem Einzelnen, seine Talente zu entfalten. Bildung ist der Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe, sozialen Aufstieg und ein erfülltes Leben.“ – Eine lange Seite hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung der These „Aufstieg durch Bildung“ gewidmet.
Bundesregierung: „Aufstieg durch Bildung“ – versus Realität: „Top-Akademiker putzen das Möbelhaus“
Allerdings hat das Ministerium über die Schattenseiten jenes „Aufstiegs“ kein einziges Wort verloren. Dabei müsste gerade das zuständige Bildungsministerium es besser wissen: Schließlich hält der sogenannte „Trinkgeldprofessor“ an einer staatlichen Universität seine Vorlesungen ab und wird dafür bezahlt – oder besser gesagt: Nichtbezahlt. Denn damit der Professor finanziell überleben kann, muss er sein Geld in einem Kaffeehaus verdienen. Aber so wie ihm, ist es vielen Akademikern in ihrer wissenschaftlichen „Laufbahn“ ergangen.
Akademisches Prekariat: „Ein Kapitän kontrolliert Pässe“
„Top-Akademiker putzen das Möbelhaus, ein Kapitän kontrolliert Pässe, ein Ingenieur fährt Taxi. … Bernd von Kuhlmann baut Schränke auf, oder er fegt vor der Müllpresse den Dreck zusammen. Der promovierte Physiker ist 50 Jahre alt und als „ungelernte Kraft“ eingestuft.“
Akademisches Prekariat: „Ein Ingenieur fährt Taxi“
Bernd von Kuhlmann hat zuvor als Ausbildungsleiter und Flight Direktor des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik gearbeitet. Angesichts solcher Karrieren will die ständige Beteuerung nach den sogenannten „Fachkräftemangel“ sicherlich nicht jeden Menschen überzeugen. Denn heutzutage muss man nicht unbedingt mehr Multimillionär sein, um sich vom einem Professor seinen Kaffee kochen zu lassen.
Trinkgeldprofessor: „Morgens Privatdozent – Nachmittags Barista“
„Morgens Privatdozent, nachmittags Barista – Der Philosoph Günter Fröhlich lehrt als Privatdozent an der Uni Regensburg, wird aber nicht dafür bezahlt.“
„Philosoph Günter Fröhlich lehrt als Privatdozent an der Uni Regensburg, wird aber nicht dafür bezahlt“
„Bei der großen Mehrheit der jungen Forschenden vor und nach der Promotion bleibt die Angst vor der akademischen Abbruchkante: Wer es nicht auf eine Professur schafft, bleibt meist in der Schleife der befristeten Verträge und schlecht bezahlten freien Lehraufträge. Oder begibt sich mit Mitte 30 oder gar mit Mitte 40 auf den Arbeitsmarkt.“
„Akademischen Abbruchkante“ – „Schleife der befristeten Verträge und schlecht bezahlten freien Lehraufträge“
Tatsächlich hat die Prekarisierung längst die akademische Welt erreicht. Doch davon sind nicht nur Akademiker betroffen: Nach Zahlen des Deutschen Gewerkschaftsbundes arbeitet jeder fünfte Mensch unterhalb seine Qualifikation und Nicht-Akademiker schneiden da genauso schlecht ab.
DGB-Zahlen: Jeder Fünfte arbeitet unterhalb seine Qualifikation
>>Deutscher Gewerkschaftsbund (PDF-Datei) <<
„Auf dem deutschen Arbeitsmarkt waren in 2011 17,7 Prozent der Fachkräfte unter ihrem Qualifikationsniveau beschäftigt. Damit arbeitet fast jede/r Fünfte unterwertig. Das Risiko unterwertig beschäftigt zu sein, trifft Akademiker/innen mit 18,3 Prozent und beruflich Qualifizierte mit 17,4 Prozent im bundesdeutschen Schnitt fast gleichermaßen.“
Arm durch Arbeit: Fachkräfte und Akademiker gleichermaßen betroffen
Augenscheinlich müssen die Zahlen auch dem Deutschen Gewerkschaftsbund selbst irgendwie peinlich gewesen sein: Denn aktuellere Erhebungen waren nicht zu finden und jenseits spezieller Fachpublikationen war kein empörter Aufschrei zu hören. Zugleich macht sich das Mantra „Aufstieg durch Bildung“ nicht nur Bundesregierung zu eigen. Zudem kann vom „Aufstieg“ in vielen Fällen kaum die Rede sein: Neben der schlechten Bezahlung kommen zumeist noch hohe Schulden – in Form von Studienkrediten – hinzu.